Krise bei Borussia Dortmund

Rückpass in die Neue Mitte

Borussia Dortmund geht es wie dem Wahlverein der nordrhein-westfälischen SPD: Überschätzt und abgewirtschaftet, wird der Club aber auch in dieser Saison nicht absteigen.

Der Ballspielverein Borussia Dortmund, abgekürzt BVB, wurde 1909 im Gasthaus »Zum Wildschütz« gegründet und hat mittlerweile mehr Fans, als in dieses Gasthaus hineinpassen.

Das verwundert, denn das Image als leidlich überflüssiger Fahrstuhl-Club konnte der Verein, der 1966 dank der Verpflichtung des Schalkers Stan Libuda Europapokal-Sieger wurde, erst ablegen, als das Team um Norbert Dickel, den heutigen Stadionsprecher, 1989 den DFB-Pokal gewann. Da trauten sich erstmals auch außerhalb von Dortmund Menschen, gelbschwarze Kleidungsstücke zu tragen. Noch mehr Fans hat der Club, seit er erstmals in der jüngeren Bundesligageschichte realistisch um die deutsche Meisterschaft mitspielte und 1992 dann doch nicht Meister wurde. Eintracht Frankfurt wurde es damals übrigens auch nicht, sondern dank Dortmunder Cleverness schaffte es tatsächlich der VfB Stuttgart mit Trainer Christoph Daum und Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder.

Verstärkt wurde der Borussia-Boom durch eine, wie Fans sagen, durchwachsene Folge-Saison, die dann doch mit einem vierten Platz endete, und die mit ihrem bisschen Krise alles bereitstellte, was Möchtegern-Fans brauchen, um zu behaupten, sie stünden auch in schlechten Zeiten zu ihrem Verein. Die BVB-Euphorie jener Jahre wurde noch durch einen großzügigen Vertrag mit dem Sportartikel-Hersteller Nike unterstützt, der Millionen nichts ahnender Schulkinder mit gelbschwarzen Schulranzen, gelbschwarzen Mäppchen und gelbschwarze Trikots versorgte, auf denen zunächst »Die Continentale«, später »S. Oliver« stand.

Die Erwachsenen kauften derweil gelbschwarze Geldbeutel, gelbschwarze Kaffeepötte, gelbschwarze Flaschenöffner und gelbschwarze Kondome. Fragte man sie, was sie da machen, lobten sie die Atmosphäre auf der Südtribüne: Wie in einer Familie gehe es da zu, und lustig und kreativ seien die Fans auch dann noch, wenn sie etwa mannshohe aufblasbare Bananen - ein Werbegeschenk der Firma Chiquita - enthusiasmiert schwenkten.

Keiner anderen Organisation in Deutschland - außer vielleicht der SPD - ist es gelungen, ähnlich viele Anhänger im linksliberal-intellektuellen Spektrum zu sammeln wie dem BVB: Friedrich Küppersbusch, Sönke Wortmann, Wolfgang Clement, Wiglaf Droste, Eugen Drewermann, Marius Müller-Westernhagen, Dietmar Bär und Joachim Kr-l sind überzeugte Freunde des gelbschwarzen Fußballvereins. Und da Angehörigen dieses Milieus traditionell und zu Recht nicht allzu viel zugetraut wird, außer überall da den jeweiligen Namen niederzuschreiben, wo Papier bedruckt wird, gelang es BVB wie keinem anderen Verein in Deutschland - nicht mal der SPD -, dafür Sorge zu tragen, dass über ihn nur von seinen Anhängern berichtet wird. Beinah monopolisiert sind die linksliberalen Blätter. In der Zeit etwa lobte Freddie Röckenhaus schon 1989, dass es im Westfalenstadion »südländisch« zugehe, 1992 lobte er im gleichen Blatt, hier gebe es »Fußballschauen als Improvisationstheater«, und 1997 feierte er, wieder in der Zeit, die »unverwüstlichen Dortmunder Fans«.

Als 1992 in der taz einmal ein sachlicher Text über die Dortmunder Fans erschien, der klarstellte, dass diese in einem Europacup-Spiel gerade mal eine »mäßig schwappende Ola« zu Stande brachten und dass sie dazu sogar »die rhythmische Vorgabe des Stadionlautsprechers« benötigten, da hagelte es Leserbriefe: »Nicht kompetent« sei der »Schreiberling»; um sich ein »objektiveres Bild« zu machen, müsse der Autor gefälligst regelmäßig ins Westfalenstadion kommen.

Kein anderer Verein in Deutschland hat derart peinlich dem Missionsgedanken verpflichtete Fans wie der BVB - das unterscheidet ihn nachhaltig von der SPD. Der bundesweit teils mit Wohlwollen, teils mit offener Begeisterung und nur selten mit Kritik begleitete Aufstieg der Borussia zum Spitzenverein im deutschen und - ganz kurze Zeit sogar - im internationalen Fußball ist Ausdruck sozialdemokratischer Modernisierungspolitik.

