Der Potsdamer Platz hat nichts zu bieten.

Leberkäs und Pepsi

Gefährliche Orte XCIV: Der Potsdamer Platz hat nichts zu bieten. Im Sony-Center gibt es nicht mal vernünftige Cola. Nur das »Hofbräuhaus« und McDonald's sind einen Besuch wert.

Berlin hat durchgehend geöffnet!« lautete der Werbeslogan, mit dem die sperrstundenfreie Stadt in den frühen achtziger Jahren auf den Litfasssäulen in der Provinz um neue Einwohner warb. Menschen, die in Gegenden wohnten, wo allerspätestens um Mitternacht alle Kneipen und Restaurants geschlossen hatten, beeindruckte das damals sehr - man stelle sich vor: um halb zwei ist noch ein Bier oder eine Bratwurst zu bekommen!

Wenn man die Kampagne heute wieder aufnehmen würde, dann müsste auf den alten Plakaten ehrlicherweise ein orangefarbener Zusatz dazugeklebt werden: »Außer am Potsdamer Platz!« Obwohl es dort schon ohne die seltsamen Öffnungszeiten schwierig genug ist, eine Kneipe zu finden, die man auch wirklich betreten will.

Dabei hat es an Bars und Gaststätten dort eigentlich keinen Mangel, alle paar Schritte steht irgendwas mit Bierreklame davor und wartet auf Kundschaft. In die meisten der Wirtschaften kann man jedoch von außen durch die riesigen, gut geputzten Fensterscheiben gut hineinsehen, und was man dort erblickt, ist nur eklig. Dort sind sie also geblieben, die Yuppies der achtziger Jahre, die wahrscheinlich kurz vor der Eröffnung mitsamt dem für solche Etablissements zwingend vorgeschriebenen Mobiliar (beispielsweise Marmortischchen, Designerstühle, Stahlgarderobe, Neonbeleuchtung) angeliefert worden sind und seither rund um den Potsdamer Platz bunte Cocktails trinken und verwegene Kleinigkeiten essen. Auf der mit echter Fichte eingerahmten, zentral platzierten schwarzen Wandtafel hat jemand mit bunter Kreide die heutigen Tagesgerichte aufgeschrieben, der draußen aushängenden Getränkekarte fehlen eigentlich nur bunte Punkte oder Streifen zum vollendeten Retro-Look. Der Barmixer heißt zwar eigentlich Michael, lässt sich aber von der Stammkundschaft mit Michel anreden, die blonde Bedienung modelt nebenher und der Geschäftsführer sitzt mit seinen Kumpels in der Ecke und fachsimpelt über das Porsche-Fahren im Allgemeinen und Besonderen.

Ein paar Schritte weiter sieht es dagegen nicht ganz so schlimm aus. Völlig normale Menschen sitzen an Tischen und essen und trinken. Dass es sich bei dem Laden um eine Gaststätte mit »American Food»-Angebot handelt, könnte da eigentlich in Kauf genommen werden. Wenn es dort drinnen nicht so brutal nach Pommes-Fett stinken würde, nach altem Pommes-Fett noch dazu, und man Luft holen könnte, ohne gleich würgen zu müssen.

Über die ausgiebig befahrene Straße gelangt man dann mit der Einstellung: »Ich will doch nur eine ganz normale Kneipe, ist denn das zu viel verlangt?« unweigerlich zum Sony-Center. Die Kuppel ist das Sehenswerteste, was der Potsdamer Platz zu bieten hat, nur mit Kneipen sieht es nicht ganz so gut aus. Gleich neben dem Kino lockt eine Bar mit bunter Tafel, der Michel drinnen mixt gerade irgendeinen bunten Cocktail. Jetzt nur nicht weich werden, denn in der hintersten Ecke versteckt sich das »Hofbräuhaus«, eine Dependance der berühmten Münchener Gaststätte - die im Original mit zu dem Schlimmsten gehört, was einem auf dem Kneipensektor so passieren kann, scheußliche Kellner schleppen dort im Akkord scheußliches Essen und scheußliche Getränke für scheußliche Kunden heran, und dazu spielt eine womöglich noch scheußlichere Blaskapelle Bajuwarisches.

Aber damit hat das Berliner Hofbräuhaus, jedenfalls von außen betrachtet, überhaupt nichts zu tun. Nirgendwo sind Dirndln und Schuhplattler zu sehen, und die Einrichtung hat gleich gar nichts Zünftig/Rustikales. Bis auf das große messingfarbene Gefäß, in dem Bier gebraut wird, in der Mitte des Schankraums erinnert das Ambiente eher an gehobenes Ristorante.

