Urteil im Irving-Prozess

Dekonstruktion des Revisionismus

Den britischen Revisionisten David Irving bezeichnete die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt in ihrem Buch »Die Leugner des Holocaust - der wachsende Angriff auf die Wahrheit und die Erinnerung« zutreffend als einen der gefährlichsten Holocaust-Leugner. Irving klagte wegen angeblicher Verleumdung gegen Lipstadt und ihren Verlag Penguin. Es folgte ein Prozess, dessen vorbereitende Beweisaufnahme zwei Jahre in Anspruch nahm. Am 11. April fällte Justice Charles Gray das Urteil. Jetzt hat Irving gerichtsoffiziell, was er eigentlich verbieten lassen wollte: Er ist, heißt es im Urteilstext, »ein aktiver Holocaust-Leugner, Antisemit, Rassist und verbündet sich mit Rechtsextremen, die für den Neonationalsozialismus eintreten«.

Das über 300 Seiten starke Urteil, in das die Gutachten von Historikern und Politikwissenschaftlern (unter anderem von Christopher Browning, Peter Longerich und vor allem Richard Evans) eingeflossen sind, weist nach, dass Irving zu diesem Zweck geschichtliche Daten und Dokumente »durchgehend und absichtlich verfälscht und manipuliert hat und Hitler in einem unverantwortlich freundlichen Licht porträtiert«.

Noch nie ist so umfangreich und erschöpfend anhand zentraler Werke David Irvings rekonstruiert worden, wie er durch leichte Abwandlungen seine auch für Historiker einmaligen Archiv- und Dokumentenkenntnisse nutzt, um Hitler zu ehren und eine »internationale jüdische Verschwörung« zu konstruieren. Juden sind in Irvings Sicht nicht nur für ihr eigenes Schicksal verantwortlich - sie haben es auch verdient. Dass Irving zugleich den Holocaust an den Juden im Kern bestreitet, gehört zu seinen nicht untypischen Widersprüchlichkeiten.

Für die historische Wissenschaft ist Irvings Fanatismus erst wirklich sichtbar geworden, als er 1988 in das Lager der radikalen mit Neonazis verbundenen Holocaust-Leugner konvertierte. Von da an kooperierte er in Deutschland nicht mehr nur mit DVU und NPD, sondern auch mit den Neonationalsozialisten um Michael Kühnen und Christian Worch. Seine Reden sind Paradebeispiele antisemitischer Agitation eines Holocaust-Leugners, und sie führten schließlich zu seiner Ausweisung aus Deutschland.

Die Resonanz der internationalen Medien auf den Londoner Prozess war enorm. In Deutschland war die Berichterstattung Eva Menasses in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die genaueste. Als skandalös wurde dagegen vom internationalen Forschungsteam ein Artikel des Autors Jürgen Krönig interpretiert, der am 6. April im Feuilleton der Zeit erschien und nicht nur Irvings Position verharmlost. Irving, schreibt Krönig, glaube ja auch, dass »viele Juden umgebracht wurden«, er bestreite »nur die Zahl von 6 Millionen«.

Tatsächlich bestreitet Irving nicht »nur« die Zahl von sechs Millionen, sondern den Holocaust selbst und beziffert etwa die Zahl der in Auschwitz Getöteten auf wechselweise 100 000 oder 50 000 - »so viel wie in einer Nacht von uns in Hamburg getötet« worden seien. Der Zeit-Autor hält den Prozess um Irving für das Resultat der »Entschlossenheit jüdisch-amerikanischer Kreise, die Leugner des Holocaust und ihren 'Revisionismus' (...) niederzuringen«. Das ist kaum anders in den antisemitischen Entgleisungen David Irvings während des Prozesses formuliert worden.

Abgesehen von diesen eher neurechten Äußerungen dürften der Prozess und sein Resultat es kaum noch erlauben, David Irving weiterhin als Herausforderung an die historische Wissenschaft anzusehen - auch nicht für jemanden wie Ernst Nolte. Die Wirkung dürfte für die Holocaust-Leugner selbst erheblich sein, denn mit Irvings Niederlage ist ihnen nun endgültig der beredteste Agitator weggefallen.

Der Autor, Professor für Politologie an der FU Berlin, war Gutachter im Irving-Prozess. Demnächst erscheint: Hajo Funke / Thomas Skelton-Robinson: David Irving. Eine Karriere im braunen Netz. Verlag Das Arabische Buch, Berlin.