30. Parteitag der französischen KP

Frühling für das kleine Volk

Auf ihrem 30. Parteitag hat die französische KP neue revolutionäre Subjekte entdeckt: Soziale Bewegungen und Zivilgesellschaften.

Abwechselnd steigt einem, je nach Windrichtung, der Duft der Pinienwälder in die Nase oder der Faule-Eier-Geruch der nahe gelegenen Öl-Raffinerien, deren Abfackelungen man schon von weitem sieht. Die große Halle von Martigues liegt eingekeilt zwischen dem »provenzalischen Venedig« - wie die malerische Altstadt des südfranzösischen 45 000-Einwohner-Ortes genannt wird - und der enormen Autobahnbrücke, die den Canal Quarante überspannt, der das nahe Mittelmeer mit dem Binnenmeer Etang de Berre verbindet.

Martigues ist KPF-Stammland: Seit Kriegsende wird die Stadt von der Kommunistischen Partei regiert. Hier und im drei Kilometer entfernten Port-de-Bouc, wo »die Partei« bei der letzten Kommunalwahl 1995 mit 64 Prozent der Stimmen ins Rathaus wiedergewählt wurde, ist der Partei-Kommunismus noch immer eine soziale Realität mit Masseneinfluss. »Klein-Russland« nannte man Port-de-Bouc in den sechziger Jahren, bevor die Regierung Charles de Gaulle die Werften der Stadt als »Brutstätte des Kommunismus« dichtmachen und die Arbeitsplätze auf die Nachbarstädte verteilen ließ. Noch immer gibt es im Hafen das Einstellungsbüro, das von der lange Zeit KP-nahen Gewerkschaft CGT kontrolliert wird. Vor Jahrzehnten haben sich die Werft- und Hafenarbeiter der Region das Recht erkämpft, die Vergabe von Arbeitsplätzen von ihrer Gewerkschaft kontrollieren zu lassen.

Die Mittvierzigerin Jeannette D., Beschäftigte in einem Supermarkt der Stadt, gehört zu den ortsansässigen KP-Mitgliedern. »Bei einer sozialen Revolution wäre ich sofort dabei, und wenn ich das Bajonett dabei in die Hand nehmen müsste, würde ich es auch tun«, drückt sie ihre Überzeugung aus. Sie ist in der CGT und in der gewerkschaftlichen Rechtsberatung aktiv, bildet sich an der Marseiller Universität in Sozialwissenschaft fort, engagiert sich für illegalisierte Immigranten, für Entlassene und Opfer anti-gewerkschaftlicher Repression.

Doch ihren Partei-Beitrag für das Jahr 2000 hat sie noch nicht bezahlt. Ihr Ehemann hat seinerseits lange gezögert, und ihr Schwager hat vor drei Jahren die KP-Mitgliedschaft aufgegeben - »was ihm schwer fiel, nachdem er jahrelang Bezirksvorsitzender gewesen war«. Drei Viertel der Mitglieder vor Ort seien am Zweifeln, sagt Jeannette : »Die Partei wird immer reformistischer. Wir sind in einer Regierung, die eine wirtschaftsliberale Politik betreibt. Unsere Abgeordneten haben Gesetzen zugestimmt, unter denen wir im Arbeitsleben konkret zu leiden haben, wie dem Gesetz zur 35-Stunden-Woche - ein Betrug, der nur dazu dient, die Flexibilität durchzusetzen.«

In der Ära des alten Parteichefs Georges Marchais (1970 bis 1994) sei es besser gewesen, meint sie. Sicher, es habe strengere Disziplin geherrscht als heute, und die innerparteiliche Demokratie sei nicht immer sonderlich entwickelt gewesen. »Aber wir akzeptierten das, weil wir glaubten, wir müssten der Zentralisierung des Kapitals mit seiner Fabrikdisziplin eine ebenso zentralisierte und durchorganisierte Kraft entgegensetzen.« Ihr Sohn Pascal, Mitte Zwanzig - er war lange Mitglied der KP-Jugend, arbeitet nun in der Gewerkschaft mit - widerspricht am Abendbrottisch : »Die Zeiten haben sich geändert. Man kann nicht so weitermachen wie früher, man muss den Einzelpersonen mehr Raum lassen.« Wohin die Entwicklung der Partei gehe, sei offen, im Prinzip sei eine Neuorientierung positiv.

Drei Kilometer entfernt wurde am letzten Donnerstag der Parteitag des Parti Communiste Fran ç ais (PCF) eröffnet, der dreißigste, seitdem die KP auf dem Kongress von Tours 1920 aus einer Spaltung der französischen Sozialdemokratie hervorging. Nicht weit von hier, in Marseille, hatte daraufhin die Mehrheitsfraktion der gespaltenen Sozialisten 1921 die Kommunistische Partei begründet.

