Alles Sünder außer Wagner

Alles Sünder außer Wagner

Gelb saniert Schwarz: Dass in Hessen defekte Atomkraftwerke weiter laufen, Gefängnisse privatisiert werden und vom Frankfurter Flughafen schneller abgeschoben wird, hat Roland Koch der Machtgeilheit seiner Wissenschaftsministerin zu verdanken.

Nicht einmal die Frankfurter Eintracht konnte das verkorkste hessische Wochenende retten. Zwar kam der Abstiegskandidat mit einem 1 : 1 im Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund noch glimpflich davon. Den Ärger darüber jedoch, dass Roland Koch Regierungschef in Wiesbaden bleibt, konnte der Punktgewinn nicht lindern: 166 hessischen Freidemokraten ist es zu verdanken, dass der »brutalstmögliche« Aufklärer (Koch über Koch) auch künftig rassistische Kampagnen zur Schärfung des inhaltlichen Profils der christlich-liberalen Koalition inszenieren darf. Täterschutz auf dem FDP-Parteitag in Rotenburg an der Fulda: »Roland Koch gehört nach Auffassung von Fraktion und Präsidium nicht zu den Tätern«, erklärte die FDP-Landeschefin Ruth Wagner am vergangenen Samstag. Ende der Koalitionskrise.

Schade eigentlich, denn das Wochenende in Rhein-Main hatte zunächst ganz vielversprechend begonnen. Am späten Freitagabend war das hessische Wahlprüfungsgericht zu dem Schluss gekommen, dass die Abstimmung vom Februar 1999 erneut auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden müsse. Es gebe Anhaltspunkte dafür, so die Richter, dass der Einsatz von schwarzen Konten der hessischen CDU in Liechtenstein »das Ergebnis der Landtagswahl mandatsrelevant beeinflusst haben könnte»; die Mitfinanzierung des Wahlkampfes sei deshalb »sittenwidrig«. Doch nicht nur das: Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein, früherer Schatzmeister der Hessen-CDU, hatte im Januar perfiderweise behauptet, dass es sich bei den klandestinen Geldern um die »Vermächtnisse jüdischer Emigranten« gehandelt habe.

Ein Anti-Einbürgerungs-Wahlkampf, geführt mit angeblich jüdischen Geldern: Was selbst dem CDU-Bundesvorsitzenden Wolfgang Schäuble eine Entschuldigung »bei unseren jüdischen Mitbürgern für die Entgleisung im Zusammenhang mit der Auslandskontenpraxis« entlockte, scheint die Pro-Einwanderungsgesetz-Partei FDP nicht zu stören. Nach dem zweitschlechtesten Ergebnis der letzten fünfzig Jahre ohnehin nur mit Hängen und Würgen in den Landtag gerutscht, wollen die Liberalen das Parlament in Wiesbaden nun unter keinen Umständen mehr verlassen.

Allen voran Ruth Wagner. Die Landesvorsitzende hatte sich in den Wochen, nachdem bekannt geworden war, dass Koch mehrfach gelogen hatte, für den 41jährigen eingesetzt wie keine andere. Nicht die schlechteste Form von Opportunismus, denn die Umfragen sprechen für diese Strategie: Fänden am Wochenende Neuwahlen statt, käme die FDP zwar auf acht Prozent - und damit auf drei Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Doch weil es für Rot-Grün zum Regierungswechsel reichen würde, setzte sich der Stimmenzuwachs für die FDP nicht in Ministerposten um - sondern brächte die Rückkehr auf die Oppositionsbänke. Und da hat Ruth Wagner nach eigenem Bekunden schon lange genug gesessen. Außerdem ist ihr eine zweite Ministerinnenkarriere schon altersbedings verwehrt: Sie ist fast 20 Jahre älter als Koch.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich: Auf die Forderung der Berliner Partei-Spitze nach einem Bruch mit Koch und der Wiesbadener Koalition hatte Wagner seit Anfang Februar stets gelassen reagiert: »Es gibt einen Teil von Menschen, die sagen, ein Ministerpräsident, der lügt, ist nicht fähig, dieses Amt zu führen. Dann sage ich: Freunde, wer diesen Standpunkt hat, der muss ihn ungeteilt, nicht nur in Deutschland, sondern universal gelten lassen.« Derart weltfrauisch konterte sie auch auf dem Parteitag in Rotenburg jede Rücktrittsforderung aus: »Es ist nicht so, dass in Berlin und sonstwo die guten Menschen sitzen und in Hessen die unmoralischen.« Die Bundes-FDP solle sich doch erst einmal richtig von Altkanzler Helmut Kohl distanzieren und die CDU den offenen Bruch mit Ex-Bundesinnenminister Manfred Kanther vollziehen, bevor an der Wiesbadener Koalition herumgemäkelt werde. Koch indes kam wieder ungeschoren davon: »Wir sind allzumal Sünder« konstatierte Wagner; außerdem traue sie dem CDU-Landeschef »Änderungswillen mehr zu als seiner Funktionärstruppe«.

