Vorletzter Tango in Paris
Der Sowjet-Kommunismus ist nicht tot. Er hat lediglich - gemäß einem Plan, den die sowjetischen Führer bereits Ende der siebziger Jahre ausgearbeitet haben - unter Gorbatschow eine »Verkleidung« durchgemacht, um mit dem Kapitalismus zu fusionieren. Gemeinsam seien der »vaterlandslose Kapitalismus« einerseits und der »internationale Neokommunismus« nunmehr daran, an der Errichtung einer »Weltregierung« zu arbeiten. Ziel sei »die Zerstörung der Nationen«, Nutznießer seien »das Freimaurertum« und »die Hochfinanz«, die der Redner nur aus Rücksicht auf die Strafgesetze nicht offen als »jüdisch« bezeichnet.
Die entstehende Neue Weltordnung sei gleichbedeutend mit Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und der Zerstörung der vorhandenen Ökonomien, »überall, außer in den USA und in Israel«. Diese braunen Verschwörungstheorien verkündet der alternde französische Rechtsextremisten-Führer Jean-Marie Le Pen. Im Alter von bald 72 führte der Gründer des Front National (FN) am 1. Mai einmal mehr seine Truppen an, um Jeanne d'Arc, der Nationalheiligen der äußersten Rechten, die Ehre zu erweisen und zugleich den Arbeiterfeiertag von rechts zu besetzen.
In diesem Jahr mussten die FN-Marschierer so viel Abstand halten wie selten zuvor, um noch notdürftig den Eindruck einer Massenveranstaltung zu erzeugen. Nur knapp 3 000 Demonstranten folgten Le Pen auf den Platz der Pariser Oper, wo der FN früher oft eine fünfstellige Zahl von Anhängern mobilisieren konnte. Le Pens ehemaliger Chefideologe und großer Rivale innerhalb des französischen Neofaschismus, der 51jährige Bruno Mégret mit seinem MNR (Mouvement National Républicain), verzichtete ganz aufs Fußvolk und führte einen Autokorso durch Paris an - mit gerade mal 200 Fahrzeugen. Etwas später sammelte Mégret knapp 1 000 Anhänger in einem Saal im Pariser Vorort Saint-Denis. Am 1. Mai 1999 hatten beide Hälften des gespaltenen französischen Neofaschismus noch jeweils knapp 4 000 Demonstranten mobilisieren können.
Seinen diktatorischen Führungsstil, der Ende 1998 zur Abspaltung des MNR geführt hatte, konnte sich Le Pen jetzt noch einmal bestätigen lassen. Ohne Gegenstimme, ohne Enthaltung und ohne Gegenkandidaten ließ er sich auf dem elften FN-Kongress, der Ende letzter Woche in Paris stattfand, mit erhobener Hand zum Vorsitzenden wiederwählen. Solche Rituale können aber nicht kaschieren, dass Le Pen heute über ein Ruinenfeld herrscht. Nach den jungen, gut ausgebildeten Kadern, die rasch in eine Regierungskoalition gelangen wollten - sie schlossen sich bei der Spaltung der Mégret-Partei an - kehren nun auch die militanten Neonazis dem FN den Rücken.
Beim Marsch am 1. Mai prügelten sich militante Neonazis mit dem Ordnerdienst des FN. Anlass war ein Aufruf der Ultraradikalen, sich am Vormittag dem Aufmarsch von Le Pen und am Nachmittag desselben Tages der Saal-Veranstaltung mit Mégret anzuschließen. Für Le Pen war das eine Provokation: Wer Kontakt zu dem »Hochverräter« und seinen Anhängern pflegt, wird hinausgeworfen. Mégret hingegen zeigt sich den militanten Neonazis gegenüber aufnahmebereit.
