Namibia im Sog des angolanischen Bürgerkriegs

Kampf um den Zipfel

Kurz nach den Feiern zum zehnten Jahrestag der Unabhängigkeit droht Namibia in den angolanischen Bürgerkrieg gezogen zu werden.

Manchmal konnte man so viel Lob kaum noch ertragen: Namibia habe eine Verfassung, die weltweit zu den demokratischsten gehöre; die »Politik der Versöhnung« zwischen ehemaligen Bürgerkriegsfeinden werde effektiv umgesetzt; schließlich gehöre das südafrikanische Land zu den wenigen afrikanischen Staaten, auf deren Territorium nach der Unabhängigkeit noch kein Krieg oder Bürgerkrieg stattgefunden habe. All das haben europäische und US-amerikanische Medien stereotyp über Namibia geschrieben, seit vor etwas mehr als zehn Jahren mit der Ratifizierung der UN-Resolution 435 die Unabhängigkeit des Landes in Kraft trat.

Doch seit Anfang dieses Jahres hat sich die Situation verändert: Zwar wurde nicht geschossen, als am 21. März Präsidenten aller Staaten des südlichen Afrika mit dem namibischen Staatschef Sam Nujoma zusammenkamen, um den Unabhängigkeitstag zu feiern. Und doch droht der Norden des Landes immer mehr in den Bürgerkrieg des Nachbarstaates Angola gezogen zu werden.

Selbst im namibischen Parlament wird mittlerweile diskutiert, wie der Warlord der angolanischen Unita, Jonas Savimbi, ausgeschaltet werden kann. Spätestens seit im Januar im Norden Namibias zwischen Caprivi und Kavango eine fünfköpfige französische Urlauber-Familie überfallen und ermordet wurde, hat die namibische Regierung der Unita - die sie für das Massaker verantwortlich macht - offiziell den Kampf angesagt.

Inoffiziell jedoch ist dies schon einige Monate zuvor geschehen: Am 10. Dezember des vergangenen Jahres wurde die angolanische Grenzstadt Calai über mehrere Stunden bombardiert - von Namibia aus. Erst nachträglich räumte die Staatsführung ein, dass der Präsident die angolanischen Streitkräfte eingeladen habe, die Unita von namibischem Territorium anzugreifen. Dass dies auch künftig so bleiben solle, kündigte Sam Nujoma an: »Namibia wird nicht zögern, angolanischen Truppen die Erlaubnis zu erteilen, von namibischem Boden aus die Unita zu bekämpfen«.

Trotz des Dementis eines Unita-Auslandssprechers in den USA ist es wahrscheinlich, dass die Unita für den Überfall auf die französischen Touristen verantwortlich ist. Immerhin wurde mit dem Angriff auf Calai die Politik der Nichteinmischung der letzten zehn Jahre beendet. Als Namibia vor der Unabhängigkeit noch ein südafrikanisches Protektorat war, war die Unita von hier sogar unterstützt worden.

Die Zusammenarbeit des südafrikanischen Apartheid-Regimes mit der Unita wurde erst beendet, als 1990 die Befreiungsbewegung South-West African Peoples Organization (Swapo) die Regierung des neuen Staates übernahm. Bis heute hat sich die Swapo an der Macht halten können - mit allen Tricks: Im November 1998 verabschiedeten die Swapo-Abgeordneten mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament eine Verfassungsänderung, die Präsident Sam Nujoma eine dritte Amtsperiode ermöglichte.

Auch bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November und Dezember des vergangenen Jahres wurde leicht nachgeholfen - obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen wäre: Die Swapo konnte ihre parlamentarische Zweidrittelmehrheit geringfügig ausbauen, Nujoma wurde unangefochten als Präsident wiedergewählt.

Dennoch hatten nationale Wahlbeobachter Einschüchterungsversuche der Swapo und ihrer Anhänger ausgemacht: So kam es z.B. bei einer Wahlkampfveranstaltung in Swakopmunds Township Mondesa an der Küste des Landes zu einer brutalen Attacke auf den ehemaligen Minister für Information und Rundfunk, Ignatius Shixwameni. Ehemals hoher Swapo-Funktionär, hatte er vor der Wahl die Seite gewechselt und war für den oppositionellen Kongress der Demokraten (COD) angetreten. Die Verfassungsänderung für Nujoma und die ebenfalls 1998 von der namibischen Regierung getroffene Entscheidung, auf der Seite von Laurent Kabila in den Krieg im Kongo einzugreifen, waren für Shixwameni Grund genug, die Swapo zu verlassen. Und nicht nur für ihn: Eine zwar kleine, aber einflussreiche Gruppe ehemaliger Swapo-Politiker gründete zuerst das Forum für die Zukunft (FfF), aus dem schließlich im März letzten Jahres die COD hervorging.

Unter der Führung des ehemaligen Swapo-Ministers und prominenten Gewerkschafters Ben Ulenga hat es die Partei geschafft, innerhalb eines Jahres stark an Einfluss zu gewinnen. Mit neun Abgeordneten stellt die COD seit Dezember, als sie bei der Wahl zehn Prozent aller Stimmen gewinnen konnte, auch im Parlament die stärkste Oppositionskraft.

Es ist sicher kein Zufall, dass die namibische Parteinahme im angolanischen Bürgerkrieg mit einer stärker werdenden Opposition einhergeht. Jetzt, wo innenpolitisch der Druck wächst, versucht sich Nujoma noch mehr nach außen als starker Mann zu präsentieren. Ähnlich wie in Zimbabwe drohen auch in Namibia die Auseinandersetzungen zwischen weißen Landbesitzern und schwarzen Landlosen in naher Zukunft zu eskalieren. Hinzu kommt der Dauerkonflikt um die Caprivi-Region, dessen Folgen unübersehbar sind.

Seit Jahren versucht die Caprivische Befreiungsarmee (CLA), einen schmalen Zipfel im Nordosten des Landes von Namibia abzuspalten. Anfang August des letzten Jahres kam es in Katima Mulilo (Caprivi) zu einem bewaffneten Aufstand: Separatisten um das ehemalige Swapo-Politbüro-Mitglied Mishake Muyongo besetzten einen Radiosender, griffen Polizeistationen sowie den Flughafen an und rückten erst wieder ab, als die Armee die Stadt bombardierte. Anschließend wurde für fünf Monate der Ausnahmezustand über die gesamte Caprivi-Region verhängt.

Dieser weit vom Zentrum gelegene Landesteil erhält aus der Hauptstadt Windhuk nur geringe finanzielle Zuwendungen. Entsprechend groß ist die Unterstützung der Bevölkerung für die Separatisten - obwohl ihnen, nicht nur von der Regierung, enge Kontakte zur Unita unterstellt werden. Sollte dies zutreffen, so wäre die namibische Einmischung in den angolanischen Konflikt auch eine Kriegserklärung an die Caprivische Befreiungsarmee. Dann ginge es nicht mehr um die Fortsetzung des angolanischen Bürgerkriegs auf dem Territorium Namibias, sondern um einen Krieg innerhalb Namibias.