Machtkampf im Iran

Kontakte mit dem Feind

Auch in den Nachwahlen haben die Khatami-nahen Kräfte im Iran gesiegt. Dreizehn iranischen Juden und Hunderten inhaftierten Studenten nutzt das allerdings wenig.

Die Beweise waren erdrückend: Dem Revolutionsgericht in der südiranischen Stadt Schiras wurden Abschriften von Telefongesprächen nach Israel vorgelegt. Die Richter runzelten die Brauen und begannen zu murren: Alltägliche Familiengespräche; wie perfide muss man sein, um neben seiner Spionagetätigkeit auch noch Zeit für normale Gespräche zu haben? Für Hussein Ali Amiri, den Vorsitzenden der Justizverwaltung, war alles klar: »In allen Spionagegeschichten, die Sie lesen können, sind Spione gewöhnliche Leute.«

Hamid Teflin wurde von der Beweislast überwältigt - als dritter der 13 iranischen Juden, denen seit dem vergangenen Jahr Spionage vorgeworfen wird, »gestand« er Anfang Mai seine Vergehen. Im iranischen Fernsehen erklärte er, einem Spionagenetz des israelischen Staates angehört zu haben. Bei einer Reise nach Israel sei er vom Mossad ausgebildet worden. Für seine Tätigkeit habe er 500 Dollar im Monat bekommen.

Teflin arbeitet, wie sein ebenfalls angeklagter Bruder, als Schuster. Wie die beiden im väterlichen Betrieb an Staatsgeheimnisse gekommen sein sollen, konnte bisher nicht geklärt werden. Viele der anderen zwölf verhafteten Juden sind Religionslehrer und Kleinhändler. Angeklagt sind auch acht Muslime, die den Juden bei ihrer Untergrundtätigkeit für den Mossad geholfen haben sollen. Auch gegen sie gibt es bis heute keine Beweise, in Haft bleiben müssen sie trotzdem. Vielleicht gestehen ja auch sie noch.

Der Anwalt der iranischen Juden weist immer wieder darauf hin, dass die Geständnisse keinen Wert hätten. Nach fast einem Jahr Haft seien sie plötzlich präsentiert worden. Auch die israelische Regierung weist den Spionagevorwurf von sich und fordert einen transparenten Prozess. Das Revolutiongericht tagt hinter verschlossenen Türen. Keine der Sitzungen, in denen die »Kontaktaufnahme mit dem Feind« untersucht wird, ist öffentlich.

Der Feind ist der Jude. Das reicht aus. Auf Spionage steht die Todesstrafe, Tod durch Erhängen. Ein Feindbild soll aufgebaut, der islamistische Antisemitismus soll gestärkt werden. Da Reisen nach Israel offiziell erlaubt sind, sind 90 000 Juden in den letzten zwanzig Jahren nach Israel gefahren. Die meisten kamen nicht zurück - im Gegensatz zu Hamid Teflin.

Die Verhandlung dient zudem als Warnung an alle Abweichler, unter ihnen auch die religiösen Minderheiten der Juden und Bahai. Tausende Bahai sind seit der Islamischen Revolution von 1979 unter ähnlichen Vorwänden verhaftet worden, mehr als 200 wurden hingerichtet. Geständnisse und Reue-Bekenntnisse im Fernsehen gehören zur Propaganda des Gottesstaates.

Wegen Kontakten mit dem Feind wird zur Zeit auch gegen Intellektuelle ermittelt: Vier Teilnehmer der Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, die Anfang April in Berlin stattgefunden hatte, sind seit mehr als zwei Wochen vorübergehend inhaftiert: Die Anwältin Mehrangiz Kar, die Verlegerin Schahla Lahidschi, der Studentenfunktionär Ali Afschar sowie Akbar Gandschi, Journalist und ehemaliger Leibwächter Ayatollah Khomeinis.

Gandschi gilt zwar als Anhänger von Staatspräsident Mohammad Khatami, dennoch hat er sich in jüngster Zeit auch um die Gunst der geistlichen Führung des Landes bemüht. Er kritisierte den Ex-Geheimdienstchef Ali Fallahian, der im Mykonos-Urteil als Drahtzieher eines Attentats in Berlin benannt wurde, um zu beweisen, dass die Islamische Republik kein terroristischer Staat sei. Er gab Said Eslami, einem hohen Geheimdienstmitarbeiter, der im Gefängnis Selbstmord begangen haben soll, die Schuld an den Morden an iranischen Intellektuellen und Politikern im vergangenen Jahr. Der Geheimdienst-Apparat selbst könne für die Morde nichts.

Vielleicht war es sein Angriff auf Haschemi Rafsandschani, den früheren iranischen Staatspräsidenten, der ihm zum Verhängnis wurde. Rafsandschanis Wirtschaftspolitik, so hatte Gandschi erklärt, habe dem Land eine Auslandsverschuldung eingebracht, die kaum noch zu bewältigen sei. Auf die Tatsache, dass die Wirtschaftspolitik Rafsandschanis der von Khatami sehr ähnlich ist, ging Gandschi allerdings nicht ein.