Am Tag vor dem Marsch hatte der Chef der FN-Jugendorganisation FNJ, Guillaume Luyt, vor dem versammelten FN-Kongress seinen Rücktritt verkündet, angeblich enttäuscht über einen »Parteitag des Konservatismus und der Bonzen«. Der wahre Grund ist, dass dem FNJ-Chef kein Platz mehr im Politischen Büro des FN, dem obersten Führungsgremium der Partei, reserviert worden war, während zugleich der Le-Pen-Vertraute Farid Smahi ins Politbüro einziehen konnte. Nun, beschwerte sich Luyt, sei »die Jugend« nicht mehr im FN-Politbüro vertreten, während ein »Araber« in dieses Gremium befördert worden sei.
Für Le Pen ist Smahi kein gewöhnlicher Araber: Er stammt aus der so genannten Harki-Bevölkerung, die im algerischen Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Kolonialmacht Frankreich kämpfte und dafür nach der Unabhängigkeit 1962 vertrieben wurde. Le Pen ist den kolonialen Hilfstruppen verbunden, seit er als Abgeordneter der Nationalversammlung während des Algerien-Kriegs für die französische Präsenz in Nordafrika kämpfte. Von Anfang an hatten die Harkis ihren Platz im FN.
Unter jenen Strömungen der extremen Rechten, die einem strikten Rassenbiologismus folgen, stößt diese postkoloniale Integrationspolitik auf Ablehnung. Dies gilt für die jungen Neonazis, zu denen ein großer Teil des FNJ gehört und denen auch Guillaume Luyt zumindest nahe steht. Und es gilt auch für den MNR, bei dem ein strikt biologistischer und oftmals von der neuheidnischen Neuen Rechten beeinflusster Rassismus vorherrscht.
In der FN-Parteispitze konnte dagegen die Alte Garde von Le Pens Weggefährten aus den Zeiten der Kolonialkriege und der altfaschistischen Sammlungen in den frühen siebziger Jahren ihre Macht noch ausbauen: Diese Gruppe stellt nun 24 von 40 Mitgliedern des FN-Politbüros. Die Folge: Derzeit ist eher Nostalgie angesagt als eine Strategie für Bündnisse mit bürgerlichen Kräften. Unter starkem Applaus der Delegierten durfte auf der Tribüne des FN-Kongresses einer der internationalen Gäste, ein Europa-Parlamentarier der faschistischen italienischen MSI-Fiamma Tricolore, unter starkem Applaus der Delegierten Benito Mussolini zitieren - mit dem Satz: »Lieber einen Tag als Löwe leben denn 100 Tage als Schaf.« Unter den Gästen waren auch ein DVU-Vertreter, Abgesandte der ungarischen MIEP des rabiat antisemitischen Istvan Csurka, der Grossrumänien-Partei, der tschechischen Republikaner und der spanischen Democracia Nacional.
Während der FN Bündnisse mit Stiefel-Faschisten aus allen Ländern sucht, sieht Mégret das Vorbild in der österreichischen Regierungskoalition und betont, der MNR sei die französische Entsprechung zur Partei Jörg Haiders. Für den FN ist Haider ein Verräter, der seine Ideen für Ministersessel verkauft, die FPÖ wird als »Trittbrett und Fußabstreifer für die Konservativen« bewertet.
Vor den französischen Kommunalwahlen im März 2001 will die Mégret-Partei intensiv das örtliche Terrain beackern, in soziale Konflikte eingreifen und Bündnisse mit Rechts-Kräften auf lokaler Ebene suchen. Le Pen dagegen sind die Kommunalwahlen egal - er will Präsenz zeigen, um dem MNR nicht das Feld zu überlassen. Ihn interessiert allein die Präsidentschaftswahl, die einer »starken Führerpersönlichkeit« auf den Leib geschneidert scheint.
2002 will Le Pen sich daher noch einmal ins Getümmel stürzen. Seine Mandate im Europa-Parlament und im Regionalrat von Marseille hat er gerade verloren, nachdem seine Verurteilung wegen des körperlichen Angriffs auf die sozialistische Politikerin Anne Peulvast-Bergeal 1997 rechtskräftig geworden ist.