Autobiografie von Adolf Eichmann

Der Nazi als Opfer

Der autobiografische Bericht »Götzen« von Adolf Eichmann ist weder überflüssig noch historisch wertvoll. Er ist eine Qual.

Das erste Exemplar ging an Deborah Lipstadt - per Eilboten. Das Skript kam genau zu rechten Zeit: Gerade hatte der britische Holocaust-Leugner David Irving neue Beweismittel angekündigt, um seine Klage wegen Rufschädigung gegen die US-amerikanische Historikerin vor einem Londoner Gericht zu untermauern.

Irving wollte nun auch die gerade vom Israelischen Staatsarchiv freigegebenen autobiografischen Aufzeichnungen von Adolf Eichmann zum Beweis seiner These heranziehen, dass es in Auschwitz keine Gaskammern gegeben habe. Und wenn doch, seien dort weniger Menschen umgekommen als auf den Auto-Rücksitzen der Kennedys. Sollten es aber mehr gewesen sein, habe Adolf Hitler davon nichts gewusst. Eichmanns Manuskript werde die letzten Zweifel ausräumen.

Kurz nachdem Lipstadt ihr Manuskript mit dem Titel »Götzen« erhalten hat, muss sich auch Irving eine Fassung besorgt und sie rasch gelesen haben: Seither hält sich der Mentor der deutschen Neonazi-Szene spürbar zurück. Denn die »Götzen« des einstigen Leiters des Referats IVB 4 (»Auswanderung und Räumung«) im NS-Reichssicherheitshauptamt beinhalten sicher nicht, was sich Irving von ihnen versprochen hatte.

Zwischen allerlei Beschreibungen der eigenen Befindlichkeit, Anekdoten aus der Jugendzeit und der dem Druck eines israelischen Gerichtes geschuldeten Erkenntnis, »das Geschehen mit den Juden« stelle »das kapitalste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte« dar, finden sich zahlreiche Anklagen gegen Reichsregierung und Führer, von Eichmann zuerst »Götter« und dann »Götzen« genannt: »Die Götter wandelten sich offensichtlich zu Götzen. Diese Befehle waren nicht nur unsinnig, sie waren verbrecherisch.«

Vom »Gott« zum »Götzen« wird man bei Eichmann, wenn irgendetwas auf dem bürokratischen Weg nicht so klappt wie es soll: Zuerst bekamen während der Reichspogromnacht 1938 die »Dienst(st)ellen der Geheimen Staatspolizei und des SD, scheinbar durch einen Fehler in der Nachrichtenübermittlung« von der angeordneten »Vergeltungsaktion« nichts mit; und dann gingen während des Pogroms auch noch »Büromaterial, Karteikarten, Akten, die Auslandskorrespondenz, kurz alles« in Flammen auf. Ärgerlich, da es sich um Papiere jüdischer Organisationen handelte, mit denen Eichmann zusammenarbeitete.

Was nun? »Ich mußte wieder einmal aufbauend tätig werden.« Eichmann weicht in seinem im Sommer 1961 verfassten Text um keinen Deut von der Argumentation ab, die sich während des gleichzeitig laufenden Prozesses in Jerusalem für ihn zu bewähren schien. Er war allein für die Auswanderung der deutschen Juden zuständig, eine Auswanderung »nach Plan« und zum »Vorteil der Betroffenen«. Alles, was er tat, auch seine spätere Mitwirkung an der »Endlösung der Judenfrage« sei auf Anweisung geschehen und wäre ohne ihn noch viel schlimmer verlaufen.

Denn, so behauptet Eichmann stereotyp, niemand könne ihm vowerfen, ein Antisemit gewesen zu sein. Von anderen jungen nationalistischen Männern seiner Ära habe er sich in diesem einen Punkt unterschieden. In anderen jedoch nicht: »Und dann sitzt man in solch einem Weinstüberl, vor seinem 'Viertel', im Bierstüberl vor seinem 'Krügerl' oder im Caffee vor seinem 'Schwarzen' und liest den Völkischen Beobachter, man liest vom Tod der SA- und SS-Männer, man ließt heldische Worte über heldischen Tod; über mannhaftes Sterben und furchtlose Treue. Und ich sag es noch einmal, welchen Burschen, nationalistischer Tendenz, 'packte' es da nicht?«

Als Beweis für seinen mangelnden Antisemitismus muss hier ein Küsschen für die »halbjüdische Cousine«, dort das jugendliche »Erdbeer-Schnabeln« im Garten des jüdischen Nachbarn herhalten. So kommt Eichmann schließlich in seiner Jerusalemer Gefängniszelle zu der Ansicht: »Wenn ich heute (...) so die Dokumente jener Zeit betrachte, dann muß ich mich fragen, wie ein vernünftiger Mensch ausgerechnet mir Haß und Vernichtungswillen unterstellen kann. Im Gegenteil, ich muß den jüdischen Funktionären gegenüber doch sicherlich wohlwollend eingestellt gewesen sein; frei ohne jeden persönlichen Haß, denn man könnte ja fast von einem gegenseitigen dienstlich bedingten Vertrauen sprechen, daß unschwer aus und zwischen den Zeilen jener Dokumente herauszulesen ist.«

Zwischen »Fahneneidbruch« und Loyalität zu einem »verbrecherischen« Staat will er sich bewegt haben, wenn wieder einmal von den »Göttern oder Untergöttern« eine Anweisung gekommen sei, deren Sinn er nicht habe nachvollziehen können. Er, Eichmann, habe immer versucht »zu retten, was noch zu retten war«. Aber »die Staatsführung zwingt seine Exekutive, das Einzelwesen zu vergewaltigen«.

