Polizei-Morde in Griechenland

Aufgesetzte Schüsse

Personenkontrolle in der Altstadt von Thessaloniki. Als eine Zivilstreife der Polizei drei Jugendliche überprüfen will, versucht einer abzuhauen. Nach kurzer Flucht stellt ihn der Polizeibeamte Georgos Atmatzidis. Bei dem Versuch, Handschellen anzulegen, kommt es nach Aussage des Beamten zu einem Gerangel, bei dem sich ein Schuss aus seiner Dienstwaffe löst. Der 18jährige Nikos Leonidis, ein unbewaffneter russischer Einwanderer mit griechischen Vorfahren, ist sofort tot: Getötet durch einen aufgesetzten Kopfschuss knapp hinter dem Ohr. So geschehen am Samstag, dem 25. März 2000, nachts um Viertel nach drei.

Es war das dritte Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren, dass ein Polizist in der nordgriechischen Metropole einen jungen Immigranten faktisch hinrichtete. Am 10. Oktober 1997 hatte ein Albaner versucht, sich einer Polizeirazzia am Hauptbahnhof zu entziehen. Er starb durch einen Schuss in den Rücken. Am 23. Oktober 1998 erwischte es den siebzehnjährigen jugoslawischen Schüler Marko Bulatovic, der sich auf einer Klassenfahrt in Griechenland befand. Ein Zivilfahnder der Polizei tötet ihn mitten im Stadtzentrum mit einem aufgesetzten Schuss ins Herz.

In beiden Fällen gaben die Polizisten an, die Schüsse hätten sich versehentlich gelöst, in beiden Fällen wurden sie freigesprochen und verrichten weiter ihren Dienst. Gegen Atmatzidis wird jetzt zwar wegen Mordes ermittelt. Doch im Anschluss an seine Vernehmung wurde er am Mittwoch vergangener Woche gegen eine Kaution von umgerechnet 1800 Euro auf freien Fuß gesetzt. 500 jubelnde Kolleginnen und Aktivbürger empfingen ihn vor dem Gerichtsgebäude.

Gleichzeitig wohnten 600 Menschen, die meisten von ihnen russische Immigranten, der Beerdigung von Leonidis bei. Die Atmosphäre war gespannt. Schon am Sonntag, keine zwölf Stunden nach dem tödlichen Schuss, hatten fast 100 Anarchistinnen und Anarchisten die Polizeiwache der Altstadt angegriffen und innerhalb weniger Minuten den Eingangsbereich und sechs Dienstwagen zerstört. Bei der anschließenden Fahndung wurden zehn angeblich verdächtige Personen festgenommen.

Am nächsten Tag blockierten etwa 400 russische Immigranten stundenlang eine Hauptverkehrsader und erreichten so die Freilassung der Festgenommenen. Kurzfirstig funktionierte das Demobündnis zwischen AnarchistInnen und russischen Immigranten also recht gut, doch schon am Wochenende demonstrierten nur noch Linke gegen den Polizeiterror. Die Russinnen und Russen, das hatte sich schnell gezeigt, sind leider auch nicht frei von Rassismus. Sie fordern zum Beispiel die »konsequente Abschiebung illegaler Albaner«.

Zusätzlich aufgeladen wird die gespannte Stimmung durch den Wahlkampf, in dessen heißester Phase sich Griechenland gerade befindet. Die Auseinandersetzung in Thessaloniki passt haarscharf in den fremdenfeindlichen Sicherheitsdiskurs, den vor den Wahlen am 9. April vor allem die oppositionelle Rechtspartei Nea Demokratia betreibt.

Auf einen Wahlsieg der Rechten hofft offenbar Georgos Anastasiadis, der Sprecher der Polizeivereinigung Thessaloniki. Er verlangte für die Polizeibeamten ein erweitertes Recht auf Anwendung der Schusswaffe. Auch bei dem Angriff auf die Polizeiwache, stellte der Polizisten-Sprecher fest, »wäre ein Schusswaffengebrauch gerechtfertigt gewesen«.