Die Tricks des Rudolf Scharping

Operation Nebelwerfer

Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping ist ein Lügner. Zwei Beispiele.

Rudolf Scharping erklärt die Welt: »Die gegenwärtige Lage im Kosovo stellt sich weitgehend auch als Ergebnis eines nach mehreren Hinweisen offenbar bereits Ende letzten Jahres in Milosevics Umfeld erarbeiteten strategischen Planes mit der Bezeichnung 'Hufeisen' - serbisch: Potkova - dar«, ließ der SPD-Mann am 8. April 1999 auf der Homepage seines Ministeriums erklären. Detailliert wurde dargelegt, wie die »serbisch-jugoslawischen Kräfte im Kosovo« in einem »hufeisenförmigen Vorgehen« die UCK zerschlagen und die kosovo-albanische Bevölkerung »mit dem Ziel gewaltsamer regionaler demographischer Veränderungen« vertreiben wollten.

Für Scharping war das der Beweis: Hinter den Vertreibungen im Kosovo steckte Milosevic selbst, sie waren Teil einer längst beschlossenen »serbisch-jugoslawischen« Militärdoktrin und hatten nicht erst nach Beginn des Nato-Bombardements angefangen, sondern bereits im Januar, noch während der Verhandlungen von Rambouillet. Wer Scharping und Außenminister Fischer fortan vorwarf, mit ihrem Engagement für das Bombardement die massenhaften Vertreibungen mit verursacht zu haben, konnte einen Minister erleben, der mit tränenfeuchten Augen und moralgetränkter Stimme ein Papierchen hervorzauberte: eben den »Hufeisenplan«.

Der Plan passte dermaßen famos, dass kaum jemand auf die Idee kam, nachzufragen, wie der deutsche Militärminister eigentlich Kenntnis von einem solchen Konzept der jugoslawischen Regierung erhalten haben könnte. Das dauerte ziemlich genau ein Jahr. Jetzt ist ein Zweifler auf den Plan getreten, und es ist ausgerechnet ein deutscher Brigadegeneral außer Dienst. Heinz Loquai arbeitet seit vier Jahren als Berater für die OSZE in Wien und war zuständig für die zivilen Beobachter, die im Herbst 1998 den kurzfristigen Waffenstillstand zwischen der UCK und der jugoslawischen Armee überwachten. In seinem diese Woche erscheinenden Buch »Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg« bezweifelt er die Existenz des Hufeisen-Plans: »Die Widersprüche in der Beweisführung des Verteidigungsministers«, schreibt Loquai, »sind so groß, dass man begründete Zweifel an der Existenz eines solchen Dokuments (...) haben muss.«

Wie soll der Plan eigentlich den Weg von Milosevic zu Scharping gefunden haben? Das Verteidigungsministerium sagt, man habe das Dokument vom Auswärtigen Amt erhalten »und ausgewertet«. In der Fischer-Behörde bestätigt man, Unterlagen weitergegeben zu haben, die man von der bulgarischen Regierung erhalten habe. Und damit endet die Fährte auch schon: Die Regierung in Sofia dementiert, jemals Kenntnis von irgendeinem Hufeisen-Plan erhalten zu haben. Schon gar nicht habe man entsprechende Dokumente an die Deutschen weitergegeben.

Schon zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung wunderte sich etwa Gregor Gysi, warum der angebliche serbische Plan einen kroatischen Namen trägt: Das Wort »Potkova« existiert im Serbischen nicht, Hufeisen heißt auf Serbisch »Potkovica«. Kam dieses Wort in den angeblichen Dokumenten, die die Existenz des Hufeisen-Plans belegen sollten, kein einziges Mal vor? Oder liegt nicht die Erklärung nahe, dass der »Hufeisen-Plan« eine deutsche Wortschöpfung war, die nachträglich eingeserbischt wurde - schlecht, weil es in irgendeinem deutschen Ministerium nur veraltete serbokroatische Wörterbücher gab?

Das Hamburger Abendblatt stellte in seiner Ausgabe vom vergangenen Montag weitere peinliche Fragen: Nach Darstellung Scharpings enthält der Plan alle Einzelheiten bis »zur Nennung aller dafür einzusetzenden jugoslawischen Einheiten«. Auf der Homepage des Scharping-Ministeriums heißt es dagegen, der Plan sei »in seinen Details (...) nicht bekannt«. Das Abendblatt fragte nach und sprach schließlich mit einem »hohen Offizier des Verteidigungsministeriums«, der »süffisant lächelnd« erklärte, man habe »nie behauptet, dass es einen fertigen Plan gibt«, »letztendlich« habe auch nie »etwas aus erster Hand« vorgelegen, sondern lediglich »eine Analyse gewisser Nachrichtendienste«.

