Die Anti-AKW-Frühjahrskonferenz

Öko-Strom vom Sozi

Gegen Uran-Anreicherung, die Grünen und den entfesselten Kapitalismus. Die Anti-Atom-Bewegung traf sich zur Frühjahrskonferenz.

Hopp! Hopp! Hopp! Atomraketen stopp!« ruft der Lederjackenträger launig. Entspannt nimmt er einen tiefen Zug aus der Filterlosen, krault sich den angegrauten Vollbart und lacht. Doch niemand beachtet den Polizisten, der vor dem Autonomen Jugendzentrum Mülheim/Ruhr steht. Was diesen indes nicht weiter stört. Er steckt sich eine neue Fluppe an. Und ruft, nur unmerklich leiser: »Hopp! Hopp! Hopp!«

Die Anti-AKW-Bewegung und der Grünberockte haben eins gemeinsam: ein Kommunikationsproblem. Die Atomgegner und -gegnerinnen werden in der Ausstiegs-Debatte nicht wahrgenommen. Auf den beiden jährlichen Konferenzen widmen sie sich ihren jeweiligen Steckenpferden. Außerhalb des eigenen Umfelds findet die Bewegung, im Gegensatz zu früheren Jahren, allenfalls noch beim Thema Castor-Transporte Gehör.

So war es zumindest in den letzten Jahren. Doch nun soll alles anders werden. Beginnend mit der Anti-AKW-Frühjahrskonferenz, die am vergangenen Wochenende in Mülheim an der Ruhr tagte. Deren Motto: »Hinter der Strahlung steckt der Wert. Energiepolitik im entfesselten Kapitalismus.« Anvisiert war nicht weniger als eine grundsätzliche Neupositionierung der Bewegung. Wegen der Bewegungsflaute, wegen des Karlsruher Parteitags, auf dem die Grünen sich endgültig vom Sofortausstieg aus der Atomkraft verabschiedet haben, und nicht zuletzt wegen der Folgen der Strommarkt-Liberalisierung.

Darum waren statt Kleinstgruppen-Diskussionen über Spezialthemen gemeinsame, grundsätzliche Debatten angesagt. Über den Kapitalismus, die konkrete Utopie und das Verhältnis der Bewegung zu den Grünen, deren Befriedungspotenzial nicht unterschätzt werden dürfe, wie Mitorganisator Thomas Binger eingangs betonte. Es drohe ein Abfall weiter Teile der Bewegung, wenn Rot-Grün den Ausstieg aus der Atomkraft beschließe. Binger warnte gar vor einer »Abschaltung der Anti-Atomkraftbewegung«.

Nein, die Grünen sind bei den Atomkraftgegnern nicht mehr wohl gelitten. Die Partei sei von einer Ausstiegspartei zur Steigbügelhalterin der Atomindustrie mutiert, heißt es in einer Presseerklärung der Konferenzvorbereitungsgruppe. Historische Aufgabe der Grünen sei es, den Atomkonflikt zu befrieden, um so einen ungestörten Weiterbetrieb der Anlagen zu ermöglichen. Die Anti-Atom-Bewegung müsse nun »eine radikale Kritik am Konsensnonsens« organisieren. Es sei ein fataler Fehler gewesen, die Ausstiegsdebatte allein der Industrie und der rot-grünen Bundesregierung zu überlassen, kritisierte Thomas Binger.

Doch wie an diesem Punkt in die Offensive kommen? Allzu viel fiel den rund 130 Konferenzteilnehmern und -teilnehmerinnen zu diesem Thema nicht ein. Man will mit den Grünen öffentlichkeitswirksam brechen. Anlässlich der Verkündigung des Ausstiegskompromisses oder im Zuge der grünen Bundesdelegiertenkonferenz Ende Juni in Münster. Ein Teilnehmer forderte eine dem Farbbeutelwurf auf Joseph Fischer vergleichbare Aktion, um den Bruch zu dokumentieren. Doch dass man so in der Ausstiegsdebatte interventionsfähig wird, ist äußerst fraglich - zumal in einigen Redebeiträgen Unlust geäußert wurde, sich an »den Herrschenden« abzuarbeiten. Soweit zum ersten beschlossenen »Hauptschwerpunkt« der Bewegung.