»Vergewaltigt« werden nicht die NS-Opfer, sondern »der Befehlsempfänger, wenn er nach seinem Gewissen nicht handeln kann, da die Staatsführung pare gebietet«. Der Täter ist, damit keine Missverständnisse aufkommen, gleich doppelt austauschbar: »Und niemand kann sagen, daß solches nur in totalitären Staaten geschehe. Auch die westliche Hemisphäre lieferte und liefert Beispiele genug.« Nazi-Deutschland gleich Sowjetunion gleich USA - hier, im letzten Abschnitt seines »Götzen« wird Eichmann zum ersten Mal originell.

An »eine geregelte Behördenarbeit« mochte er erst dann nicht mehr denken, als es in Berlin wegen der »anglo-amerikanischen Bomber (Ö) nach verbranntem Fleisch und verwesenden Leichen« stank. Vom Leid des untergeordneten NS-Funktionärs zum Leid des Autobiografen ist es nicht weit: Zu seiner Selbststilisierung bei dem Prozess in Jerusalem als »Opfer einer Siegerjustiz« kommen im Vorwort des »Götzen« noch die Qualen eines zensierten Autors hinzu: »Da fühlt man sich beim Schreiben nicht frei genug.«

Auf den Wechsel von Unterwürfigkeit und Größenwahn bei Eichmann hat Hannah Arendt in ihrem Buch »Eichmann in Jerusalem« bereits hingewiesen: »Ich werde freudig in die Grube springen, denn das Bewusstsein, fünf Millionen Juden auf dem Gewissen zu haben, verleiht mir ein Gefühl großer Zufriedenheit«, soll er gegenüber seinen Leuten in den letzten Kriegstagen geäußert haben.

Was Arendt als Prahlerei abtut, lässt sich auch als Strategie eines narzisstischen Nazis deuten: Wenn er mit seiner Behauptung, nur »ein Rädchen im Getriebe« gewesen zu sein, vor Gericht schon nicht durchkommt, möchte Eichmann wenigstens als der »Architekt des Holocaust« (Gideon Hausner) erscheinen, den seinerzeit viele in ihm sehen wollten. Dass er beides nicht war, beweisen einige Tausend Seiten an Dokumenten, die von Historikern und Publizisten - unter ihnen auch kritische wie Hannah Arendt und Wolfgang Benz - ausgewertet wurden. Zuletzt verdeutlichte der im Herbst des vergangenen Jahres angelaufene Film »Der Spezialist« von Eyal Sivan die Rolle von Adolf Eichmann: Er war weder Rädchen noch Architekt, sondern ausführender Funktionär mit viel Eigeninitiative, wenn es um Praxisfragen zur Deportation und Vernichtung der europäischen Judenheit ging.

All das konnte man schon vor dem Erscheinen des »Götzen« wissen. Und der Streit zwischen Veröffentlichungsbefürwortern und -gegnern aus aller Welt über Wissenschaft und Zensur wäre längst eskaliert, hätte nicht im August des letzten Jahres die Welt einen Teil der Memoiren schon veröffentlicht. Man nutzte einen Zufallsfund aus der Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, um den Druck auf das Israelische Staatsarchiv zu erhöhen. Nun forderte, auch in der Welt, der Eichmann-Sohn Dieter nicht nur die Freigabe, sondern die Übergabe des gesamten Skripts.

Gegen den Willen seines Vaters übrigens: Denn der hatte in seinem Nachlass nur bestimmt, dass seine Söhne ein Exemplar der Druckfassung mit der Widmung »Im Auftrage Deines Vaters lieber (Name des Sohnes) mit herzlichen Grüßen gewidmet« erhalten. Ansonsten sollte das Buch »für die jetzige und kommende Jugend, zu ihrer Warnung« geschrieben sein: »Weil ich als eines der vielen Pferde in den Sielen mit eingespannt war und gemäß dem Willen und den Befehlen der Kutscher weder nach links noch nach rechts ausbrechen konnte.« Mit einem solchen Satz, der typisch für das gesamte Skript ist, rächt sich Eichmann auch noch an jenen, die ihm entgangen sind.

Das Eichmann-Manuskript ist vollständig unter www.hagalil.com als Download abrufbar.