Eine Gegend also, mit der französische Kommunisten die Tradition verbinden. Trotzdem sind vor der großen Halle von Martigues keine roten Fahnen aufgezogen. Schon auf dem letzten Kongress im Dezember 1996 waren Hammer und Sichel aus dem Arsenal der Partei entfernt worden. Für jene, die der von Parteisekretär Robert Hue ausgerufenen mutation, die Veränderung, der KP mit Skepsis, Kritik oder offener Ablehnung gegenüberstehen, ein neues Anzeichen für die »reformistische Selbstaufgabe« und »schleichende Sozialdemokratisierung« der Partei.

Doch unter den Kongress-Delegierten bleiben sie in der Minderheit. Am Sonntagvormittag werden sich zum Abschluss 50 von ihnen zur Protestdemo vor dem Kongress ihrer eigenen Partei versammeln - für die französische KP ein ungewohnter Akt, der noch vor wenigen Jahren unerhört gewesen wäre.

Die explizite Kritik bleibt auf dem Kongress im Wesentlichen auf jene »orthodoxen«, »konservativen« Kreise beschränkt, die den alten Strukturen der KP aus der Zeit verhaftet bleiben, da sie noch dem »sowjetischen Modell« folgte. Eine Ausnahme bildet etwa Charles Hoareau, der populäre Führer der CGT-Arbeitslosenkomitees aus Marseille. Er rief am Donnerstag dem Kongress zu : »Ich bin weder ein mutard noch ein Konservativer. Sicherlich muss sich eine Partei ändern, die bei den Wahlen der letzten Jahre ordentlich auf die Mütze bekommen hat. Die Frage ist nur: wohin?«

900 Delegierte und 500 Gäste nahmen in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche am 30. Kongress des PCF teil. Zum ersten Mal ist die Gesamtheit der übrigen Linkskräfte vertreten, vom sozialdemokratischen Fran ç ois Hollande bis zu den einst als »Verräter am kommunistischen Lager« verfemten Trotzkisten. Nach wie vor sind die ausländischen KP vertreten, die schon längst nicht mehr als »Bruderparteien« bezeichnet werden: von der italienischen oppositionellen Rinfondazione Comunista und der mitregierenden »Partei der italienischen Kommunisten« PdCI über die deutsche PDS und die Kubaner bis hin zur vietnamesischen Staatspartei.

Nicht eingeladen, ja ausdrücklich unerwünscht sind zum ersten Mal die Russen. Bereits 1996 hatte die französische KP antisemitische Töne des russischen KP-Vorsitzenden Gennadi Sjuganow kritisiert. Die nationalistische Position der russischen KP zum jüngsten Tschetschenien-Krieg hatte schließlich Anfang des Jahres zu ihrer Ausladung geführt.

Die im Januar 1994 gewählte Führung unter dem Nationalen Sekretär Robert Hue, die letzte Woche ihren zweiten Parteikongress bestritt, hatte nach dem 28. Parteitag eine Reform der KP an Haupt und Gliedern in Aussicht gestellt. Damit sollte der damals erklärte »Bruch mit dem sowjetischen Modell« im Inneren der Partei umgesetzt werden. Zugleich sollten die gesellschaftliche Rolle und das Selbstverständnis der Kommunistischen Partei radikal neu definiert werden, nachdem einige ihrer alten Gewissheiten, etwa über die Rolle der Arbeiterklasse und der KP, den etappenmäßigen Verlauf der Geschichte und die Natur der Länder des »realen Sozialismus«, zerbrochen waren.

Die Parteiführung versucht, die KP als eigenständige politische Kraft durch eine betonte Öffnung in mehrere Richtungen zugleich zu profilieren. So wird die Beteiligung an einer sozialdemokratisch geführten Regierung, deren Wirtschaftspolitik häufig genug sozial-liberale Züge trägt, ebenso als Ausdruck einer Öffnungspolitik dargestellt wie die neue Offenheit gegenüber sozialen Bewegungen.

Die KP, deren realer Einfluss auf den Kurs der Jospin-Regierung ausgesprochen begrenzt ist, versucht sich sogar als verlängerter Arm der sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft innerhalb der Regierung zu profilieren, etwa wenn Hue auf dem Parteitag angesichts massiver Streiks und Proteste der Beschäftigten im Bildungswesen und in der Finanzverwaltung seine an Regierungschef Jospin gerichtete Forderung nach einem »Frühling für das kleine Volk auf der Straße« wiederholt.

Die bekannte Feministin und Trotzkistin Maya Surduts bleibt skeptisch. Am Ausgang des Parteitags-Forums, das am Freitagvormittag über »Die strategischen Orientierungen der KP« diskutiert, kommentiert sie: »Die 'soziale Bewegung' wird ständig beschworen. Einige der Delegierten, die dies hier geäußert haben, tun dies ehrlich und auf differenzierte Weise. Bei anderen geschieht es mitunter gebetsmühlenartig, und 'die soziale Bewegung' hat als Generalformel 'die Arbeiterklasse' abgelöst, als deren Vertretung man sich so lange ausgab.«