Europäische Börsenfusion

Exchange iX-tra large

Von der Fusion der Börsen in Frankfurt am Main und London profitieren vor allem die Deutsche Bank und der Euro.

Eigentlich sollte der Casino-Kapitalismus in Frankfurt das bisher Gewesene noch toppen: Die Deutsche Börse AG wollte selbst an die Börse gehen. Ein solider Wert, waren sich die Experten einig. Denn solange die Spekulation an den Aktienmärkten weltweit das Hauptgeschäftsfeld der Unternehmenswelt bleibt, gibt es hier nicht viel zu verlieren. Die Telebörse empfahl das Papier ihrer risikofreudigen Leserschaft bereits zur Zeichnung: »Gewinnchance bis 100 Prozent« - und das binnen zwölf Monaten.

Am Montag dieser Woche sollte die Zeichnungsfrist beginnen, doch weder die Deutsche Börse AG noch die konsortialführende Deutsche Bank hielten es für nötig, im Vorfeld bei den Anlegern für den Börsengang der Börse zu werben. Kein Wunder, sie hatten andere Sorgen: Werner Seifert, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, verhandelte eifrig mit Gavin Casey, seinem Pendant der Londoner Stock Exchange, über eine Fusion. Bereits 1998 hatten sich die Börsenchefs schon mal zusammengesetzt. Vergangenen Mittwoch aber hatten sie einen Erfolg zu vermelden: Die beiden Häuser wollen fusionieren. Das neue Unternehmen heißt künftig iX und hat seinen Sitz in London.

Der Coup wird deutsche Kleinanleger vermutlich verärgern. Aber die sind erstens wenige, haben zweitens wenig Ahnung und jammern drittens grundsätzlich immer. Viel wichtiger sind hingegen die so genannten institutionellen Anleger: Banken und Investmenthäuser, Fonds- und Versicherungsgesellschaften, die hohe Summen an den Aktienmärkten hin- und herschaufeln und deren Orders häufig an mehreren europäischen Börsen gleichzeitig platziert werden müssen, damit das gewünschte Aktienpaket erstanden werden kann.

Auch die Experten wissen den Schachzug der Deutschen Börse zu schätzen. Handstreichartig landen die bisher im Wertpapier-Handel eher unbedeutenden Deutschen mit dem Zusammenschluss auf den britischen Inseln und übernehmen de facto den gemessen am Handelsvolumen bisher drittgrößten Aktienmarkt der Welt. Entsprechend groß ist auch der Triumph in Frankfurt: iX, das Kürzel der neuen Börse, eigentlich die Abkürzung für International Exchange, steht dort bereits für iX-tra large.

Etwa 53 Prozent der europäischen Wertpapiere werden künftig an der iX gehandelt. Und es sollen noch mehr werden. Von seinem künftigen Amtssitz an der Themse aus will Börsenchef Seifert nämlich die »europäische Börsenlandschaft neu ordnen« (Wirtschaftswoche). An den Aktien-Märkten in Mailand und Madrid hat man bereits angedeutet, sich dem deutschen Großprojekt anschließen zu wollen. Damit hat die Fusion bereits mit ihrer Verkündung ihr Hauptziel erreicht: Es ist klar geworden, dass in Europa niemand mehr an den Deutschen und ihrer Vorstellung von Neuordnung vorbeikommt.

Ein Signal, das sich vor allem an zwei Adressaten richtet: Die US-Technologiebörse Nasdaq und die Konkurrenten der Bourse de Paris. Bei der Nasdaq, einer der größten Börsen der Welt, hatte man in den letzten Wochen offen über eine Ausweitung nach Europa nachgedacht und bereits nach Partnern gesucht. Nun ist die Angelegenheit so gut wie klar: Alles andere als eine Kooperation mit der iX macht für die New Yorker keinen Sinn.

