PDS-Mehrheit und -Minderheit

Linke an die Leine

Zwei Blickwinkel von links auf die PDS sind möglich: Zum einen kann man sich bei aller Distanz zu der Partei darüber freuen, dass die Großkopferten in Münster eine so herbe Abfuhr erhalten haben. Größer konnte die Zähmungsprovokation für die kaum sein, als ausgerechnet ein Jahr nach dem ersten deutschen Krieg seit 1945, dem Überfall auf Jugoslawien, die eigene Realitätstüchtigkeit an der Frage der Unterstützung von Kampfeinsätzen der Uno-Großmächte beweisen zu wollen.

Noch einige Schritte vom grünen Ja zum deutschen Krieg entfernt, doch auf dem gleichen Weg, wurde von den »Reformern« jene allgemeinmenschliche Moral (Völkermord verhindern) mobilisiert, die die Grünen zur Legitimierung ihres brutalen Ja zu Kriegseinsätzen exzessiv bemühten. Nach außen wollte man Regierungsfähigkeit signalisieren: Seht her, auch wir sind zu Schweinereien bereit. Nicht eine aktuell bedeutende, vermeintlich realpolitische Frage trieb die »Reformer«, sondern der Wunsch nach Anerkennung, Reputierlichkeit.

Die sich permanent als Opfer von Sektierern oder einer »Diktatur der Minderheit« (Holter) stilisierende Führungsgarde repräsentiert jenen Trend zum politischen Mainstream, den die Grünen in ihren Domestizierungsritualen der achtziger Jahre vorgelebt haben: Vordenker ist man immer dann, wenn man das formuliert, was hierzulande herrschende Meinung zu sein hat. Medienöffentlichkeit für solche Vordenkerei ist gewiss. Brie hat seine marktwirtschaftliche Lektion so gründlich gelernt, dass er mit seiner ständig wiederholten Leier, die PDS müsse den Umgang mit den deutschen Medien lernen, politische Positionen auf dem Markt der Meinungen feilbieten will. Und der ist so frei wie der übrige: Auf ihm setzt sich durch, was verkäuflich ist - und was von Brie Wirklichkeit genannt wird.

Der andere Blick fällt ernüchternd aus. Die größten Siege feierte die bundesdeutsche Partei-Linke als Parteitagssiege - allein, die Karawane zog weiter. Die Größe der linken Siege verhielt sich umgekehrt proportional zum Rechtstrend der Mehrheit. Um das Schlimmere zu verhindern, wird das Schlimme nicht einfach übersehen, sondern schöngeredet. Der linke Bundestagsabgeordnete Wolf bezeichnet in konkret das existierende sozialdemokratische Parteiprogramm der PDS als eines, das »sich in seinen Grundaussagen und als Konsensplattform für alle PDS-Mitglieder bewährt« habe. Halte-Leine für Linke wird damit ein Programm, das die »Reformer« nur als Zwischenschritt auf ihrem Weg betrachten, nicht mehr linke Kritik und Veränderung, sondern das Verteidigen einstiger Mehrheitspositionen zum Ziel zu nehmen.

Doch verändert das nicht nur die Partei, sondern die Linke insgesamt. Es ist keine neue Erfahrung, dass im Prozess der politischen Bewegung nach Rechts die Linken sich in die gleiche Richtung mit bewegen. In seiner Parteitagsauswertung simuliert Wolf die Parteimehrheit, wenn er Gysi & Co. vorwirft, mit ihrer Haltung zu Kampfeinsätzen die Position aufzugeben, die »wesentlich zu ihren Wahlerfolgen beigetragen hatte«. Das ist zwar nicht zu beweisen, wohl aber zu bezweifeln. Wichtiger aber ist, die Pose desjenigen anzugreifen, der eine linke Substanz der PDS imaginiert, um sie ausgerechnet gegen ihre bislang erfolgreichen rechten Oberen zu bemühen.

Das erinnert an die Lebenslüge Jutta Ditfurths, die bis zu ihrem Ausscheiden nicht nur die wahre Grüne zu sein behauptete, sondern auch die grünen Wählermassen auf ihrer und nicht auf der Seite Joseph Fischers wähnte. Es ist das Dilemma der Partei-Linken, dass sie ihre Existenzberechtigung allein als rudernder Parteiflügel haben, der ohne die Dominanz derjenigen, die man bekämpft, um zumindest ab und an Erfolge feiern zu können, nicht funktionierte. Ohne die »Reformer« wäre die PDS nichts - und damit auch ihre Partei-Linke nicht. Bei den einen reift der Gedanke, dass die Entwicklung in die »deutsche Moderne« ohne die lästigen Linken leichter gehen könnte, während bei den anderen die Erkenntnis, dass in diesem Prozess linkes Denken und Handeln auf der Strecke bleibt, noch nicht mal ansatzweise zu reifen beginnt.