Kicks aus Cali und Kabul

Das Drogen-Zertifizierungsspiel hat wieder begonnen. Während die USA im Anti-Drogen-Krieg den bad cop geben, wildert die EU als soft cop im US-Hinterhof.

Immer im März wiederholt sich in Washington ein Ritual, das nicht nur die lateinamerikanischen Staaten als Eingriff in ihre Souveränität betrachten: Die USA verteilen Zeugnisse in Sachen Drogenbekämpfung. Wer nicht in ausreichendem Maße mit den Drogen-Weltpolizisten der Drug Enforcement Agency (DEA) kooperiert, erhält die Rote Karte und muss mit schmerzhaften Wirtschaftssanktionen rechnen. Die USA blockieren über ihre Sperrminoritäten im Internationalem Währungsfonds (IWF) und in der Weltbank die Vergabe von Krediten an die betreffenden Länder.

In diesem Jahr sind davon Afghanistan und Myanmar betroffen, »die Hauptquartiere der internationalen Heroinproduktion«, so US-Außenministerin Madeleine Albright bei der Vorstellung des Drogenberichts des State Departments am vergangenen Mittwoch.

Nigeria, Kambodscha, Paraguay und Haiti kamen hingegen mit einem blauen Auge davon. Sie erhielten die Zertifizierung allein aus politischem Interesse. In Nigeria, Kambodscha und Paraguay wolle man, so Madeleine Albright, die laufenden Demokratisierungsprozesse nicht beeinträchtigen. Und Haiti, ein wichtiges Drogentransitland, hat keine Zwangsmaßnahmen aus dem State Department zu erwarten, weil Wirtschaftssanktionen das Armenhaus Amerikas weiter destabilisieren würden und dann mit einer neuerlichen Massenflucht in Richtung USA zu rechnen wäre. Das möchte die Clinton-Administration ebensowenig riskieren wie die Verschlechterung der Beziehung zum Nachbarn und Nafta-Partner Mexiko. Über dessen Territorium werden mindestens 50 Prozent des in den USA konsumierten Kokains geschmuggelt, so die Angaben von DEA-Direktor Barry McCaffrey im Laufe der Pressekonferenz. Die gemeinsame Grenze ist trotz beträchtlicher mexikanischer Investitionen in Drogenbekämpfungsprogramme und die enge Kooperation mit der DEA äußerst durchlässig. Korruption, die Verstrickung ranghoher Drogenfahnder in das lukrative Geschäft und die notorische Ineffizienz der Justiz werden dafür verantwortlich gemacht.

Von einer Dezertifizierung sieht man in Washington jedoch ab, da die Handelsbeziehungen darunter zu leiden hätten und die mexikanischen Verantwortlichen ohnehin zu den vehementesten Kritikern des Zertifikationsprozesses gehören. »Wir alle wissen, dass die Drogen die US-Konsumenten nicht durch Magie erreichen, das Hauptquartier des internationalen Drogenhandels liegt in den USA«, sagte Eduardo Andrade, Senator der regierenden PRI. Er drückte damit aus, was viele seiner lateinamerikanischen Kollegen denken. Nicht in den drogenproduzierenden Ländern, sondern in den USA werden die größten Gewinne gemacht, und die Nachfrage dort ist ungebrochen. Allein im letzten Jahr waren es DEA-Schätzungen zufolge 37 Milliarden US-Dollar, die allein für Kokain ausgegeben wurden. An den USA ist es somit, so meinen viele Kritiker des seit 14 Jahren bestehenden Zertifizierungsprozesses, vor der eigenen Haustür zu kehren, statt als größter Konsument über die Produzenten zu richten.

Ohnehin sind die Erfolge der Drogenbekämpfungsstrategie mehr als bescheiden. In den USA selbst wird mittlerweile genug Marihuana für die Selbstversorgung produziert. In Kolumbien, einem der engsten Partner der USA in Sachen Drogenbekämpfung, nahm die Koka-Anbaufläche in den letzten fünf Jahren um 140 Prozent zu, sodass der gleichzeitige Rückgang in Peru (minus 64 Prozent) und Bolivien (minus 55 Prozent) nahezu ausgeglichen wurde. Kolumbien wird nach DEA-Schätzungen in diesem Jahr nicht weniger als 70 Prozent der Weltproduktion - etwa 520 metrische Tonnen - an Kokain herstellen. Trotzdem erhielt das Land im Gegensatz zu 1996 und 1997 das begehrte Zertifikat.