Und mehr als der eigenen: Zwar gab sich Wagner nach dem Abstimmungserfolg in Rotenburg betont versöhnlich gegenüber ihrem Bundeschef Wolfgang Gerhardt. Der war als Delegierter des Frankfurter Nobelvorortes Bad Homburg extra angereist, um die Pro-Koch-Stimmung noch zu kippen. Doch dass Gerhardts Wunsch - »Ich will die FDP weiter führen« - nach seiner Niederlage in Hessen nicht mehr lange der Wunsch der meisten FDP-Mitglieder bleiben dürfte, hat er Ruth Wagner zu verdanken. Und den 166 der 300 Delegierten, die einen Beschluss verabschiedeten, den Koch wahrscheinlich selbst nicht angenommen hätte: »Die FDP geht derzeit davon aus, dass der CDU-Landesvorsitzende Roland Koch an den Geldschiebereien nicht beteiligt war und von den rechtswidrigen Finanzierungen seiner Partei keine Kenntnis hatte.« Hatte da nicht Anfang Februar einer zugegeben, dass genau dies der Fall sei?

Sei's drum. Denn so wenig Gerhardt an jenem und in den Tagen darauf den Rücktritt Kochs forderte, so wenig Grund hatte Wagner, abzurücken von einer Koalition, die Hessen nach langen Jahren Rot-Grün wieder nach vorne, d.h. weiter nach rechts, bringen soll. Die Ergebnisse nach einem Jahr Schwarz-Gelb geben ihr Recht: Der Ausbau des Frankfurter Flughafens - von militanten Linken in den achtziger Jahren bekämpft und von Rot-Grün in den Neunzigern zumindest verzögert - schreitet unter Schwarz-Gelb munter voran; den Betreibern des maroden Atomkraftwerks in Biblis wurde bislang noch nach jedem Störfall der Weiterbetrieb garantiert; und mit dem Bau des bundesweit ersten privat finanzierten Gefängnisses in Schlüchtern hat Hessen »ein einmaliges Projekt in Deutschland« (Justizminister Christian Wagner, CDU) gestartet.

Kein Wunder, dass der größte Beifall am Wochenende von Rechts kam. »Eine Lehrstunde in Sachen Standfestigkeit« attestierte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel den hessischen Liberalen. Wagner und ihre Mitstreiter hätten den »Trittbrettfahrern aktueller Stimmungen« mutig widerstanden - schließlich sei die »Hetzjagd« der Bundes-FDP von Doppelmoral und Heuchelei geprägt gewesen.

Doch mit der Hetzjagd auf Koch, Kanther und andere hessische Rassisten dürfte es bis zur endgültigen Entscheidung des Wiesbadener Wahlgerichts über die Legalität des 99er-Wahlkampfes erst einmal vorbei sein. Schade eigentlich. Denn was die von Koch wie Wagner immer wieder eingeforderte »Rückkehr zur Sachpolitik« aus Hessen bringen wird, weiß man inzwischen: Gemeinsam mit den konservativ regierten Nachbarn in Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern soll Rot-Grün in Berlin via Bundesrat attackiert werden.

Erbarmen, die Hessen kommen: Der letzte Vorstoß aus Wiesbaden in der Länderkammer sah die neuerliche Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor. Zwar scheiterte der Versuch, die Sozialleistungen für MigrantInnen dauerhaft auf 80 Prozent des deutschen Niveaus festzusetzen. Aber eher steigt Eintracht Frankfurt nicht ab, als dass das der letzte ausländerfeindliche Vorschlag aus Wiesbaden war.