FPÖ-ÖVP führt Bürgerarbeit ein

Ordentliche Beschäftigung

Langzeitarbeitslose werden in Österreich ab Juni zum Bürgerdienst herangezogen. Wer sich weigert, verliert den Anspruch auf Sozialleistungen.

Der Name klingt verheißungsvoll. Integra heißt das Kunstwort, mit dem der Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein von der Volkspartei (ÖVP) sein neues Vorhaben benannt hat. Ab dem 1. Juni will er damit den 34 000 österreichischen Arbeitslosen endlich Beine machen. Denn wer länger als ein Jahr keiner Beschäftigung mehr nachgegangen ist, muss künftig gemeinnützige Arbeit leisten, um weiterhin staatliche Unterstützung zu erhalten.

Mit der Umsetzung von Integra erfüllt Bartenstein einem Parteikollegen seinen lang gehegten Traum. Andreas Khol, Klubobmann (Fraktionsvorsitzender) der Volkspartei und zweiter Nationalratspräsident, machte nie ein Geheimnis daraus, dass er - wenn man ihn nur mal ließe - die Günstlinge des Wohlfahrtsstaates aus der »sozialen Hängematte« holen werde. »Bürgergesellschaft« nennt Khol seine Vorstellung, die jetzt in die Praxis umgesetzt wird.

Die Idee ist alt, selbst die Sozialdemokraten (SPÖ) haben während ihrer Regierungszeit laut darüber nachgedacht, wie man den dahinsiechenden Sozialstaat sanieren könnte. Durchsetzen konnten sich solche Überlegungen jedoch nie. Nun, da die SPÖ in der Opposition verharrt, hat die erzkonservative Koalition in der Alpenrepublik freie Bahn.

Die Regeln für die Betroffenen sind einfach. Die Empfänger von Sozial- und »Notstandhilfe«, die österreichische Bezeichnung für die staatliche Arbeitslosenunterstützung, werden einer gemeinnützigen Tätigkeit zugeteilt. 25 Stunden pro Woche sollen Langzeitarbeitslose die Straßen kehren, Denkmäler putzen, Friedhöfe instand halten, Wald-, Wander- oder Radwege pflegen. Ein halbes Jahr lang. Haben sie nach dieser Zeit immer noch keinen Job gefunden, erhalten sie wieder Sozialleistungen. Wer sich allerdings weigert, »zumutbare« Arbeit zu leisten, dem werden sämtliche Gelder für acht Wochen gestrichen. So möchte Khol auch die hartnäckigsten Arbeitslosen zu ordentlichen Mitgliedern seiner Bürgergesellschaft erziehen.

Erste Vorschläge, Langzeitarbeitslose zum »Hackln« zu vergattern, wurden von Opposition und gemeinnützigen Organisationen zunächst scharf verurteilt. Erst kürzlich hatte die Regierung die endgültige Version vorgelegt - und sofort beschlossen. Denn die neue Koalition hält sich nicht lang mit Einwänden bei der Umsetzung ihrer Vorhaben auf, wie sie bereits bei dem im rekordverdächtigen Tempo verabschiedeten Haushalt demonstrierte.

Integra bringt den Betroffenen Einkünfte zwischen 8 240 (600 Euro) und 12 000 Schilling (872 Euro) pro Monat. Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein ist damit von seinen alten Plänen etwas abgerückt. Denn ursprünglich sollte der »Arbeitsdienst« ein Jahr lang dauern, auch Pflegedienste mit einbeziehen und mit einem 20prozentigen Aufschlag auf die Notstandshilfe abgegolten werden. Weil aber die Hilfen unterschiedlich hoch sind, wäre die gleiche Arbeit äußerst ungleich bezahlt worden.

Darum einigte man sich auf einen Mindestbetrag - eben 8 240 Schilling. Während der Österreichische Arbeitsmarkt Service (AMS) bereits mit der Erhebung begonnen hat, wie viel Langzeitarbeitslose die Gemeinden und Vereine überhaupt beschäftigen wollen, sind die Reaktionen auf Integra plötzlich gar nicht mehr so unfreundlich. Caritas-Präsident Franz Küberl spricht von einem »positiven Vorhaben«, lediglich das halbe Jahr erscheint ihm als »Trainingszeit« zu kurz bemessen.

Selbst einst scharfe Kritiker, wie etwa Wiens Finanzstadträtin Brigitte Ederer, sind mittlerweile verständnisvoll. Bezeichnete Ederer noch vor einiger Zeit das Vorhaben als »blanken Zynismus und menschenverachtend«, klopft sie sich heute selbst auf die Schulter und verweist stolz darauf, dass schließlich wegen ihrer Kritik tiefgreifende Veränderungen vorgenommen worden seien. Das Gesetz selbst stellt auch sie nicht mehr in Frage.

Dennoch wird man zumindest in den Wiener Grünanlagen künftig keine Arbeitslosen bei ihrem Einsatz bewundern können - der Stadtverwaltung fehlt schlicht die Arbeit. Für Denkmalpflege und die Wartung von Grünanlagen gibt es bereits ausreichend Personal. Ein Zustand, den die Verwaltung auf Dauer noch bereuen könnte. Denn die Langzeitarbeitslosen wären für die Kommune äußerst billig; sie müssten jeweils nur die Notstandshilfe um 20 Prozent aufstocken, um eine volle Arbeitskraft zu erhalten.

Kritik kommt nur noch von den Grünen, die gegen das Pflichtarbeitskonzept Bürgergeld weiterhin Klage androhen. »Erstens hält das Bürgergeld nach wie vor an den unterschiedlichen Löhnen für Männer und Frauen fest«, erklärte der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger. Damit widerspreche es nicht nur dem Koalitionsversprechen von gleicher Entlohung für gleichwertige Arbeit, sondern auch der Verfassung und dem europäischen Recht. Zudem verbiete der Artikel 4 der Menschenrechtskonvention ausdrücklich Pflicht- und Zwangsarbeit. »Langzeitarbeitslose und Freiwilligkeit - diese Begriffe gehören nicht zusammen«, kommentierte Theresia Haidlmayr, ebenfalls Mitglied der Grünen.

Die Regierung hingegen wird nicht müde, die langfristigen Vorteile des Bürgergeldes zur betonen und spricht von einer »systematischen Wiedereingliederung in die Arbeitswelt«.

So wie es aussieht, wird Integra jedoch seinem Namen kaum gerecht werden können. Allein die rechnerischen Nachteile, die aus der Einführung des Bürgergeldes erwachsen, könnten auf den Arbeitsmarkt verheerende Auswirkungen haben.

Besonders hart wird es vor allem für diejenigen, die zwar Arbeit haben, jedoch von ihrem Lohn kaum leben können. Sie erhalten jetzt Konkurrenz, denn die Gemeinden müssen sparen. Da kommen billige Arbeitskräfte gerade recht - und schaffen dadurch neue Sozialfälle. Hinzu kommt die gesellschaftliche Stigmatisierung: Aus Langzeitarbeitslosen werden jetzt »Zwangsarbeiter«.

Die Koalition kann dennoch zufrieden sein. Mit Integra realisiert sie schließlich eines ihrer zentralen arbeitspolitischen Anliegen, wie auch der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger betonte: »Mit dem blau-schwarzen Bürgergeld rückt die Bundesregierung den Vorstellungen des Jörg Haider von der ordentlichen Beschäftigungspolitik ein gutes Stück näher.«