Und das war noch freundlich ausgedrückt. Die weiteren Recherchen der Hamburger Zeitung ergeben den folgenden Ablauf: Der österreichische Heeresnachrichtendienst (HNA) gelangte an »unstrukturiertes, analytisches Material eines Wissenschaftlers des bulgarischen Geheimdienstes«, das er an die Außenministerien der EU-Staaten weitergab, wo man das Material seiner Bedeutung entsprechend in die Ablage »Kurioses« gab. Nur in Bonn erkannte man den propagandistischen Nutzen der Unterlagen und schmiedete daraus den »Hufeisen-Plan« - obwohl diese Darstellung im krassen Widerspruch zu Erkenntnissen stand, welche die eigenen Geheimdienste kurz vorher gemeldet hatten: Jugoslawische Armee und Polizei seien »zu einer groß angelegten Offensive gegen die UCK im gesamten Kosovo (...) noch nicht fähig«, meldete das MAD-Referat FüS II 3 unmittelbar vor Beginn der Luftangriffe im März.

Dass Scharping einen instrumentellen Umgang mit der Wahrheit pflegt, hatte der stern schon vor zwei Wochen thematisiert. Unter der Überschrift »Rudi, der Lügner« berichtete das Magazin über den geplanten Verkauf von 64 mit Spür-Technologie ausgestatteten Radpanzern des Typs Fuchs an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Scharping hatte wiederholt beteuert, den Deal habe bereits die Regierung Kohl eingefädelt, es liege auch gar kein Antrag vor, und überhaupt seien die Panzer unbewaffnet, mithin nur »humanitär« einzusetzen, »reine Verteidigungswaffen«.

Baut man den Spür-Rüstsatz aus, handelt es sich beim »Fuchs« aber um einen stinknormalen Schützenpanzer, wie er rund um den Globus unter anderem vom Militär und von Spezialeinheiten der Polizei eingesetzt wird, wenn es darum geht, Soldaten und Polizisten möglichst nah an Menschenmengen heranzubringen. Darüber hinaus ist der Radpanzer annähernd beliebig erweiterbar: Daimler-Benz baute schon vor 15 Jahren ein Modell mit dem kompletten Geschützturm des Leopard II.

Das wird aber bei den für den Export in die VAE vorgesehen Fahrzeugen gar nicht nötig sein: Sie sind von vorne herein mit einem Schweren Maschinengewehr vom Kaliber 12,7 x 9 ausgestattet, das bei richtiger Munitionierung panzerbrechende Wirkung entfalten kann. »Unbewaffnet»? Kaum zu glauben, dass Scharping nicht davon wusste: Die Schießerprobung des Ensembles aus Schützenpanzer, Panzerturm der Augsburger Firma Kuka und Maschinengewehr übernahm freundlicherweise die Wehrtechnische Dienststelle für Schusstests. Und die ist Scharpings Haus direkt untergeordnet.

Gelogen war auch die Behauptung, es liege kein Antrag der VAE auf Ausfuhr von Fuchs-Panzern vor. Bereits im Oktober 1999 teilte das Verteigungsministerium dem »Fuchs»-Hersteller Henschel mit, »der Chef des Generalstabs der VAE, H.H. GenLt. Sheikh Mohamed Bin Zayed Al-Nahan« habe »in einem Schreiben an den Bundesminister der Verteidigung um Unterstützung durch die Dienststellen des Bundesministeriums der Verteidigung bei der beabsichtigten Beschaffung von ABC-Spürfahrzeugen gebeten«. Und die bekam er offenbar auch: Am 4. November 1999 trafen sich auf der Hardthöhe Beamte der Rüstungsabteilung des Scharping-Ministeriums. Der stern zitiert aus dem Sitzungsprotokoll: Scharping werde »bei seinem Treffen mit H.H. Sheikh Mohamed Bin Zayed Al-Nahan anlässlich der Dubai Air Show am 17. / 18.11.1999 die Unterstützung BMVg in dem o.a. Beschaffungsvorhaben bestätigen«.

Gelogen schließlich auch die Behauptung, der Panzer-Deal sei noch unter Kohl eingefädelt worden. Im März 1999 wurde lediglich eine allgemeine Rahmenvereinbarung über Rüstungszusammenarbeit getroffen. Erst Ende 1998 traf eine erste konkrete Voranfrage ein, die alsbald zustimmend im Bundessicherheitsrat behandelt wurde. Rot-Grün war gerade zwei Monate an der Macht. Hatten die Emirate darauf gewartet? In jedem Fall trafen sie auf deutlich verbesserte Rahmenbedingungen: Unter Kohl musste Saudi-Arabien für so etwas noch Staatssekretäre bestechen.