Militär und Islamisten

General in Kaschmir

Die pakistanische Militärführung will die Islamisten bändigen, nicht aber auf ihre Dienste im Konflikt mit Indien verzichten.

Schon zur Eröffnung redete Maulana Sibgatullah Shirwani Klartext: »Statt diplomatische Gespräche zu führen, sollten wir Widerstand leisten und der Nation sagen, dass der Jihad die einzige Lösung ist, um Kaschmir zurückzugewinnen.« Unter den 1 200 islamistischen Geistlichen, die Ende April zu einer Konferenz nahe Lahore zusammengekommen waren, regte sich kein Widerspruch. Eingeladen hatte Lashkar-e-Tayyaba (LT), eine von 16 islamistischen Gruppen, die im indischen Teil Kaschmirs einen Guerilla-Krieg führen.

Wenige Tage zuvor hatte Qazi Hussain Ahmad, Vorsitzender der Jamaat-e-Islami (JI), der ältesten und einflussreichsten islamistischen Organisation Pakistans, bei einer Massenversammlung in Muzaffarbad gedroht: »Wir geben eine Warnung an Indien, dass es zerstört wird, wenn es keine gerechte Lösung in Kaschmir akzeptiert.« Die pakistanischen Islamisten bereiten sich auf einen heißen Sommer vor.

Jedes Jahr, wenn die steigenden Temperaturen im Hochgebirge Kaschmirs militärische Aktionen wieder möglich machen, nehmen die Spannungen an der Waffenstillstandslinie zu. 1999 hatte ein von der pakistanischen Armee unterstützter islamistischer Vorstoß in der Region Khargil fast zum Krieg geführt. Verantwortlich für das Unternehmen war der damalige Generalstabschef Pervez Musharraf, der sich im Oktober an die Macht putschte.

Als US-Präsident William Clinton Ende März Pakistan besuchte, sagte Musharraf zu, die Waffenstillstandslinie nicht mit Gewalt zu verändern. Den »Jihad« in Kaschmir dagegen hat er wiederholt verteidigt. Und dass die dort aktiven islamistischen Gruppen staatliche Unterstützung erhalten, hatte Musharraf während des Khargil-Konflikts indirekt eingestanden, als er erklärte, Pakistan werde sich »nicht einseitig zurückziehen«. Premierminister Nawaz Sharif hatte damals den Rückzug angeordnet, was wohl zur Entscheidung der Generäle beitrug, ihn zu stürzen.

Zwar begrüßten die Islamisten den Sturz des »Verräters« Sharif, aber auch mit den neuen Machthabern sind sie nicht zufrieden. Musharraf gibt sich ein säkulares Image, hohe Verwaltungsposten besetzte er auch mit Frauen. Zudem wollen die Generäle den Waffenbesitz strenger reglementieren, und die islamistischen Koran-Schulen sollten stärker an staatlichen Bildungszielen ausgerichtet werden.

Kein Wunder, wenn JI-Chef Qazi immer wieder erklärt, dass »die Armee die Probleme des Landes nicht lösen kann. Sie sollte deshalb nicht lange bleiben und bald in die Kasernen zurückkehren.« Qazi bleibt vorsichtig: »Wir wollen nicht an die Macht kommen, sondern die Probleme des Landes im Konsens statt in der Konfrontation lösen.« Deutlicher werden Vertreter radikalerer Gruppen wie Yahya Mujahed (LT): »Wir fordern die Regierung auf, sich des Schicksals früherer Regierungsführer zu erinnern, die versuchten, dem Islam zu schaden, indem sie den Freiheitskämpfern Beschränkungen auferlegten.«

Ein Bruch zwischen Regime und islamistischer Bewegung ist dennoch nicht zu erwarten. Die islamistischen Organisationen sind nicht stark genug für eine Machtprobe mit dem Militär. Obwohl sie das Offizierskorps infiltriert haben, hat Musharraf die Armee im Griff. Doch wie seine Vorgänger will auch Musharraf auf die Dienste islamistischer Gruppen in Kaschmir und Afghanistan nicht verzichten. Sein Säkularismus zielt nicht auf eine Abschaffung der zahlreichen islamistischen Elemente in Gesetzgebung und Institutionen.

Das Regime will widerspenstigen Machtgruppen ihre Grenze aufzeigen. Mit der Bekämpfung des Schmuggels sollen die mafiosen Strukturen in der Wirtschaft zurückgedrängt werden, eine schärfere Verfolgung der Korruption die zivile Oligarchie zu Verantwortungsbewusstsein erziehen. Die alte politische Garde der beiden größten Parteien, der Muslim Liga und der Pakistanischen Volkspartei, soll kaltgestellt werden.

Dass er sich bei der Rückkehr zur Zivilherrschaft nicht drängen lassen wird, hat Musharraf immer wieder betont. Das Nationale Büro für Wiederaufbau bereitet gegenwärtig Kommunalwahlen vor, die jedoch, ursprünglich für den Herbst angekündigt, auf das nächste Jahr verschoben wurden. Es ist geplant, nur »unabhängige« Kandidaten zuzulassen und die Parteien auszuschließen. Den Versuch, eine »aufgeklärte Despotie« zu etablieren, rechtfertigt Musharraf mit dem Argument, dass politische und gesellschaftliche Reformen demokratischen Wahlen vorausgehen müssten. Die Generäle geben sich fortschrittlich, von Dezentralisierung der Macht und von der Graswurzeldemokratie der Dorfgemeinschaften ist die Rede.

Beabsichtigt ist die Stärkung der Staatsmacht gegenüber einer in verfeindete Fraktionen zerfallenen Gesellschaft. Dabei verlangt das Regime auch von Teilen der Oligarchie Zugeständnisse. So sollen vom nächsten Jahr an erstmals in der Geschichte des Landes auch Großgrundbesitzer besteuert werden. Da seit dem Putsch der Börsen-Index um 60 Prozent gestiegen ist, wird Musharraf von den Unternehmern unterstützt.

Auch die internationale Finanzwelt reagierte freundlich, die Beziehungen zum IWF haben sich verbessert. Die Asiatische Entwicklungsbank erklärte zwar Ende April, einen Kredit von 2,8 Milliarden Dollar wegen des Putsches nicht vollständig auszuzahlen. Musharraf erhält dieses Jahr aber eine Rate von 450 Millionen - Sharif hatte sich 1999 mit 13 Millionen begnügen müssen. Westliche und asiatische Staaten fürchten eine Destabilisierung Pakistans, die USA haben immer darauf geachtet, dass Sanktionen nicht zum finanziellen Zusammenbruch führen.

Der Druck soll jedoch aufrechterhalten werden, um Pakistan zu einer Distanzierung von militanten islamistischen Gruppen und zu einer Mäßigung in der Afghanistan- und Kaschmir-Politik zu zwingen. Bei seiner Südasienreise hatte Clinton Pakistan nur einen kurzen, frostigen Besuch abgestattet. Die USA sehen in Pakistan keinen privilegierten Partner mehr und streben bessere Beziehungen zu Indien an. Pakistan aber kann zumindest auf größere Rücksichtnahme rechnen als »Schurkenstaaten« ohne Atomwaffen.