Den zweiten soll eine Urankampagne bilden. Der Hintergrund: Mancher Aktivist, manche Aktivistin befürchtet, dass durch die geplanten Zwischenlager an diversen AKW-Standorten Castor-Transporte mittelfristig unnötig würden. Wodurch die Atomkritiker ihren Hauptkristallisationspunkt verlieren. Zudem würde dadurch die in Teilen der Bewegung favorisierte Verstopfungsstrategie obsolet werden. Denn wenn der Atommüll vor Ort zwischengelagert werden kann, sei es nicht realistisch, die AKWs »an ihrem eigenen Müll ersticken zu lassen« und sie so vom Netz zu blockieren, kritisierten einige Redner die Pläne von Verstopfungsstrategen wie Jochen Stay aus dem Wendland.

Folgerichtig will man sich künftig auf den Beginn der Brennstoffspirale konzentrieren. Konkret: Die bundesweit einzige Uran-Anreicherungsanlage, beheimatet im westfälischen Gronau. Dort wird Natur-Uran für den späteren Einsatz in Leichtwasserreaktoren vorbereitet, um sie dann zu AKWs in 15 Ländern zu transportieren. Jährlich finden rund 50 solcher Transporte statt. Derzeit läuft, genehmigt von der rot-grünen Landesregierung, der Ausbau der Anlagekapazitäten auf das Vierfache. Zudem steht der Bau einer Schienenerweiterung an. Was es zu verhindern gilt. Das Problem: Der ortsansässige Bauer mag bis dato seinen Klassenbrüdern in Wackersdorf oder Gorleben nicht so recht nacheifern. Der Widerstand vor Ort ist also bisher recht schwach verankert.

Doch was hat das alles mit dem »entfesselten Kapitalismus« zu tun? Eine Frage, die Ernst Lohoff von der Nürnberger Gruppe Krisis beantworten sollte. Nein, referierte denn auch Wertkritiker Lohoff, das Atomprogramm sei keine zufällige Verirrung, sondern logische Konsequenz des Kapitalismus. Dieser zeichne sich durch »Produktion um der Produktion willen« aus, was zu einer Entfesselung des Energieverbrauchs führe. Und: Für die Kraftwerksbetreiber bedeute Profitmaximierung Laufzeitmaximierung. Lohoff begab sich auf unbekanntes Terrain: Er machte Praxisvorschläge, plädierte für eine »neue Kultur der Verweigerung« und »Ökostrom für Sozialhilfeempfänger«.

Henrik Paulitz von der Siemens-Boykott-Kampagne berichtete über die Situation auf dem Atomtechnikmarkt, wo »ein ganz massiver globaler Konzentrationsprozess im Gange sei. Paulitz befürchtet global ein »langes Rückzugsgefecht« aus der Atomkraft, das nur durch Katastrophen oder effektiven Widerstand beschleunigt werden könne. Bedingt durch die Liberalisierung des europäischen Energiemarktes sei der Kostendruck auf die AKW-Betreiber gestiegen, so Paulitz. Was diese dazu verleite, an der Sicherheit zu sparen.

Manch ein Konferenzteilnehmer konnte mit so viel Polit-Ökonomie nicht viel anfangen. So zum Beispiel Wolfgang Ehmke. Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg betonte, dass für seine Standort-Initiative die existenzielle Bedrohung im Vordergrund stehe. Nicht die Kapitalismuskritik.

Trotz aller weitergehenden Debatten: Viele hier sind der Überzeugung, dass das einzige, was der Anti-AKW-Bewegung derzeit Auftrieb verleihen könne, ein neuer Castor-Transport wäre. Und der steht möglicherweise für den Herbst ins Haus. Die Nuklear Cargo+Service GmbH hat bereits beantragt, Brennelemente aus den Kernkraftwerken in Biblis, Philippsburg und Neckarwestheim abtransportieren zu dürfen. Derweil bestreitet Nordrhein-Westfalens Innenminister Fritz Behrens, dass schon ein konkreter Termin für den Transport feststünde. Jedenfalls stünden bis zum Abschluss der Expo nicht genügend Polizisten zur Verfügung, so Behrens. Kein Wunder, dass die Weltausstellung bei AKW-Gegnern und -Gegnerinnen in der Kritik steht.