Regierungsumbildung in Frankreich

Revirement der Untoten

Mit einer Regierungsumbildung reagiert Frankreichs Premier Lionel Jospin auf soziale Proteste - und bereitet sich nebenbei auf die Präsidentenwahlen 2002 vor.

Der Premier recycelt den Müll«, spottet die Satirezeitung Charlie Hebdo über Lionel Jospins umweltverträgliche Regierungsumbildung. Tatsächlich ist das umgebildete Kabinett an Dienstjahren älter als das vorherige. Unter den Neuzugängen befinden sich auch abgehalfterte Größen aus dem einstigen Hofstaat des republikanischen Monarchen FranÙois Mitterrand. Dazu gehört der frühere Premier und jetzige Wirtschafts- und Finanzminister Laurent Fabius ebenso wie der neu ernannte Bildungsminister Jack Lang. Ihre Beförderung in Schlüsselpositionen stärkt die sozial-liberal ausgerichtete, New Labour nahe stehende rechte Strömung innerhalb der Regierungsmannschaft.

Auf der anderen Seite zeigte sich Jospin bemüht, auch den linken Flügel der Sozialdemokraten und die kleineren Koalitionspartner der Linksallianz stärker in die Regierung einzubeziehen. Grüne und KP wurden mit zusätzlichen Posten beglückt. So versucht Jospin, alle Kräfte innerhalb der eigenen Partei und der Koalition an sich zu binden.

Mit einem derartig verbreiterten politischen Bündnis tritt Jospin in die letzte Phase seiner Amtszeit, die in zwei Jahren mit der Einnahme des Elysée - des Sitzes des französischen Präsidenten - enden soll. Ambitionen auf das Präsidentenamt sind auch der wichtigste Grund für die Ernennung von Laurent Fabius zum Doppel-Minister. Jospins langjähriger Konkurrent in der Partei soll durch die Einbindung in die Politik Jospins neutralisiert werden.

Auslöser der Kabinettsumbildung waren die sozialen Proteste, die die Regierung seit knapp drei Monaten unter Druck setzen. Selbst in der Privatindustrie war es seit letztem Herbst immer wieder zu Streiks und Aktionen gegen die Regierung gekommen: Im Automobil- und im Metallsektor stieß die Einführung der 35-Stunden-Woche, die mit verstärkter Flexibilität und variablen Arbeitszeiten verknüpft ist, auf heftigen Widerstand. Der Gewerkschaftssoziologe Henri Vacquin sprach sogar von den ersten nennenswerten sozialen Konflikten im privaten Wirtschaftssektor seit 25 Jahren.

Vor allem aber der Öffentliche Dienst wehrt sich gegen Mittelkürzungen, fehlende Stellen und Privatisierungstendenzen. Bereits im November mobilisierten die Beschäftigten der öffentlichen Krankenhäuser gegen die zahlreichen Schließungen. Auch weit auseinander liegende Krankenhäuser wurden zusammengelegt, Bettenzahlen reduziert. In Pariser Hospitälern sind dadurch unerträgliche Zustände entstanden: Selbst in Notaufnahmen ist mit mehrstündigen Wartezeiten zu rechnen. Arbeits- und Sozialministerin Martine Aubry hat Anfang März Besserung versprochen: Die Gewerkschaften bezweifeln jedoch, ob die nun versprochenen zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro reichen werden, um die Löcher in der Gesundheitsvorsorge zu stopfen. Auch die in Aussicht gestellte 35-Stunden-Woche bleibt zunächst Gegenstand harter Verhandlungen.

Unausweichlich wurde die Regierungsumbildung schließlich, als zwei Sektoren auf die Straße gingen, die traditionell sozialdemokratische Wählerbastionen darstellen: Die Lehrerschaft und die Beschäftigten der Finanzämter. Seit seinem Amtsantritt hatte der sozialdemokratische Bildungsminister Claude Allègre sich mit allzu saloppen Äußerungen über Lehrerinnen und Lehrer unbeliebt gemacht, die angeblich wenig arbeiteten, lange Urlaubszeiten genössen und noch dazu gerne krank feierten.

