Straßenfest am Nollendorfplatz

Den Regenbogen feiern

Gefährliche Orte CVIII: Das Stadtfest am Nollendorfplatz. Ein bisschen Ritual, ein bisschen Spektakel, ein bisschen Fressmeile. Um als ganz normal zu gelten, müssen sich die Schwulen ganz normal geben.

Es ist ein Ritual. In manchen Clubs lässt es sich jede Nacht beobachten. Auf manchen Straßen auch. Aber nur selten in diesem Ausmaß: Wenn Schwule, Lesben und Transen sich zum jährlichen »Stadtfest« in der Nähe des Nollendorfplatzes versammeln, putzen sie sich ganz besonders heraus. Die hübschesten Kleider, die Pumps mit den höchsten Absätzen, Federboas in allen möglichen und unmöglichen Pastell-Farbtönen und die schwärzesten Lederklamotten werden präsentiert - das Beste, was der Kleiderschrank eben hergibt. Und man zeigt seine Muskeln. Es sei denn, man hat keine zu bieten, dann wird eben nackte Haut ohne Muskeln präsentiert. Auch das kommt gut an.

Die Regeln des Rituals sind streng und unerbittlich: Wer nicht auffällt, gehört nicht dazu oder ist hetero. Oder sogar beides. Die schwul-lesbische Veranstaltung ist nämlich Stadt- und Kiezfest zugleich. Tunten und Ledergestalten aus der ganzen Hauptstadt kommen nach Schöneberg und auch etliche Anwohner flanieren über die Schöneberger Motzstraße - gewohnheitsmäßig. Man muss sich ja aus nächster Nähe angucken, was so los ist. Arm in Arm schlendert beispielsweise das Ehepaar Block durch die Menge. Sie bestaunt neidisch die bunten Bekleidungsvarianten der Berliner Schwulen- und Transenszene, er hat angeblich nur Lust auf Bratwurst und Bier. Aus den letzten Jahren weiß er bereits, »dass es hier auch ganz normales Essen gibt«.

Der Mann hat seine Lektion gelernt. Und das Stadtfest damit seinen Zweck erfüllt: Es soll nämlich mehr sein als das übliche Ich-zeige-mich-von-meiner-erotischsten-Seite-Ritual im großen Rahmen: »Wir wollen raus aus dem Nischen-Dasein«, erklärt Marlene. Sie trägt einen schwarzen Mini, eine rosa Bluse, ihr Gesicht ist geschminkt, aber das kann eines nicht verdecken: Sie ist schlecht rasiert. Und sie will die Heteros nicht nur deswegen auf dem Fest sehen, damit sie hübschen Kerlen hinterhergucken kann. »Es geht um Toleranz, um Verankerung in der Gesellschaft, wir wollen sein wie alle anderen auch: uns frei bewegen, den Partner heiraten können und so weiter.« Für Marlene gilt: Styling ausgeflippt, sonst möglichst normal. Beruflich erfolgreich, sozial anerkannt, die U-Bahn-Fahrt zum abendlichen Ritual in der Stammbar soll kein Spießrutenlauf mehr sein.

Im Norden Schönebergs, der Gegend zwischen Viktoria-Luise- und Nollendorfplatz, kann von Nischen-Dasein und Ausgrenzung aber längst keine Rede mehr sein. Als 1993 das erste schwul-lesbische Stadtfest stieg, war das noch nicht so. Damals war ein gewalttätiger Übergriff im Kiez Anlass für das Protest-Event. Schöneberg war damals zwar schon die Party-Zone für die Szene, Schwulen-Kneipen gab es für jeden Geschmack: »Tom's Bar« mit Darkroom für die schnelle Nummer am Abend, im »Pinocchio« konnte man die Stricher treffen und die Lack- und Lederfraktion ging ins Westende der Fuggerstraße. Aber der Kiez war noch nicht gay zone, es tummelten sich noch jede Menge anderer Menschen hier: Akademiker mit alternativem Bewusstsein, Ausländer ohne Geld, einige wenige Schöneberg-treue Reste der Hausbesetzerbewegung und Drogendealer. In den Geschäften gab es viel billiges Zeugs aus zweiter Hand oder teures Zeugs aus kontrolliert biologischem Anbau.

Mittlerweile aber hat eine besondere Art der Umstrukturierung alles verändert: Mit dem Aufhängen von Regenbogenfahnen haben die meisten Cafés und Kneipen auch gleich die Preise kräftig erhöht, statt Trödel und gebrauchten Büchern gibt es in den Läden der Motzstraße nun teure Männerunterwäsche. Die Drogenszene ist mit Hilfe der Polizei etwas gen Norden abgedrängt, ausländische Familien ziehen häufig weg.

Nach dem Umzug von Bundestag und Regierung soll sich FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle seinen Berliner Wohnsitz im Kiez eingerichtet haben. Der Liberale, der sich innerparteilich für die Gleichstellung von Homo-Lebensgemeinschaften stark macht, fehlt an diesem Wochenende allerdings. Er weilt in Nürnberg, auf dem Bundesparteitag. Dabei hätte man ihn gerne auf dem Fest begrüßt. Denn bei schwul-lesbischen Events stehen Prominente hoch im Kurs. Bei der Vorbereitung des Straßenfestes und des diesjährigen Christopher-Street-Day haben die Veranstalter bei vielen Parteien und Institutionen die Klinken geputzt. Auffallen ist die Devise, das ist wie beim abendlichen Ritual in Kneipen und Bars. Die politische Ausrichtung ist egal, in der Motzstraße finden alle Gehör.

So wird am Stand der LSU (Lesben und Schwule in der Union) propagiert, dass selbst in der CDU ein Umdenken beginnt: »Anpassung der Parteivorstellungen an die Realität«, nennt das einer der Unions-Schwulen. »Wir können was bewirken«, verspricht er. »Wissen Sie eigentlich, wie viele homosexuelle Abgeordnete es bei der CDU gibt?« Eine Frage, die keiner beantworten kann. Und keiner beantworten will. Weil sie niemanden interessiert - außer die LSU.

Der Schöneberger Baustadtrat Gerhard Lawrentz jedenfalls scheint nicht dazuzugehören. Der CDU-Mann ist zwar privat mit einem der Fest-Veranstalter befreundet und findet sich deshalb auch zum Prominenten-Talk auf der Bühne ein. Im Vorfeld aber hat er dem Festkomitee Gebühren für die Nutzung der Straße und die Müll-Entsorgung aufgebrummt. Seine Begründung: Die Veranstaltung ist keine politische Demonstration. Recht hat er: Das Ganze ist nicht mehr als ein Spektakel.

Nicht allen Besuchern genügt allerdings, was dieses Jahr geboten wird. Manchmal schnappt man im Vorübergehen ein leises Murren auf. Einige beklagen sich über den um die »30 Prozent liegenden Hetero-Anteil«. Von anderen sind Worte wie »Kommerz«, »entpolitisierend« und »Fressmeile« zu hören. In der Tat lässt sich nur am reichhaltigen Cocktail-Angebot und dem literweise ausgeschenkten Sekt der Unterschied zu einem gewöhnlichen Volksfest ausmachen. Wer ganz normal sein möchte, muss eben auch ganz normal feiern können.