Vatikan gegen Gay Pride Parade

Heilig macht heimlich

In Italien versucht die Kirche, die diesjährige Gay Pride Parade in Rom zu verhindern. Bürgermeister Rutelli will keinen Ärger mit dem Vatikan.

Wie ein Filmstar stieg der Bürgermeister die Treppen des Campidoglio - Sitz der römischen Stadtverwaltung - hinab. Unter großem Beifall der Menge schloß er sich der Christopher Street Day Parade an. Die Queer-AktivistInnen in Italien schienen in Francesco Rutelli einen wertvollen Verbündeten gefunden zu haben: einen jungen, gut aussehenden Bürgermeister, der zuerst in der Radikalen Partei und dann bei den Grünen durch seine toleranten Positionen aufgefallen war. Als Bürgermeister setzte Rutelli einige Reformen zu Gunsten der schwul-lesbischen Bewegung in Rom durch. Dann folgte seine symbolträchtige Teilnahme an der römischen Gay Pride Parade. Das war 1994. Auch dieses Jahr könnte die schwul-lesbische Demonstration wieder eine gelungene Veranstaltung für Rutelli werden, wäre da nicht das heilige Jubiläumsjahr.

200 000 polnische Pilger werden am zweiten Juli-Wochenende in Rom erwartet; im Heiligen Jahr sind sie aber nur eine von vielen Wallfahrer-Gruppen in der Stadt. Gleichzeitig mit den polnischen Katholiken werden voraussichtlich auch Zehntausende Queer-Aktivisten anreisen, um an den internationalen World-Gay-Pride-Veranstaltungen vom 1. bis zum 9. Juli in Rom teilzunehmen. Höhepunkt des Treffens ist die Parade am 8. Juli. Im Vatikan sieht man darin eine Provokation und ist empört. Erzbischof Angelo Comastri, Heilig-Jahr-Beauftragter der Italienischen Bischofskonferenz, sprach im Zusammenhang mit der Parade von einer »Verwirrung und Vernebelung der Gewissen«.

Bereits im Januar hatte man im Vatikan Bedenken geäußert, ob im großen Jubiläumsjahr der Christenheit eine schwul-lesbische Parade nicht besser vermieden werden sollte. Dann schickte aus San Francisco Erzbischof William Joseph Levada ein Video nach Rom, um die Kardinäle zu warnen. Zu sehen waren Ausschnitte von der Gay Pride Parade 1998 in San Francisco: Eine Gruppe als Nonnen und Mönche Verkleideter zog sich aus und tat so, als würde sie onanieren. Der Vatikan führte das Video als Beweis an, dass eine Gay-Parade im Rom des Heiligen Jahres einfach nicht zu tolerieren sei.

Letzte Woche zeigte der Druck der Kirche schließlich Wirkung: Der grüne Bürgermeister Rutelli, der lange Zeit die Verbotsforderungen der Kirchenmänner ignoriert hatte, knickte ein. Erst wurde dem römischen Christopher Street Day der Ehrenschutz der Stadt, der mit Vergünstigungen verbunden ist, entzogen. Dann nahm Rutelli auch die versprochene finanzielle Unterstützung von umgerechnet 150 000 Euro wieder zurück. Der Bürgermeister hatte vor drei Jahren den Organisatoren, dem Verein Mario Mieli und zwei anderen schwul-lesbischen Gruppen in Rom, das Geld zugesagt und dabei an die »Werte der Toleranz und der Freiheit« erinnert. Doch seine große Sympathie mit den homosexuellen Römern scheint er nun zu bereuen: »Man kann mit seinem Benehmen eine Grenze erreichen, ab der die Mehrheit der Stadtbewohner in ihrem Empfinden verletzt wird, nicht nur die Kirche. Ich bin der Bürgermeister aller Menschen in dieser Stadt.« Dass der Veranstaltung Grenzen zu setzen seien, fällt Rutelli ziemlich spät ein. Immerhin ist die diesjährige Parade bereits die vierte in Rom.

