Die List des Fun-Kapitalismus

Der FC St. Pauli ist am Ende. Der Präsident geht, das Stadion kommt nicht, und die Medien-Vertreter kriegen bald keinen Whisky mehr.

Noch 89 Tage bis zum Stadionneubau«, grüßt ein Herr, der sich »Schwarze Perle« nennt, die Herren der Chat-Runde zum Thema FC St. Pauli (die letzte Frau soll sich in der Adventszeit ausgeklinkt haben), »Forza Stadionneubau« blökt ein weiterer Fan ins Netz hinein. »Noch 13 Tage bis zum Lizenzentzug«, kontert ein gewisser Hardy.

Der Italophile und Schwarze Perle auf der einen sowie Hardy auf der anderen Seite repräsentieren im Chatroom der Hamburger Morgenpost die beiden Fraktionen der Pauli-Fans. Die überwiegende Mehrheit stimmt in die Gesänge ein, die den Stadionneubau zur letzten Hoffnung für einen neuen Aufschwung der legendären Klassenkämpfer-Fußballkombinats St. Pauli erklären. Ohne Stadion keine Sponsoren und Vermarkter, ohne Sponsoren und Vermarkter kein Geld, ohne Geld kein Spitzenfußball und so fort.

So geht das nun schon seit Jahren. Der Uebersteiger, das unabhängige Fanzine und »Kampf- und Spaßblatt mit einer neuen Diagonalstrebe«, hat gar die Tage gezählt und verkündet: »2 298 Tage, seit dem der Stadionneubau ...« Will heißen: Seit der Präsident und Alleinherrscher Heinz Weisener dem Verein und den Fans Versprechungen macht, die er nicht halten kann. Gegen den Stadionbau ist auch der Uebersteiger nicht, wie eigentlich niemand aus dem Umfeld. Die zweite Fraktion besteht eher aus Skeptikern, die sich nur noch über den Unfug lustig machen, der um den Stadionbau, die Aufsichtsratswahl, die Sponsoren- und Vermarktersuche, kurz: über all die Dinge, die das Geschäft heutiger Proficlubs sind und die beim FC St. Pauli immer schief gehen.

Es sind die letzten versprengten Vertreter einer einst subversiven Fankultur, die wenigstens einen Rest des Spitzenfußballs gegen das Diktat der Medien-, Fun-, und Konsum-Connection verteidigen wollten und damit dem Club vom Hamburger Kiez das gewisse Flair bescherten, das ihn ausgerechnet für diese Connection attraktiv machte - und das im Hamburger Abendblatt verklärend beschrieben wird als »nach wie vor bundesweit wohl einmalige Mischung aus Krawattenträgern und Krakeelern, Nassgekämmten und Punks mit Ketchup-Haaren, leichtfüßigen Lügnern und liebenswerten Stadtteilbewohnern, ehrenwerten Altgedienten und eitlen Selbstdarstellern, dieses bunte Volk mit dem Millerntor als kleinstem gemeinsamem Nenner.«

Was tun gegen die List des Fun-Kapitalismus, der seine Gegner niedlich findet und sie als Beispiel dafür vorführt, wie toll, bunt, tolerant und lustig er ist? Aufklären? Mit revolutionärer Theorie gar? Revolutions-Nostalgiker finden ab und zu wenigstens Bonbons wie den Chat zwischen »Lauscher« und »Harvey«, in dem Lauscher mit einem trotzkistisch-sozialrevolutionären Solo wie aus dem Lehrbuch autonomer Weltverschwörungstheorie den zwangsläufigen inneren Zusammenhang zwischen CDU-Spendenaffäre, Fixerstuben, Neo-Nazis beim HSV, den Inner-Cities von Chicago und New York, Haider, dem Alkoholverbot im neuen HSV-Stadion, dem Neo-Liberalismus, der Bevorzugung des HSV, dem ersehnten Stadion und der Vereinskrise des FC St. Pauli herstellt.

Zu danken ist Harvey, der Lauschers Spitzenleistung herauskitzelt: »Lauscher, ich bin ein wenig enttäuscht, dass Du in Dein aktuelles Elaborat diesmal keine gewaltige HSV/Neo-Nazi Verschwörung integriert hast. Schade, bleibt denn heute niemand mehr seiner Weltanschauung treu?«

Lauscher lässt sich nicht lange bitten und sinniert zunächst über amerikanische Slums, ehe er den Übersteiger zum FC St. Pauli findet: »Ja, Harvey ich sehe es ein, wir kommen ein wenig weit weg von unserem guten alten St.Pauli, aber vielleicht kennst du ja das Problem der verdrängten Dealer und Fixer, die zu einem großen Teil umgezogen worden sind vom Hamburger Stadtteil St.Georg in die Schanze, also fast in die direkte Nachbarschaft unseres Lieblingsvereins. O Mann, Harvey, war das nun Zufall oder Strategie? War der Zoff Hackmanns wegen des Biers mit seinen Senatsfreunden nun Zufall oder Strategie? Ich weiß es nicht genau, Harvey, um ehrlich zu sein, aber eins weiß ich: Der FC St. Pauli hat immer noch keine 25 Millionen bekommen vom Senat, das Stadion existiert bis jetzt noch bei Papa Heinz als Pappmodell auf dem Dachboden, wahrscheinlich neben der Spielzeugeisenbahn, und wesentliche sportliche, geschweige denn strukturelle Verbesserungen hat es bis jetzt für den Verein nicht gegeben. Der FC St.Pauli hat immer noch die Hosen unten bei Orkanstärke zwölf, währenddessen der HSV sich bereits das Gala-Jacket angezogen hat, um sich mit Vereinen wie dem FC Bayern (FC Stoiber - ein Schelm, wer Böses denkt) zu messen. (...) Und was Neonazis angeht, Harvey, ist die Realität auch schon wieder einen klitzekleinen Schritt weiter als die damalige HVV-Diskussion.

