Hungerstreik eines tunesischen Journalisten

Der Präsident trägt Trauer

Nach seiner Ausreise aus Tunesien setzt der Journalist Taoufik Ben Brik seinen Hungerstreik auch in Paris fort.

Die knapp zehn Millionen Einwohner Tunesiens wurden vergangene Woche zu Zeugen einer tragikomischen Inszenierung. Sie hätte zum Lachen reizen müssen, wäre ihr Anlass nicht so ernst gewesen. In dem nordafrikanischen Polizeistaat, wo sämtliche gedruckten, audiovisuellen und elektronischen Medien nahezu gleichgeschaltet sind, diskutierte Staatspräsident Zine el Abidine Ben Ali in einer Sendung des staatlichen Fernsehens mit den Direktoren der privaten Presseorgane.

Im Mittelpunkt stand unausgesprochen die »Affäre Ben Brik«. Der 39jährige Journalist Taoufik Ben Brik befand sich zu diesem Zeitpunkt seit über einem Monat im Hungerstreik gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Tunesien. 22 Kilogramm Körpergewicht hatte Ben Brik bis dahin verloren.

Zum Auftakt der TV-Debatte zeigte sich der 64jährige General und Präsident, der im Oktober letzten Jahres mit dem brillanten Ergebnis von 99,4 Prozent der abgegebenen Stimmen wieder Staatschef wurde, geradezu begierig auf Kritik. Die tunesische Presse sei zu zahnlos, bemängelte er. Auf die zaghafte Entgegnung eines Zeitungsverlegers, die Journalisten würden möglicherweise Selbstzensur üben, gab sich der Militär - seit 1987 an der Staatsspitze - begriffsstutzig: »In Tunesien kann man alles sagen. Vielleicht haben Sie schlechte Journalisten.«

Auch zum eigentlichen Anlass der Sendung äußerte Ben Ali kein Verständnis. Er verstehe den Grund für den Hungerstreik des Journalisten nicht - aber schließlich habe auch er, Ben Ali, soeben einen Hungerstreik durchgeführt. 24 Stunden lang. »Weil ich Trauer empfand, Trauer um Tunesien, weil sich immer noch Tunesier finden, die das Bild ihres Landes beschmutzen.« Tunesier wie Taoufik Ben Brik.

Allein die Tatsache, dass Staatschef Ben Ali sich zu einer solchen Inszenierung gezwungen sah, stellte bereits einen kleinen Sieg für Ben Brik dar. Denn dadurch wurde die Mauer des Schweigens eingerissen, die unüberwindlich schien. Kein Wort war bis dahin in der tunesischen Presse über die Aktion des Journalisten durchgedrungen. Nur die Fernsehsender aus Frankreich und aus der arabischen Welt trugen diese Informationen auch nach Tunesien hinein.

»Der letzte freie Journalist« im Lande, wie Le Monde Ben Brik nannte, gab dem Druck jedoch nicht nach. In tunesischen Medien hatte er ohnehin seit 1990 Schreibverbot. Aber als Korrespondent für die französische katholische Mitte-Links-Tageszeitung La Croix und zwei europäische Nachrichtenagenturen - Infosud und Syfia - suchte Ben Brik weiterhin der Welt zu berichten, was in Tunesien geschieht. Über die Agenturen gelangten seine Texte auch in europäische Presseorgane wie die NZZ und den französischen Courrier international.

Das hat Ben Brik nicht geschützt. Anfang April erhoben die tunesischen Behörden für zwei seiner in der Schweiz und in Frankreich publizierten Artikel wegen »Verbreitung falscher Nachrichten in der Absicht, die öffentliche Ordnung zu stören« und »Diffamierung von Staatsorganen« Klage gegen ihn. Dafür drohen sechs Jahre Haft. Zugleich trafen ihn die Schikanen, die gegen zahlreiche weniger prominente KritikerInnen des Regimes gang und gäbe sind: Sein Pass, ohne den er nicht reisen kann, wurde eingezogen, Telefon- und Fax-Verbindung wurden abgestellt.