Aus dem Ort, in dem Schwerindustrie und Bergbau dominierten und wo die jungen Männer nach der Schicht zum Fußball gingen, wurde die Dienstleistungsmetropole Dortmund. »Die mächtige SPD, ohne die hier keiner weiterkam, wurde über die Jahre zwar zur Partei der konformistischen Angestellten und sogar der Kleinunternehmer, aber das positive Image der solidarischen Arbeiterpartei nahm sie in die besseren Wohnviertel mit«, schrieb Dirk Schümer 1995 in der FAZ, und, als verstünde nicht jeder sofort die Analogie zur ringelsockentragenden ortsansässigen Borussia, fuhr er fort: »Im Fußball war das ebenso. Im armen Dortmunder Norden - rund um den vielbesungenen Borsigplatz, eine dunkelgrau verstaubte Rotunde abweisender Fünfziger-Jahre-Fassaden - schlägt auch das Herz der Borussia. Mit den Bewohnern dieser Arbeiterviertel - Eving, Mengede - haben die millionenschweren importierten Stars der Borussia wie Sammer, Riedle, Reuter, Möller ebensowenig gemein wie die agilen, jungen SPD-Stadträte mit den Arbeitslosen und den türkischen Stahlkochern.«

Doch der Strukturwandel, den die nordrhein-westfälische SPD vorangetrieben hatte und mit dem sie an Rhein, Ruhr und Emscher mal richtig berühmt werden wollte, kam ins Stottern, was alle, außer den Sozialdemokraten und den BVB-Anhängern, vorausgesehen oder zumindest geahnt hatten. Die Arbeitslosigkeit blieb - da konnte umgebaut werden, wo immer man etwas Umzubauendes fand - strukturell hoch. Obendrein zeigte sich schnell, dass die forschen Dynamiker ihrer alten Heimat Sozialdemokratie doch insoweit verbunden waren, als sie das Klüngeln im Filz perfekt beherrschten.

Wenn der damalige Finanzminister Heinz Schleußer Freiflüge mit seiner Geliebten zum Segelurlaub antrat, litt das Bild des Modernisierers ähnlich wie das des effizient und arbeitsteilig geführten BVB, als bekannt wurde, dass Präsident Gerd Niebaum autoritär und patriarchalisch nicht nur einen zu kaum mehr als zum Bedienen einer Kaffeemaschine tauglichen Sportdirektor namens Michael Zorc einstellte, sondern sogar persönlich bei der Mannschaftsaufstellung intervenierte. Schleußer, der erst sparen und auf dieser Grundlage alles modernisieren wollte, machte teuer weiter wie immer, und Niebaum, der die Fans schon mal als »Kunden« titulierte und der seinen Club durchaus ehrlich als »Unternehmen der Freizeitindustrie« bezeichnete, machte plötzlich aus seiner Anwaltskanzlei heraus, was es zwar im Ruhrgebietsfußball immer gegeben hatte - selbstherrliche Präsidentschaften -, was man aber doch bislang immer offen in hässlichen Turnhallen bei zu teurem Bier in Mitgliederversammlungen zu hören bekam.

Die Modernisierung offenbarte sich anders als vorher versprochen. Der Spiegel schrieb 1998: »Es war ja stets die Kunst der Borussia, immer schneller immer mehr Geld zu verdienen und mit ein paar schwarz-gelben Tupfern den Schein zu wahren, noch immer der Club der Kumpel zu sein.« Fußballerisch kämpft der BVB in diesem Jahr gegen den Abstieg, und überhaupt hat er seit seinem Champions-League-Triumph 1997 nichts Richtiges mehr reißen können: Dem Realschullehrer Ottmar Hitzfeld folgte im Traineramt der habituelle Buchhalter Nevio Scala, der Stadtsparkassen-Azubi Michael Skibbe und jetzt der Stehbierhallen-Rentner Udo Lattek. Mit Hängen und Würgen schaffte der Club im letzten Jahr noch die Champions-League-Qualifikation, was zum einen niemand so richtig mitbekam und was zum anderen auch ziemlich folgenlos blieb: BVB scheiterte schnell, und das Jahr 1998 hatte man gar als Tabellenzehnter abgeschlossen - mittelmäßiges Mittelfeld. Ähnlich erging es der SPD, die bundesweit 1998 einen bemerkenswerten Erfolg verbuchte, indem sie plötzlich den Kanzler stellen durfte, die aber ansonsten eher durchhing, wie vor allem die Wahlschlappe in Sachsen - knapp über zehn Prozent - bewies.

Einzig die Schwäche des Gegners, der CDU, verhinderte den völligen Kollaps der SPD, und dem BVB geht es in dieser Saison nicht anders: der MSV Duisburg und Arminia Bielefeld sind bereits abgestiegen, zu vergeben ist also bloß noch ein Abstiegsplatz, um den sich außer den überfälligen Borussen noch der SSV Ulm 1846 bemüht, und wenn wider Erwarten der nicht absteigen sollte, könnte zur Not noch Eintracht Frankfurt die Lizenz entzogen werden.

Borussia Dortmund bleibt also der ersten Bundesliga erhalten. Einzig die Schwäche der Gegner ermöglicht dies, und diese Schwäche sorgt ja schließlich auch dafür, dass mit Bayer Leverkusen ein Verein erstmals ganz oben stehen wird, der nicht fußballerisch zum Konzern wurde, sondern erst Konzern war und sich dann Fußball kaufte - das, immerhin, unterscheidet ihn von Dortmund oder Bayern. Außerdem hält sich Bayer 04 Leverkusen einen Cheftrainer, der so daherredet wie jeder Motivationstrainer der Scientologen auch.

Die fußballerische Leverkusen-Option erinnert an die sozialliberalen Optionen, die sich der NRW-SPD nach ihrem, gleichfalls unverdienten Erhalt der Erstklassigkeit auftun. Ob der Antreiber Christoph Daum oder Jürgen Möllemann heißt, dürfte egal sein. Der BV Borussia Dortmund aber wird auch im kommenden Jahr beweisen, dass er zu dieser Liga und dieser Republik gehört.