Schweizer Volkspartei und EU

Blochers harte Wochen

Die Schweizerische Volkspartei spaltet sich an der Frage nach einer engeren Zusammenarbeit mit der EU.

Die Delegierten mampften Brühwürste und Kartoffelsalat, während die Parteifunktionäre am Rednerpult verzweifelt versuchten, sich gegen Stimmengewirr und Essengeräusche durchzusetzen. Die Atmosphäre bei der Delegierten-Versammlung von Christoph Blochers Schweizerischer Volkspartei (SVP) in Appenzell am vergangenen Wochenende glich eher einem Volksfest als einer politischen Veranstaltung. Dabei war der Anlass alles andere als unterhaltsam. Die SVP wollte auf dem Parteitag ihre Einstellung zu den Bilateralen Verträgen der Schweiz mit der Europäischen Union (EU) klären.

Blocher hatte gleich zu Beginn die Verträge in einem Grundsatzreferat abgelehnt, aber erneut betont, dass er sich nicht am Abstimmungskampf beteiligen werde. Sein bekanntester parteiinterner Gegenspieler, Bundespräsident Adolf Ogi, plädierte hingegen für Zustimmung, da die Verträge den »Wirtschaftsstandort Schweiz« stärken sowie »den Aufschwung fördern und Arbeitsplätze sichern« würden.

Die Bilateralen Verträge, über die am 21. Mai abgestimmt werden soll, regeln in sieben Teilverträgen die Beziehungen der Schweiz zur EU, wie etwa die künftige Zusammenarbeit bei Forschung und Handel. Umstritten sind der freie Personenverkehr und das so genannte Landverkehrsabkommen, das die Zulassung von Schwerlast-Lkws in der Schweiz vorsieht. Unter den Bauern, von denen viele politisch der SVP zuneigen, regt sich auch Opposition gegen das Landwirtschaftsabkommen, das eine weitgehende gegenseitige Marktöffnung impliziert.

Diese Gegner betreiben ein zwar undurchsichtiges, aber politisch erfolgreiches Doppelspiel: Sie kritisieren die unerfreulichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die vielen Landwirten durch die Liberalisierung des Weltmarktes erwachsen. Nur: Die bereits beschlossene Umgestaltung der Schweizer Landwirtschaftspolitik wird auch ohne Zustimmung zu den Bilateralen Verträgen umgesetzt werden.

Der Volkstribun Blocher steht angesichts der Verträge vor einem Dilemma. Als milliardenschwerer Großunternehmer, der rund neunzig Prozent seiner Produkte exportiert, muss er an den Bilateralen Verträgen interessiert sein. Als Führerfigur der Nationalisten lamentiert er über die Anlehnung der Schweiz an internationale Organisationen und die Lockerung der Einwanderungsbestimmungen.

Blochers SVP hatte zwar selbst vor acht Jahren den Abschluss von Bilateralen Verträgen mit der EU vorgeschlagen, allerdings nur aus taktischen Gründen im Abstimmungskampf um den umstrittenen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Anfang Dezember 1992 lehnten die Schweizer Stimmbürger dann den EWR-Beitritt knapp ab und sorgten für Blochers bis dahin größten politischen Triumph.

Damals hatten auch die Grüne Partei und lokale linksalternative und feministische Gruppen den EWR-Beitritt bekämpft, doch als eigentlicher Sieger ging das gesamte nationalistische und konservative Lager aus der Abstimmung hervor. Das reicht von Blochers SVP über die traditionell xenophoben Schweizer Demokraten bis hin zu den religiösen Fundamentalisten der Katholischen Volkspartei (KVP) und der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) sowie Blochers Massenorganisation Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns).

Diesem national-konservativen Lager gehören viele lokal tätige Aktivisten an, die ebenso skrupellos wie eifrig gegen eine außenpolitische Öffnung der Schweiz wie auch gegen Linke und Ausländer ankämpfen. Viele von diesen Aktivisten, die sich als Blochers treueste Polit-Freunde verstehen, haben im vergangenen Herbst erfolgreich Unterschriften für eine Volksabstimmung über die Bilateralen Verträge gesammelt.