Darauf begann Ben Brik am 3. April seine Hungerstreik-Aktion, zunächst in den Räumen des Verlagshauses Aloès. Das wurde am 10. April von der Polizei dichtgemacht und versiegelt - wegen »Störung der öffentlichen Ordnung«. Nach dreiwöchigem Hungerstreik wurde Ben Brik in das Krankenhaus Saint Augustin eingeliefert. Einer der Ärzte wurde von Zivilbeamten in ein Auto gezerrt und 15 Kilometer außerhalb von Tunis ausgesetzt.

Tags darauf wurde Ben Briks Wohnung, in die er zurückgebracht worden war, von 300 Polizisten umstellt. Französische und Schweizer Journalisten sowie tunesische Aktivisten aus linken und Menschenrechtskreisen wurden von der Polizei gewaltsam am Zutritt zum Domizil des Journalisten gehindert, einige geschlagen. Bei dieser Gelegenheit wurde u.a. Ben Briks Bruder Jellal verhaftet. Namhafte Oppositionelle, darunter die Verlegerin Ben Sédrine, wurden im Anschluss auf der Polizeiwache schwer misshandelt und tragen bis heute die Spuren von Schlägen und Folterungen.

Angesichts des wachsenden internationalen Drucks der Öffentlichkeit sah sich das Ben Ali-Regime gezwungen, einen Rückzieher zu machen. Am vorvergangenen Sonntag erhielt Ben Brik seinen Pass zurück, zugleich wurde das Ausreiseverbot gegen ihn aufgehoben. Was aber auf der einen Seite gegeben wurde, nahm man auf der anderen wieder: Sein Bruder Jellal blieb in Haft. Am vorigen Mittwoch wurde er zu drei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt - wegen »Widerstand gegen Sicherheitsbeamte«. Für Jellal Ben Brik, der bei den Vorkommnissen verletzt wurde und zudem unter Klaustrophobie leidet, stellt die Haft eine ernsthafte Bedrohung seiner Gesundheit dar.

Bereits im Oktober 1999 war Jellal wegen Zugehörigkeit zu der verbotenen trotzkistischen Organisation Communiste révolutionnaire verhaftet worden. Damals, so Taoufik Ben Brik gegenüber Jungle World, hätten die Polizisten ihm für die Freilassung seines Bruders einen Kuhhandel vorgeschlagen. Bedingung: »Wenn du nicht über die Präsidentschaftswahl schreibst«, die im selben Monat stattfindende Farce. Mit Unterstützung seines Bruders berichtete der Journalist dann aber doch über das Ereignis, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Für Ben Brik stellt »der Knochen, den man mir in Form meines Passes dafür hinwirft, dass ich meinen Bruder fallen lasse«, eine Beleidigung dar. Trotz beginnender Beeinträchtigungen seiner Gesundheit und der Gefahr dauerhafter neurologischer Schäden setzt er seinen Hungerstreik daher fort. Sein inhaftierter Bruder und fünf weitere seiner Geschwister haben sich diesem jetzt angeschlossen. Die Hauptforderungen des Journalisten: die Freilassung seines Bruders, die Bezahlung der Behandlungskosten für die gefolterten Aktivisten durch den tunesischen Staat und die Wiedereröffnung des Verlagshauses Aloès.

Taoufik Ben Brik selbst reiste am vergangenen Donnerstag nach Paris aus, um dort seinen Hungerstreik ohne Repressalien fortsetzen zu können - aber auch, um die Verantwortung der früheren Protektoratsmacht Frankreich als Hauptstütze des tunesischen Regimes zu unterstreichen.

Frankreich ist, ebenso wie andere europäische Länder, nicht nur aus historischen Gründen und wegen wirtschaftlicher Verbindungen tief in die Repressionsgeschichte des tunesischen Regimes verwickelt. So ist die tunesische Staatspartei RCD nach wie vor Mitglied der Sozialistischen Internationale.

Und die Ausbildung jener Journalisten, die für das Regime die offiziellen Informationen verbreiten, wurde von Paris bezahlt - so subventioniert der französische Staat 60 Prozent des Budgets des Journalisten-Ausbildungszentrums CAPJI in Tunis. Die Franzosen sind dabei der deutschen FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zuvorgekommen, die gleichfalls Interesse angemeldet hatte.