Völlig unbedeutend wird durch den Zusammenschluss die Pariser Börse. Zusammen mit Amsterdam und Brüssel hatten sich die Franzosen erst vor kurzem zum Handelsplatz Euronext zusammengetan. Was die Deutschen als Alleingang des Nachbarlandes und als Affront werteten, war vor allem als Vorbereitung für eine gemeinsame europäische Börse gedacht. Zusammen mit Brüssel und Amsterdam wird in Paris knapp genauso viel gehandelt wie in Frankfurt und an den deutschen Regionalbörsen. Damit hätte die Euronext-Gruppe sich deutscher Dominanzversuche erwehren und eigene Forderungen für die Schaffung eines gemeinsamen Aktien-Handelsplatzes formulieren können.

Die Londoner Stock Exchange konnte das nicht. Der Grund: Die Deutsche Bank besitzt Anteile an der britischen Börse und machte sich für die Fusion stark. Sie ist nämlich auch an der Deutschen Börse AG beteiligt. Rolf Breuer, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sitzt zugleich auch im Aufsichtsrat der Börse.

Die größte deutsche Bank gilt damit als eigentlicher Motor der Fusion - und als ihr eigentlicher Gewinner. Zusammen mit anderen Anteilseignern an der Deutschen Börse wird das Institut die iX dominieren. Und das bedeutet vor allem: eindeutschen.

Die Deutsche Bank hat darin eingehende Erfahrung. Trotz der Fusion mit dem US-Bankhaus Bankers Trust befindet sich heute gerade einmal ein einziger Amerikaner im Aufsichtsrat der Bank: Louis Hughes von General Motors. Der Vorstand hingegen ist rein deutsch. Und auch bei dem Zusammenschluss von Daimler-Benz mit dem US-Unternehmen Chrysler war die anfänglich gemischte Besetzung der Führungsgremien nicht von langer Dauer. Im letzten November wurden bei Daimler-Chrysler, an dem die Deutsche Bank beteiligt ist, sämtliche US-Amerikaner hinausgesäubert.

Was das für die iX bedeuten wird, ist klar: Vorstandschef wird der bisherige Amtsinhaber bei der Deutschen Börse AG, Seifert. Den Vorsitz des Aufsichtsrates überlässt man hingegen - vorerst zumindest - dem Briten Don Cruickshank. Schließlich braucht man zunächst den Anschein von Kontinuität. Auch, was den hauptsächlichen Handelsplatz der neuen Börse betrifft: Denn London hat weit größere Bedeutung erlangt und ist Sitz zahlreicher Fondsgesellschaften und Investmenthäuser.

Die Wahl von London als künftigen Sitz der iX birgt außerdem noch ein pikantes Detail: Bisher werden die Papiere an der dortigen Stock Exchange in britischem Pfund notiert. Es ist zwar grundsätzlich vollkommen egal, ob die großen europäischen Werte in Pfund oder Euro gehandelt werden, aber mit der Börsen-Fusion dürften nicht nur deutsche Expansionsgelüste bedient werden, sondern zugleich auch der Euro auf die angelsächsischen Inseln schwappen: Für konservative Briten kommt diese schleichende Einführung des Euro auf der Insel einer Kapitulation vor den Krauts gleich, für die unter den hohen Pfund-Kurs leidende britische Exportwirtschaft ist sie eher ein willkommener Schachzug zur Erhöhung ihrer Verkaufszahlen und für die Deutschen bedeutet sie die schon lange erhoffte Ausweitung des Einflusses der aus Frankfurt gelenkten Europäischen Zentralbank.

Nur eines könnte den Deutschen ihren Coup noch versauen. Die Deutsche Bank gilt nämlich nach der kläglich gescheiterten Fusion mit der Dresdner Bank wie auch alle anderen deutschen Kreditinstitute als Kandidatin für eine feindliche Übernahme durch ausländische Konkurrenten. Im Vergleich zu anderen global players haben die Deutschen nämlich einen nur geringen Börsenwert - und sind damit günstig zu haben.

Deshalb zum Abschluss noch ein Tipp für die politisch zwar nicht-korrekte, dafür aber umso effektivere Geldanlage: Einige der insgesamt 614 Millionen Deutsche-Bank-Aktien kaufen und dann dem erstbesten Übernahmeangebot eines ausländischen Konkurrenten zustimmen.