Drei weitere Teilnehmer der Berlin-Konferenz, die ebenfalls verhaftet worden waren, sind mittlerweile gegen Kaution wieder freigelassen worden. Zwei von ihnen betonten in einer gemeinsamen Erklärung, die Prinzipien der islamischen Ordnung im Iran nicht verletzt zu haben. Im Gegenteil hätten sie die Interessen der Bevölkerung und der staatlichen Ordnung verteidigt - gegen eine anarchistische Gruppe, die die Veranstaltung in Berlin gestört habe und die dem Zionismus anhänge.

Jamile Kadivar, die Ehefrau des iranischen Kulturministers Ataollah Mohadscherani, wurde frei gesprochen. Jussefi Eschkewari und Kasem Kardawani, zwei weitere Konferenzteilnehmer, sind vorerst nicht in den Iran zurückgekehrt. In Paris sagte Eschkewari letzte Woche: »Wir waren gekommen, um die Exil-Iraner aufzufordern zurückzukehren, nun können wir selbst nicht zurück«.

Das ist wohl besser so. Denn wie das Regime mit missliebigen Personen umspringt, wurde noch einmal in der letzten Woche deutlich. Vier Studenten, die an Protestdemonstrationen im letzten Sommer teilgenommen hatten, wurden zu jeweils 15 Jahren Haft verurteilt. Mehrere Hundert Studenten, die seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzen, warten noch auf ihr Urteil.

Darauf wies auch der Studentenverband für die Verteidigung der Freiheit auf einer Protestkundgebung hin. Die Morde an den Schriftstellern seien immer noch nicht aufgeklärt. Die islamische Studentenorganisation Daftare Tahkime Vahdat hingegen hält sich spürbar zurück. Selbst nach dem jüngsten Verbot von 16 Zeitungen und Zeitschriften rief sie ihre Mitglieder dazu auf, im Rahmen der Verfassung zu arbeiten und Ruhe zu bewahren.

Unterstützung erhielt sie dabei von Dschbeheje Moscharekat (Partizipationsfront), einer politischen Bewegung, die von Reza Khatami, dem Bruder des Präsidenten, angeführt wird - obwohl auch ihre Zeitung verboten worden war. In den Städten Kermanschah, Rascht und Buschehr hingegen fallen aus Protest gegen das Verbot der Zeitungen immer wieder Seminare an den Universitäten aus.

Von den Verboten der Zeitungen, die zusammen mehr als fünf Millionen Leser hatten, sind direkt oder indirekt 15 000 Menschen betroffen - vom Redakteur bis zum Verkäufer. Für das geistige Oberhaupt, Ali Khamenei, ist das noch lange kein Grund, sein Vorgehen zu ändern: Von ihm aus könnten statt 20 auch 200 Zeitungen existieren - solange sie im Rahmen der Verfassung arbeiten und die Ziele der Revolution nicht außer Acht lassen würden.

Zumindest verbal gibt sich Khamenei in letzter Zeit immer wieder gemäßigt, zumal nach den Wahlen zum Madschlis im Februar auch die Stichwahlen am letzten Wochenende von den so genannten Reformkräften um Khatami gewonnen wurden. Nun stellen sie mehr als zwei Drittel der Abgeordneten, was aber nur bedingt einen Zugewinn an politischem Einfluss mit sich bringt. Denn das Machtsystem im Iran beruht auf einer feinen Austarierung zwischen dem geistlichen Oberhaupt, dem Staatspräsidenten sowie weiteren Kontrollinstanzen.

Eine davon ist der Schlichtungsrat zur Erkennung der Interessen der Ordnung, der sowohl das Khatami-freundliche Parlament als auch den Khamenei-treuen Wächterrat berät und kontrolliert. Als Vorsitzender des Schlichtungsrats fungiert Hascheni Rafsandschani, der sowohl bei den Zeitungsverboten als auch bei den Verhaftungen wegen der Berlin-Konferenz als Scharfmacher hervorgetreten ist.

Dennoch dürfte der Sieg der Khatami-nahen Kräfte bei den Stichwahlen Konsequenzen für die Zusammenarbeit des Trios Khamenei, Khatami und Rafsandschani haben. Weitere Nachwahlen stehen für die nächsten Wochen an, da einzelne Abgeordnete vom Wächterrat disqualifiziert wurden - teilweise begleitet von Protesten.

Wenn sich die Lage nach den Wahlen wieder beruhigt hat, wird es wohl auch wieder die verbotenen Zeitungen unter neuem Namen geben, die dann in einem halben Jahr wieder verboten werden. Den inhaftierten Studenten und angeklagten Juden nutzt das freilich wenig.