Aber die Entwicklung in Kolumbien wird nicht als Beleg für den gescheiterten Anti-Drogen-Krieg gewertet, sondern als Argument dafür, den Andenstaat stärker zu unterstützen. 1,6 Milliarden US-Dollar soll das Land in den nächsten zwei Jahren von den USA erhalten. Das Gros der Mittel wird der Armee zufließen, die unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung den Krieg gegen die linken Guerilleros von Farc und ELN verschärfen wird. Dabei kooperiert die kolumbianische Armee eng mit den Paramilitärs, die für viele Massaker an Zivilisten verantwortlich sind. Zahlreiche neue Beweise für diese seit langem gängige Praxis hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erst Mitte Februar vorgelegt - ohne dass die US-Administration Anstalten gemacht hätte, ihr Vorhaben zu überdenken. Nicht allein für die Farc, deren Sprecher Raœl Reyes letzte Woche den USA den Krieg erklärt hat, ist klar, dass der Drogenkrieg als Deckmantel für die Weiterführung der counter insurgency strategy der achtziger Jahre fungiert.

Auf internationaler Ebene sucht man ohnehin nach neuen Methoden im Kampf gegen den Drogenhandel und -konsum. Repressive Maßnahmen sind weitaus weniger gefragt, und auch Rubén Olarte, der ehemalige Direktor der kolumbianischen Koordinierungsstelle für die Bekämpfung von Drogenanbau und -handel, setzt auf alternative Konzepte. »Ohne Substituierungsprogramme ist es unmöglich, das Phänomen Koka-Anbau auszurotten, denn die Ursache für den Anbau ist in der Krise in der Landwirtschaft zu suchen«, erklärt er. »Man muss den Bauern Alternativen aufzeigen, die Entwicklung der ländlichen Regionen vorantreiben und die Armut bekämpfen«, umreißt Olarte das Programm aus seinem Hause.

Unterstützung für diesen Ansatz ist vor allem aus Europa zu erwarten, wie das Übereinkommen zwischen den Staaten der Karibik und Lateinamerika mit der EU zeigt. Im Mittelpunkt der vereinbarten Maßnahmen stehen die Förderung von Alternativkulturen in den Produzentenländern und die Schaffung von Absatznischen für Produkte wie Öko-Kaffee, Heilkräuter oder Naturkautschuk.

Anvisiert ist auch die Einrichtung eines Satellitensystems zur Überwachung der Anbaugebiete. Damit gäbe es endlich die Möglichkeit, die US-Angaben zu überprüfen, so Olarte. »Streits um die Größenordnung der vernichteten Anbaufläche wird es dann nicht mehr geben«, prognostiziert er. Allerdings wäre ein solches Satellitensystem auch zur Überwachung militärischer Operationen und damit als Instrument europäischer Großmachtambitionen geeignet.

Ergänzt wird das Übereinkommen mit der EU durch die Förderung von Drogenpräventionsprogrammen, die es in der Region bisher kaum gibt. Dabei ist in den letzten Jahren die Zahl der Drogenabhängigen nicht nur in Kolumbien, sondern auch in Mexiko, Peru oder Venezuela angestiegen, so Professor Augusto Perez, Leiter des Antidrogenprogramms in Bogotá. Auf rund 200 000 schätzt er die Zahl der von harten Drogen Abhängigen, doch die Dunkelziffer ist hoch. Für Perez muss ein neues Gleichgewicht bei der Mittelvergabe angestrebt werden. Statt ein Prozent der Mittel für Prävention auszugeben, wie es derzeit der Fall in Kolumbien ist, plädiert er für einen Anteil von mindestens 35 Prozent. »Das wäre eine Dimension, die ich sehr begrüßen würde, und Erfahrungen mit dem US-Modell haben wir hinreichend gemacht.«