Auf zwei Etagen kann man hier verschiedene selbst gebraute Biersorten trinken, aber keine Coca Cola. Das Hofbräuhaus ist Pepsi-Only-Zone, aber dafür gibt es nicht nur widerliche Innereien (Lunge!) und ekligen Fleischmatsch (Leberkäse!) zu essen, sondern auch schweineloses Wiener Schnitzel. Die Gäste sind fast ausschließlich Menschen, die in Ruhe dasitzen und essen und trinken wollen. Viele Touristen sind darunter, die beim Bier den Falk-Plan studieren, ein paar Angestellte aus den benachbarten Büros, die einander gemeine Dinge über ihre Chefs erzählen, zur Berlinale-Zeit zog es auch einige Filmjournalisten dorthin, die bei einigen Bieren das Filmegucken vergessen wollten.

Bis man die überdimensionierte Speisekarte händeln kann, vergeht einige Zeit. Und bis man versteht, was das Angebotene sein soll, auch. Zwischendurch kommen immer mal wieder Männer vom Klo und erzählen begeistert, dass dort überall bayerische Sinnsprüche hängen. Im Frauenklo hängt dagegen nur der vorgeschriebene Spiegel. Klare Diskriminierung, aber bei wem soll man sich beschweren?

Die Kellnerin ist sowieso schon sehr genervt. Nur widerwillig nimmt sie das irrtümlich gelieferte Weißbier wieder mit, nachdem der Gast trotz all ihrer Überredungsversuche (»Probieren Sie das doch, es schmeckt wirklich sehr gut!«) darauf beharrte, ein »ganz normales« zu bekommen. Als sich dann noch zwei Tische weiter jemand weigert, die vor ihm abgestellten Weißwürschte zu essen und statt den beiden wie tote Schwänze in Brühe aussehenden fahlen Gebilden hartnäckig das georderte Wiener Schnitzel verlangt, ist es für diesen Abend auf der oberen Etage vorbei mit dem Service.

Sicher, die Aschenbecher werden noch auf die Tischchen verteilt, Bestellungen angenommen und die georderten Speisen und Getränke auch geliefert, aber die Frau schafft es, dies alles mit einem derart angewiderten Gesichtsausdruck zu tun, dass jedem Gast sofort klar wird, dass er vom Personal eindeutig nicht geliebt wird.

Aber das ist den meisten egal, denn die haben schon genügend Freunde und müssen daher auf keinen Fall mit dem Personal fraternisieren. Dessen schlechte Laune wenig später eine einfache Erklärung findet: Für die Beschaffung eines jeden Tafelspitzes und jeden einzelnen Maßkrugs muss die Frau sich erst umständlich die Treppe hinunter durch die nach oben strebende Menge drängeln. Das Mitleid der Kunden hält sich jedoch in Grenzen: »Für solche Fälle gibt es schließlich Gewerkschaften!«

Die wahrscheinlich auch über das Einhalten der bayerischen Sperrstunde in Berlin wachen, denn um ein Uhr ist Schluss. Rigoros und ohne Diskussion, zumal persönliches Dealen mit dem Personal im »Hofbräuhaus« völlig ausgeschlossen ist: Per Computer werden die Zapfhähne abgeschaltet, und danach bekommt nicht mal mehr der Wirt ein Bier. Oder eine Pepsi.

Wohin nun? Auf dem Rückweg kann man sehen, wie in den anderen Bars und Restaurants die Stühle auf die Tische gestellt werden, große Menschenmengen stehen ratlos vor den Eingängen herum. Zum Glück gibt es McDonald's. Bis drei hat man am Potsdamer Platz geöffnet, macht dann für zwei Stunden Reinigung kurz zu und öffnet um fünf wieder. Kurz vor zwei kann man den Mitarbeitern zusehen, wie sie an einem großen Tisch sitzen und BigMäcs essen, dann sind Bestellungen kurz unmöglich. Aber sonst ist der Service in Ordnung, es stinkt nicht nach Pommes-Fett, das Eis ist okay, auf dem Männerklo sieht es nicht anders aus als auf dem Damenklo, nur an den Speiseplan hält man sich hier ganz genau. Frühstück gibt es erst um fünf, basta. Nein, keine Ausnahme, Kaffee ja, Croissant nein, so einfach ist das. Aber dafür gibt es richtige Cola.