Das ILOVEYOU-Virus

Niemand loves me

Das ILOVEYOU-Virus zeigt seinen Empfängern, dass es Menschen gibt, die sie lieben. Und den Nicht-Empfängern, dass sie out sind.

Als es darum ging, auch visuell zu dokumentieren, welche Schäden das ILOVEYOU-Virus angerichtet hatte, das in der letzten Woche weltweit über die Computer huschte wie sonst nur merkwürdig benannte kalifornische Hurricanes, hatte hierzulande die größte Fernsehanstalt, die ARD, die mit Abstand peinlichsten Bildideen.

Keine der ARD-Landessendeanstalten konnte nämlich an sich halten, und also musste jedes Lokalstudio Bielefeld, jedes Lokalstudio Vechta und jedes Lokalstudio Aschaffenburg einzeln und mit eigenen Bildern vermelden, dass auch dort das ILOVEYOU-Virus im E-Mail-Anhang angekommen und von irgendjemand geöffnet worden war, woraufhin auch dort das Chaos ausbrach - wie übrigens auch in diesem Lokalstudio, jenem Landesstudio und auch diesem Übertragungswagen. Überall waren die von besonders phantasiebegabten Kameraleuten ins Bild gerückten immer gleichen Monitore mit Listen eingehender E-Mails zu sehen, aus denen doch immer nur eines hervorging, nämlich wie wichtig man doch ist, weil man doch so viele Mails kriegt.

Irgendwie hing diesen Mails nämlich nicht nur die virenbehaftete und ILOVEYOU genannte Datei an, sondern immer auch die Botschaft, dass die Empfänger wirklich geliebt würden. Es ist der gleiche Effekt, der ausgelöst wird, wenn jemand ein dickes Adressbuch vor sich hinlegt oder stolz mit vielen vom Zusteller in den Kasten gestopften Briefen durchs Treppenhaus stapft. Er ist wichtig, auch wenn seine Post nur von Lotto-Faber kommt.

Liebe will also organisisert sein wie ein Postverteiler oder eine E-Mail-Box: Möglichst viele sollen von ihr wissen, und alle Teilnehmer am Spiel sollen sich gegenseitig stets ihrer Liebe vergewissern. Kein Wunder, dass ein kompliziert und föderal organisierter Betrieb wie die ARD dies am besten hinbekommt: Da wird ja täglich millionenfach irgendwas hin- und hergeschickt.

Im Weltmaßstab jedoch fand sich jemand, der sich noch peinlicher verhielt als die ARD: ein - natürlich von der ARD interviewter - US-amerikanischer Radiomoderator. Er teilte sichtlich stolz mit, er sei der Weltrekordhalter, denn er habe über 1 500 ILOVEYOU-Attachments erhalten. Sein auch ins Bild gesetzter Bildschirm zeigte, was schon der ARD widerfahren war: Massenhaft Liebesschwüre, die sich bloß als ein wenig anhänglich erwiesen.

Können Viren irren? Auch dann noch, wenn es über 1 500 sind? Nein, können sie nicht. Denn dort ist ein von einem namentlich benennbaren Absender und einem nicht unsympathisch ILOVEYOU benannten Anhang versehenes E-Mail durch die Lüfte geschwirrt, um in der Mailbox jenes Radiomoderators zu landen, damit er es dort öffnen kann, und der Einwand, die Leute hätten ihm diese Datei ja nicht willentlich geschickt, zählt nicht, denn vor allem steht der gute Mann mit seiner E-Mail-Adresse in über 1 500 Adressverzeichnissen - und das ist doch der Liebesbeweis.

Für den Urheber des Virus hielt man zunächst einen philippinischen Schüler, gegen den sofort von den US-Behörden ein Auslieferungsersuchen eingereicht wurde, als habe der junge Mann, wenn er es denn gewesen ist, nicht bloß die USA, sondern doch nachweislich die gesamte Welt, darunter ARD und BRD, geärgert. Später wurde kolportiert, ein deutscher Austauschschüler in Australien sei der Täter.

Die Empörung richtet sich aber nicht primär gegen irgendeinen jungen Kerl, der mit seinem Computer irgendwelche bösen Dinge macht, die man selbst gar nicht zustande brächte und die doch nur zeigen, dass bei allem E-Commerce- und Internet-Boom die Produktivkräfte noch ein wenig entwickelbar sind. Grüne Bananen sind ausgereifter als das Internet.

Schon der Umstand, dass man in einem derart komplexen System wie dem Internet, das primär virtuell existiert - eine E-Mail ist eben nicht greifbar -, nun den einzelnen Schurken in Gestalt eines wirklichen Menschen sucht, deutet an, dass das neue Medium noch nicht so souverän beherrscht wird, wie man's gern hätte: Wie der Liebende, der sich noch mal kneifen lässt, um zu realisieren, dass alles wahr ist, will der Internet-Benutzer in der Krise sich vergewissern, dass es sich immer noch um Menschen wie du und ich handelt, die so etwas fertigbringen. Schließlich duzt man seinen Computer auch und dies umso heftiger, wenn er sich nicht so verhält, wie man will.

Besonders groß ist die Empörung über den mutmaßlichen philippinischen oder deutschen Täter, weil er auf den Gefühlen von Millionen Internet-Nutzern herumgetrampelt ist. Als Absender des besagten Virus dienten ja meist persönlich bekannte Menschen, in deren Adressverzeichnisse man geraten ist. Und die senden einem die schöne Botschaft, wonach sie Liebe für einen empfänden, eine Botschaft also, die man auch schon immer aussenden wollte, aber bloß zu schüchtern war, und nun, endlich, sagt, also mailt, sie resp. er es.

Und prompt ist die Festplatte weg. Die Internetnutzung sorgt ja für ganz neue, die Gesellschaft eher atomisierende Kommunikationsformen: Es gibt Chats mit Leuten, die gar nicht so heißen, wie sie behaupten, und es wird Sex per E-Mail offeriert, was aus Telefonsex schon eine richtig persönliche Sache macht.

Gegen die Botschaft des ILOVEYOU-Virus kann der gute alte Heiratsschwindel halt nicht mehr anstinken. Enttäuschte Liebe ist aber allemal noch besser als gar keine, und deswegen sind peinlicher als ARD und besagter Radiomoderator zusammen Leute wie ich.

Leute nämlich, die keins dieser gemeinen Viren erhalten haben. Deppen wie ich, die sich mühen, aus privaten und beruflichen Gründen mit allerlei Leuten im E-Mail-Kontakt zu stehen, mit Redaktionen übers Internet konferieren, zum Teil gar im Online-Wesen ihr Geld verdienen und die, scheint's, so unwichtig sind, dass sie in keinem dieser vom Virus aktivierten Adressverzeichnisse stehen.

Mag also sein, dass die Versendung des ILOVEYOU-Virus nur eine virtuelle und illusionäre und falsche Liebesbezeugung war, auch wenn so integre Einrichtungen wie die ARD sie ja sehr ernst nahmen. Aber der Umstand, keine Mail mit ILOVEYOU-Attachment erhalten zu haben, ist Beweis eines echten und keineswegs virtuellen Liebesentzugs. Und das tut weh.