Nun beschimpfen sie Blocher als »Verräter« und »Feigling«. Ein Basler Komitee für Demokratie und Freiheit, angeführt von Schweizer Demokraten, schreibt beispielsweise: »Das Volk kämpft wie David gegen den Riesen Goliath der Wirtschaft, besonders jetzt, wo gewisse Leute, die sonst gerne das große Wort führen, sich plötzlich feige verdrücken.«

Deutlich zeigten sich solche Aversionen gegen Blocher auch auf dem SVP-Parteitag. Die rund 500 Delegierten erhielten nach den vorbereiteten Referaten und den Brühwürsten die Möglichkeit zur Diskussion. Die Mehrheit der Redner forderte dabei - unter johlendem Applaus Gleichgesinnter - ein Nein der SVP zu den Bilateralen Verträgen. Sie unterlagen aber in der Schlussabstimmung. Rund 60 Prozent der Delegierten bejahten die Bilateralen Verträge. Das Resultat ist eine empfindliche Niederlage für Blocher und seine Vertrauten.

Die Spannungen auf dem Parteitag sind dabei nur der Höhepunkt einer schon länger anhaltenden Auseinandersetzung innerhalb der Volkspartei. Sie entzündete sich vor allem an der Frage des politischen Stiles und an der Zukunft der Schweizer Sozialversicherungen, insbesondere der Altersrente (AHV).

Bereits Anfang März hatte sich die SVP auf einem Sonderparteitag mit der Zukunft der Schweizer Sozialversicherungen befasst. Der wegen parteiinterner Querelen gelähmten Sozialdemokratischen Partei (SPS) sollte damit ein wichtiges Thema streitig gemacht werden.

Doch der SVP-Ausflug in die Sozialpolitik missriet gründlich. Weil einige SVP-Exponenten laut über eine Erhöhung des Rentenalters nachdachten, erhob sich daraufhin - kräftig gefördert von der Boulevard-Zeitung Blick - heftiger Protest gegen die SVP-Millionäre, die Steuererleichterungen für die Gutverdienenden und Kürzungen bei den Sozialschwachen verlangten. Die SVP-Parteileitung spielte die Vorschläge umgehend herunter.

Nicht so schnell unter den Teppich kehren ließen sich die SVP-Auseinandersetzung um den politischen Stil. Blocher hatte Ende Februar den Text einer Rede in alle Haushalte verteilen lassen, in der die Schweizer Sozialdemokraten in die Nähe der Nazis gerückt wurden. Die Sozialdemokraten verlangten umgehend eine Entschuldigung. Ansonsten würden sie sich aus den parteiübergreifenden Gesprächen der Regierungsparteien zurückziehen.

Blocher dachte jedoch nicht daran, sich zu entschuldigen, sondern eskalierte den Streit. Er veröffentlichte umgehend einen Aufruf »Freiheit statt Sozialismus. Aufruf an die Sozialisten in allen Parteien«. Offensichtliches strategisches Ziel des Pamphlets: Der Sozialstaat sollte als »sozialistisches« Relikt diffamiert werden, um die Sozialdemokraten aus der Regierung zu drängen. Daraufhin distanzierten sich verschiedene SVP-Parteiexponenten von Blocher, einige schlossen eine Parteispaltung nicht mehr aus.

Blocher erwartet in den kommenden Wochen weiteres politisches Ungemach. Auch die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), sonst von Blocher nach Belieben dominiert, wird am 13. Mai - unmittelbar vor der Volksabstimmung über die Bilateralen Verträge - eine heftige Jahresversammlung erleben.

Verschiedene rechte Organisationen haben ihre Auns-Mitglieder aufgefordert, auf der Jahresversammlung mit Nein zu stimmen. Der Auns-Vorstand hat jedoch wiederum beantragt, keine Empfehlungen zu diesem Thema zu verabschieden, da es bei den Bilateralen Verträge nicht um die Unabhängigkeit der Schweiz gehe.