Vielleicht sah sich Rutelli durch die Äußerungen von Premierminister Giuliano Amato zu seinem Sinneswandel ermutigt. Amato hatte einige Tage zuvor im Rahmen einer parlamentarischen Fragestunde die geplante Gay-Parade als »inopportun« bezeichnet. Doch »leider« gebe es da die Verfassung, die einem Verbot der Demonstration im Wege stehe. In der eigenen Partei stießen Amatos Probleme mit der Verfassung auf heftige Kritik. Selbst seine Frau, Diana Amato, erklärte öffentlich ihre Solidarität mit den Veranstaltern der Parade. Seltenen Applaus erhielt der Premier dagegen von der rechten Opposition und von der gegen die schwul-lesbische Parade mobilisierenden neofaschistischen Forza Nuova.

Der hitzige Streit, der um die diesjährige Demonstration der Homosexuellen entbrannt ist, macht vor allem eins deutlich: wie einflussreich die Katholische Kirche in dem Mittelmeerland noch immer ist. Denn Italien ist nicht irgendein katholisches Land: Hier residiert das Oberhaupt der Katholiken. So bleibt es den Italienern nicht erspart, dass sich der Papst immer wieder in die italienische Politik einmischt. Besonders, wenn es um Sexualität geht. Erst im Februar hatte das Kirchenoberhaupt die Italiener dazu aufgefordert, mehr Kinder zu zeugen. Kirche und Staat müssten stärker Familie und Geburt unterstützen. Wenn der Hirte ruft, kommen seine Schäfchen gelaufen: Pierluigi Castagnetti von der christdemokratischen Splitterpartei PPL forderte sogleich eine Prämie von 6 000 Euro für alle finanzschwachen Italienerinnen, die ein Kind in die Welt setzen. Und der römische Bürgermeister Rutelli nutzte die Gelegenheit, Eintracht mit der Kirche zu demonstrieren: »Wenn in Italien keine Kinder mehr geboren werden, ist das auch ein Problem für die Politik.«

Denn die katholische Kirche ist in Italien so einflussreich, dass man sie sich ungern zum Gegner macht. Das wusste auch Amatos Vorgänger Massimo D'Alema, der wegen seiner parteikommunistischen Vergangenheit besonders bei katholischen Wählern auf Misstrauen stieß. So war das Aufsehen groß, als der damalige Premier Anfang des Jahres zu einer Audienz beim Papst geladen wurde. Für solch werbewirksame Ehren revanchierte D'Alema sich flugs mit dem Versprechen, dass der italienische Staat auch weiterhin die zahlreichen privaten katholischen Schulen im Lande finanzieren wird. Die Kirche kann nach wie vor in der Bildung mitmischen, ein wichtiger Einflussbereich wurde gesichert. Und selbst am Tag der Arbeit setzt sich zuweilen der Katholizismus durch. Dieses Jahr überließ auf der offiziellen Gewerkschaftskundgebung zum 1. Mai der CISL-Sekretär Sergio D'Antoni dem Papst die Rednerbühne: Der Arbeitertag wurde zum Friedenstag umfunktioniert.

Bürgermeister Rutelli scheint nicht mit den harten Reaktionen gerechnet zu haben, die sein Kniefall vor der Kirche auslösen würde: Es gab Proteste, Appelle und Solidaritätsbekundungen von allen Seiten. Selbst katholische Basisgruppen bezeichneten die Haltung des Vatikan als »nicht akzeptierbare Arroganz«. Am Ende der Woche gab der Grüne schließlich sein Versprechen, dass die schwul-lesbische Demonstration auf jeden Fall stattfinden werde - auch ohne städtische Gelder und ohne offizielle Hilfe. Stattdessen gibt es nun eine peinlich-heimliche Unterstützung vom Senat - Bürgermeister Rutelli ist kaum wieder zu erkennen.