Wenn du das nächste Mal mit dem HVV ins Trainingslager nach Österreich fährst, kannst du dich ja mal nach dem vielleicht kommenden Kanzler Österreichs Jörg Haider erkundigen, der dort bis vor zwei Tagen den Vorsitz der zweitstärksten politischen Kraft Österreichs inne hatte. Aber was soll's, wenn man Faschos in der blauen Lagune in Stellingen verträgt, dann hat man sicherlich auch keine Probleme mit dem feschen Jörg aus Kärnten. Oje, Harvey, ich möchte nicht wissen, was alles los gewesen ist, wenn wir diese Diskussion in fünf Jahren noch einmal führen. Wo wird der FC St. Pauli in fünf Jahren sein? Eine wirklich spannende Frage.«

Die Antwort lautet: In der Verbandsliga. Zumindest laut einer kleinen, repräsentativen Umfrage im Auftrag der Jungle World unter alt eingesessenen Paulianern. Doch auch in den oberen Etagen ist jeglicher Rest von Optimismus verschwunden, zu oft schon hat Weisener sein Versprechen nicht eingehalten oder neue Säue über den Kiez getrieben, wie neulich wieder die blöde Idee vom Sport-Dome. Bereits vor zwölf Jahren liefen Fans und Anwohner gegen die Pläne eines Fußball-, Konsum-, und Funtempels im Vergnügungsviertel Sturm und hatten Erfolg. Dass Weisener nun wieder damit anrückt, ist pure Verlegenheit angesichts seines Versagens in der Stadionfrage.

Kein Wunder, dass Fragen wie »Warum ist Weisener eigentlich noch im Amt?« inzwischen nicht nur die Chats, sondern auch die lokalen Medien beherrschen. Auch hier steht die Antwort fest: Im Herbst wird Papa Weisener Platz für einen Nachfolger machen, wahrscheinlich den jetzigen Vize und Ex-Profi Reenald Koch.

Viele befürchten aber, dass es schon zu spät sein könnte. Sponsoren, Ausrüster und Vermarkter haben sich zurückgezogen. Die Sportwelt GmbH des Münchner Filmhändlers Michael Kölmel mochte sich nicht länger von Weisener, der immer wieder wegen angeblicher Konkurrenz zauderte, hinhalten lassen und hat das Angebot - zehn Millionen für die Marketing-Rechte plus 30 Millionen Investition in den geplanten Stadionbau - zurückgezogen. Nicht nur die Sportwelt ist über Weisener, der insgesamt 18 Millionen aus eigener Tasche in den Verein gepumpt hat, verärgert. »Verpokert« habe er sich in der Sache Kölmel, schimpfte das Abendblatt, Weiseners »dilettantische Vorgehensweise« und sein »Missmanagement« schreckten Sponsoren und Vermarkter ab. Die Morgenpost listete genervt die nicht gehaltenen Versprechen des Architekten in Sachen Stadionbau auf, unter anderem das vom März 1997: »In vier Wochen steht die Finanzierung.«

Weiseners vollmundige Versprechen sind kaum noch mehr wert als das Ehrenwort eines christdemokratischen Politikers. Die Lage im Februar 2000: Von 120 Millionen, die das Stadion kosten würden, sind gerade mal zehn Millionen einigermaßen gesichert, und zwar per Absichtserklärung. Ohne Vermarkter und Hauptsponsor (auch Whisky-Produzent Jack Daniels ist abgesprungen, zum Leidwesen der Journalisten, die künftig auf ihren Gratis-Whisky auf der Pressekonferenz werden verzichten müssen) und mit sieben Millionen Mark Schulden steckt der Club mit den braunen Trikots tief in der Scheiße. Um die Auflagen des DFB für die Lizenz zu erfüllen, muss für die kommende Saison mit einem Bonsai-Etat von 6,5 Millionen Mark kalkuliert werden.

In anderer Hinsicht ist für Spannung gesorgt. Tatjana Groeteke, bis vor vier Monaten Chef-Kontrolleurin, hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Vor der Wahl zum Aufsichtsrat im November des vergangenen Jahres hatte jemand die Auskunftei Creditreform beauftragt, ihre private Solvenz zu überprüfen. Der Affront passt ins Bild. Eine Atmosphäre der »Selbstzerfleischung« hat das Abendblatt in der Chefetage längst vor Bekanntgabe der unappetitlichen Nachforschungen ausgemacht, es werde »gemobbt, denunziert und bespitzelt«. Getreue des Präsidenten Weisener ließen vor der Aufsichtsratswahl keinen Zweifel daran, dass ihnen jedes Mittel recht ist, die vereinsinterne Opposition um Groeteke und die Arbeitsgemeinschaft Interessierter Mitglieder (AGIM) aus dem Rat zu kippen.

Bei Groeteke ist dies nicht gelungen, sie wurde wiedergewählt. Einen Zusammenhang zwischen der unfeinen Kampagne und der illegalen Bonitätsprüfung möchten allerdings weder die AGIM noch Tatjana Groeteke nahelegen. Dies ist auch nicht nötig, denn der Name des Übeltäters wird bald bekannt sein. Der Staatsanwalt hat den Vorgang vom Datenschutzbeauftragten übernommen und kennt bereits die Auftraggeber von Creditreform. Im äußersten Fall kostet die Neugier den Spitzel ein Jahr Knast wegen der unberechtigten Beschaffung geschützter Daten. Und für seine Freunde beim FC St. Pauli wird's wohl auch ungemütlich.