Die Protestbewegung ins Rollen gebracht hatten vielerorts die Eltern schulpflichtiger Kinder, die in großer Zahl gegen Klassenschließungen und für die Neueinstellung von Lehrern protestierten. Mit einer Reform versuchte Allègre, auf die aus zunehmenden sozialen Problemen resultierende verminderte Lernfähigkeit vieler Schülerinnen und Schüler zu reagieren. Geplant war eine individuelle Betreuung lerngestörter Schulpflichtiger. Zusätzliche Mittel wollte der Minister dafür jedoch nicht aufwenden. Besonders Allègres Forderung, das allgemeine Lernniveau von Schulen in »sozialen Problemgebieten« zu senken und damit eine Art Zwei-Klassen-Ausbildung einzuführen, stieß auf erbitterten Widerspruch.

Gleichzeitig protestierten die Finanzbeamten gegen Entlassungen. 10 000 Beschäftigte der Finanzbehörden demonstrierten und legten zum Stichdatum für die jährliche Steuererklärung den Apparat der Finanzverwaltung lahm - Wirtschafts- und Finanzminister Christian Sautter musste aufgeben.

Jospin hat seine Lehre daraus gezogen, wie es die konservative Regierung unter Alain Juppé mit ihrer arroganten Haltung und ihrer neo-liberalen Frontaloffensive schaffte, alle Proteste und gesellschaftlichen Widerstände gegen ihre Politik zu bündeln. Er gibt sich alle Mühe, die Fehler seiner Vorgänger zu vermeiden. Von Anfang an zeigte sich die Regierung Jospin demonstrativ um »Dialog« und die Einbindung möglicher sozialer Widerstandspotenziale bemüht. Letzte Woche mussten drei der Minister abdanken, die am stärksten unter Druck sozialer Protestmobilisierungen geraten waren.

Neben Finanzminister Christian Sautter und Bildungsminister Allègre musste ƒmile Zuccarelli, der Minister für den Öffentlichen Dienst, seinen Hut nehmen. Ihm war es nicht gelungen, die Gewerkschaften zur Unterschrift unter ein Abkommen zu bewegen, mit dem die 35-Stunden-Woche, verbunden mit erhöhter Flexibilität, unregelmäßigen Arbeitszeiten und Wochenend-Arbeit im Öffentlichen Dienst eingeführt werden sollte.

Tatsächlich scheint der Personalwechsel in den Ministerien erst einmal für Ruhe zu sorgen. Zwar haben die Gewerkschaften angekündigt, den neuen Ministern drohe das Schicksal ihrer Vorgänger, sollten sie deren Politik fortsetzen. Die Demonstrationen der letzten Woche jedoch hatten weniger Teilnehmer als in zuvor. Dabei hat sich bisher wenig verändert. Jack Lang, der in den frühen neunziger Jahren schon einmal für die Bildung verantwortlich war, hielt sich zurück und berief sich auf seine Unkenntnis der anstehenden Probleme: Er wollte ganz offensichtlich auf Zeit spielen. Premier Jospin betont vor dem Parlament die Kontinuität der Regierungspolitik: Es gebe gar keine neue Regierung, sondern lediglich eine »Umbesetzung innerhalb der Regierung«.

Eine wirkliche Erneuerung bedeutet die Regierungsumbildung vor allem für Grüne und KP sowie für den linken Flügel der Sozialdemokraten. Die beiden kleineren Parteien erhalten jeweils ein zusätzliches, neu gebildetes Ministerium: Die Grünen das Ressort für »Solidarisches Ökonomie«, die Kommunisten jenes für »Kulturelles Erbe und Dezentralisierung des Kulturlebens«. Die Gauche Socialiste erhält ein ebenfalls neu gebildetes Ministerium für Berufsausbildung.

Die KP hat dabei wesentlich weniger Grund zur Zufriedenheit als die Öko-Partei. Denn die Grünen erhalten ein Ressort, das ihrem politischen Profil und den Wünschen ihrer Klientel entspricht: Im Ministerium für die »Solidarische Ökonomie« werden sie sich vor allem um den Non-Profit-Sektor der alternativen Betriebe, Initiativen und Kooperativen kümmern. Die KP hat dagegen ein weiteres Mal ein rein technisches Ressort erhalten. Das neue Ministerium wird vor allem dazu nützlich sein, das Image der Partei bei Intellektuellen und Kulturschaffenden aufzubessern. Ob gewollt oder nicht, dass ausgerechnet die KP künftig für die Verwaltung der Museen zuständig sein wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.