Die Bier- und Getränke-Messe

Durst ist nichts, Image ist alles

Gefährliche Orte C: Die Bier- und Getränke-Messe. Hier gibt es nicht nur Bier und Getränke, sondern vor allem Konsumenten.

Bier ist nicht gleich Bier. Wer schon einmal eine Berliner Biersorte gekostet hat, weiß das. Und damit der Berliner erfährt, dass es außer dem in der Hauptstadt zusammengebrauten Zeug, das ihm unter dem Namen Bier angeboten wird, auch ein Getränk gibt, das diese Bezeichnung verdient, findet in unregelmäßigen Abständen eine Bier-und Getränke-Messe statt.

Damit der Messe-Besucher einen guten Grund hat, sich volllaufen zu lassen, hat der Veranstalter sich als Ort des Geschehens Berlin-Mariendorf ausgesucht. Dort angekommen, entdeckt der aufgeschlossene Hobby-Trinker jedoch nicht nur durstlöschende Feinkost-Alkoholika, sondern hauptsächlich Biere, die die Welt nicht braucht. Neben den üblichen unappetitlichen Zwittergetränken wie »Caipirinha-Bier«, »Hanf-Bier«, »Tekkno-Bier« und »Viagra-Bier« findet man Biere, die so tun, als seien sie etwas ganz besonders Exquisites. »J.F. Pierson« heißt ein Angeber-Getränk, das in Piccolofläschchen daherkommt. Es wird nicht etwa schnöde gebraut, sondern natürlich »komponiert«. »Wir wollen weg von diesem Eckkneipen-Biertrinker-Image«, sagt der solariumsgebräunte Promoter. Die blasierte Schlipsträger-Kundschaft, die den Stand umlagert, nickt und bestaunt ehrfürchtig die Flaschenform, die geschickt kaschieren soll, dass es sich bei der Plörre um nichts Anderes als Bier handelt. Durst ist nichts, Image ist alles.

Genau das hat sich auch eine Rostocker Brauerei gedacht, die derzeit zu Werbezwecken gezielt »ausgewählte Szeneläden« mit ihrem Gebräu namens »Roter Oktober« beliefert. Die Bierflaschen, jede einzeln in russisches Zeitungspapier eingewickelt, sind in Munitionskisten verpackt. Die Promotion-Guys, so wird mitgeteilt, seien bei ihrem Gang durch die einschlägigen Bars »mit einer Rotarmisten-Uniform bekleidet« und verkünden dem Kneipenpublikum, das Bier stamme »aus Restbeständen der Sowjetunion«. Die solcherart angepriesene Brühe, so poltert es einem aus dem zugehörigen Prospekt entgegen, sei der »ultimative Garant für einen revolutionären Aufbruch«. Denn der revolutionäre Kampf beginnt dort, wo Lenin ihn wohl kaum vermutet hätte: am Kronenkorken. Ist eine solch abgefeimte Vermarktungsstrategie der ultimative Garant für einen fetten Umsatz? Und beginnt nicht der revolutionäre Kampf um den potenziellen Konsumenten bereits mit dem Produktnamen?

Die anvisierte Zielgruppe von »Titanic Ice Beer« sind beispielsweise vor allem »die jungen Bierfreunde«. Und genau die - ungewöhnlich kurzhaarig und bekleidet mit Bomberjacken und Böhse-Onkelz-Hemden - stehen auch um einen Tisch herum und grunzen sich gegenseitig Unverständliches zu. »Das absolut chille Feeling«, das dem Trinkenden versprochen wird, scheint bei den schläfrig dreinblickenden Herrschaften am Tisch rascher als geplant eingetreten zu sein. Doch bei eingehenderer Betrachtung erkennt man, dass insbesondere der Inhalt der vor ihnen stehenden Batterie Schnapsfläschchen dazu beigetragen hat. Natürlich sind sie allesamt leer. Am Stand daneben wird ein Kräuterschnaps namens »Zielwasser« angeboten. Das Etikett zeigt zwei über einer Zielscheibe gekreuzte Gewehre. So wächst zusammen, was zusammengehört.

