G-77-Gipfel in Kuba

Zivil zerschlagen

122 ausländische Delegationen waren da, außerdem 42 Staats- und Regierungschefs - aber ein kleiner Junge fehlte. Als vergangene Woche in Kuba die Gruppe der 77 - ein Zusammenschluss von Entwicklungsländern - zu einem Gipfeltreffen zusammenkam, dominierte in deutschen Medien die Berichterstattung über den Streit um Elián, der Gipfel wurde meist als Kurzmeldung abgehandelt.

Dabei bemüht sich UN-Generalsekretär Kofi Annan besonders, die Bedeutung der größten Staatengruppe innerhalb der Vereinten Nationen hervorzuheben. So hatte er bereits letztes Jahr bei einem Routinetreffen der Gruppe erklärt: »Your agenda is our agenda«, sprich: Die Uno will, was die G-77 wollen. Bedenkt man, dass der G-77 mittlerweile 133 Staaten angehören und diese über zwei Drittel der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen stellen, in denen zudem 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, so klingt Annans Versicherung zunächst ganz glaubwürdig.

Doch die in Havanna versammelten Staatschefs legten dar, wie wenig Gewicht ihre Länder in der Weltordnung tatsächlich besitzen. So wurde in den Redebeiträgen deutlich, dass mögliche positive Folgen der Globalisierung oder neuer Technologien für die meisten Menschen in den Ländern des Südens nicht spürbar sind und dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, forderte der malaysische Ministerpräsident Mahatir Mohammad eine stärkere Internationalisierung des Arbeitsmarktes: »Die Arbeiter sollten in reiche Staaten einwandern und am Arbeitsmarkt teilhaben dürfen, so wie es auch den mächtigen Konzernen der reichen Länder erlaubt ist, den winzigen Unternehmen der armen Staaten Konkurrenz zu machen.«

So weit wollten nicht alle gehen: Nigerias Staatschef Olusegun Obasanjo warf den Industriestaaten lediglich vor, ihre Versprechen zu Wirtschaftshilfe und Schuldenerlass nicht einzuhalten. Dem Ruf nach Entschuldung schloss sich auch Generalsekretär Annan an, der zugleich die Bedeutung von Handelsbeziehungen der südlichen Staaten untereinander hervorhob.

Der Gipfel, der das erste Zusammentreffen der 1964 gegründeten G-77 auf höchster Ebene darstellte, griff damit nicht nur die Forderungen afrikanischer Staaten auf, wie sie vor drei Wochen beim euro-afrikanischen Gipfel vorgebracht worden waren. Er sollte vor allem ein Gegengewicht zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am letzten Wochenende in Washington bilden.

In ihrem Abschlussdokument forderten die G-77-Staats- und Regierungschefs ein stärkeres Mitspracherecht in Gremien wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation und plädierten für die Berufung eines gemeinsamen Sprechers. Dem Votum des Gastgebers allerdings schloss sich die Gipfelerklärung nicht an. Zwar hatte Annan Kubas Gesundheits- und Bildungswesen ausdrücklich gelobt und von einer gerechteren Wirtschaftsordnung gesprochen. Der Weg dahin führt nach seinen Vorstellungen aber zunächst über den Abbau von Zollschranken für Produkte aus den Ländern des Südens, eine stärkere Beteiligung der »Zivilgesellschaft« und eine Reform der Vereinten Nationen.

Da fand Fidel Castro radikalere Worte. Der dienstälteste sozialistische Staatschef der Welt rief nach einem »Nürnberger Prozess« für die bestehende Weltwirtschaftsordnung. Denn die fordere alle drei Jahre mehr Opfer als der Zweite Weltkrieg. Und für den Umgang mit dem IWF hatte er auch einen Tipp: sofortige Zerschlagung.