Diese beschriebene Konsumenten-Schicht wird auch fleißig von anderen - deutlich vaterlandsbewussteren - Herstellern umworben. Die punktgenau und kundenfreundlich zwischen Cottbus und Finsterwalde angesiedelte Schloßbrauerei Fürstlich-Drehna preist nicht bloß ihre so genannten Heimatbiere als besondere Spezialität an, sondern hat vorsorglich und konsequent auch ihre Werbebroschüre in Braun gestaltet. Passend dazu das nebenan erhältliche ostdeutsche Starkbier: Es trägt den Namen »Männerstolz« (»Das potente Bier«).

Wer nun aber noch immer nicht genug hat, der kann sich zusätzlich noch ein paar »Kaiser Wilhelm II. Premium Pils« hinter die Binde kippen: »Die Idee zum Bier entstand in einer jährlichen Runde anlässlich Kaisers Geburtstag. Inzwischen prangt stolz das kaiserblaue Etikett mit Kaiser Wilhelm II. auf der Flasche.« Der Hohenzollern-Kaiser habe dem Schweden eins vor den Latz gehauen und »uns das Reich gegeben«, heißt's ehrfürchtig und stolzgeschwängert aus dem Gedicht, das dem Gerstensaft beigegeben ist - als ob die Flasche nicht wegen ihres Inhalts erstanden würde.

Wem aber weder nach Bier noch nach Vaterland zumute ist, dem bleibt wohl oder übel nur die Gelegenheit, sich am alkoholfreien Angebot gütlich zu tun. Außer ekligen Biosäften, Heiltrünken und dem erkennbar nach Club-Cola riechenden Guarana-Bio-Cola sind erstaunlich viele taurinhaltige Zuckerblubberwässerchen auf der Messe zu finden. Die gnadenlos euphemistisch als »Energy drinks« betitelten Flüssigkeiten haben Namen wie »Koks« und »Dynamite« und versorgen Szene-Idioten und die Workaholic-Deppen der Neuen Mitte gleichermaßen mit Traubenzucker und künstlichen Aromen. Die Mineralwasserstände hingegen sind ziemlich verwaist.

Je später der angebrochene Nachmittag, desto mehr verwandeln sich die Tempelhofer Messeräume sichtlich zu einem kleinen, aber feinen Alkoholiker-Paradies. Es ist ein deutlicher Zustrom an Trinkhallen-Publikum und Eckkneipen-Sitzern zu verzeichnen. Die Flaschen haben schön bunte Etiketten, und was drin ist im Nuckelgefäß, ist irgendwann nicht mehr wichtig. Einfach runter mit dem Stoff.

Wirft man beim Rundgang durch die beiden Ausstellungsräume einen Blick auf die zahlreich anwesende Besucherschar, fällt auf, dass sich hier nicht nur die schon sehr angetrunkenen, wohl aber immer noch durstigen nationalen Männergruppen herumtreiben. Auch einigen umherschweifenden Einzelpersonen begegnet man beim Messerundgang immer wieder. Besonders auffällig ist ein rotgesichtiger, überzeugter Flaschenbier-Trinker mit befriedigten Gesichtszügen, der leicht taumelnd eine vollbepackte Tasche hinter sich herschleift. Der Inhalt: ausschließlich Bierflaschen, wie sollte es anders sein. Bei jedem Aufeinandertreffen trägt er eine andere Biersorte in seiner Hand. Unzweifelhaft ist er ein Profi. Auf seinem T-Shirt verkündet er die Botschaft, die ihm offensichtlich den Weg zu Weisheit und innerem Frieden gewiesen hat: »Have another beer«. Manchmal ist Bier eben doch gleich Bier.