Positionspapier von Blair und Aznar

Dritter Weg, neu geteert

Von den USA lernen: Tony Blair und Spaniens Ministerpräsident Aznar haben ein gemeinsames Positionspapier vorgelegt.

Der Dritte Weg führt jetzt bis nach Spanien. Denn nach dem Schröder-Blair-Papier gibt es seit Mitte Juni auch eine gemeinsame Positionsbestimmung von Tony Blair und dem konservativen spanischen Regierungschef José Maria Aznar, das in diese Richtung zielt. Beide Politiker sehen die Potenziale der europäischen Volkswirtschaften durch die gemeinsame Währung gestärkt. Und sie plädieren ganz im Sinne der sozialdemokratischen Konzeption des »Dritten Weges« für eine beschleunigte Fortsetzung der Strukturreformen. Im Klartext: Deregulierung, Privatisierung und gleichzeitige Zivilisierung des sozial-ökonomischen Wandels werden dem Euro nach seiner erfolgreichen Einführung am besten dienen. Damit ist das Papier auch ein deutliches Signal für die weitere Annäherung Großbritanniens an die gemeinsame europäische Währungszone.

Allerdings wird auch auf die bisher ungelösten Probleme hingewiesen. So warnen die beiden Regierungschefs - mit unüberhörbarem kritischem Unterton gegenüber dem deutschen Finanzminister Hans Eichel - vor einer Steuerharmonisierung und vor wirtschaftspolitischen Regulierungen, die das Kapital aus der Europäischen Union hinaustreiben würden. Und nicht zufällig erschien das Papier kurz vor dem EU-Gipfel, der Anfang der Woche nahe der portugiesischen Hafenstadt Porto stattfand. Dort sollte eigentlich auch eine einheitliche Steuerpolitik für Europa beschlossen werden - insbesondere über eine Regelung zur Besteuerung von Kapitalerträgen.

Eine Einigung ist jedoch nicht in Sicht. »Es wird keine Lösung geben. Wir kommen vielleicht einen Millimeter voran, aber gewiss nicht ans Ziel«, erklärte frustriert der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden letzte Woche. Bereits beim EU-Gipfel in Helsinki im vergangenen Dezember war eine Lösung am erbitterten Widerstand des britischen Schatzkanzlers Gordon Brown gescheitert - er befürchtet, dass durch eine Besteuerung von Zinserträgen der milliardenschwere Eurobond-Markt aus London abwandern würde.

Eine Regulierung der Finanzpolitik ist daher vor allem mit der britischen Regierung kaum zu machen. Daran war schließlich schon der ehemalige deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine gescheitert. Wegen seiner Steuerpläne wurde er damals von der britischen Presse zum »gefährlichsten Mann Europas« gekürt.

Doch trotz dieser Differenzen spricht sich Tony Blair für einen Beitritt zum Euro-Verbund aus. Die EU sei mit Abstand der größte Handelspartner Britanniens und die Exportwirtschaft wisse, welchen Schaden instabile Wechselkurse anrichten können. Schließlich will auch Großbritannien am kommenden Boom im Euroland beteiligt sein. Die Konjunkturaussichten für das laufende Jahr sind günstig, weil mit einem Wirtschaftswachstum von deutlich über drei Prozent gerechnet werden kann.

Vor allem aber kommt die EU-Wirtschaftspolitik - vom Steuerstreit abgesehen - den Forderungen von Blair und Aznar mittlerweile sehr entgegen. Treibende Kräfte des europäischen Einigungsprozesses sind die Kapitale der so genannten Wachstumsbranchen - Informations- und Kommunikationssektoren, aber auch der Biotechnologie. Für eine massive Förderung dieses Bereiches hat die Europäische Kommission auf dem Sondergipfel in Lissabon im März 2000 politische Rückendeckung erhalten. Die Orientierung am US-Modell ist unüberhörbar: »Der Aufschwung digitaler Technologien, im Zusammenhang mit flexiblen Arbeits- und Kapitalmärkten und geringen Wettbewerbsbeschränkungen, hat zu einem Produktivitätszuwachs geführt und den Weg für das dauerhafte, starke und inflationsfreie Wirtschaftswachstum in den USA gelegt.«

Dieses Erfolgsrezept möchte man nun kopieren, am liebsten die USA gar »überholen«. Dabei geht es zum einen um die massive Förderung der Digitalisierung auf allen Ebenen: Bildung, Internet-Ökonomie, Chip-Entwicklung, Risiko-Kapital für kleinere und mittlere Unternehmen.

Zweiter Schwerpunkt ist die völlige Neuordnung der Energiepolitik, weshalb Brüssel die Deregulierung und den Umbau der entsprechenden Unternehmensnetze vorantreibt. Aber auch im Bereich der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie sollen die US-Kapitale abgehängt werden. Die Gründung der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) bringt nicht nur die Sicherung der Marktanteile in der zivilen Luftfahrt voran, sondern schafft zugleich die produktionsseitige Grundlage für die angepeilte militärische Eigenständigkeit der europäischen Staaten.

Es wäre allerdings ein Irrtum, dass nur die Global Players von Euroland profitieren. Eine empirische Untersuchung von 500 führenden mittleren und kleineren Unternehmen in Europa bestätigt für die Jahre von 1993 bis 1998: Bei einer Umsatzsteigerung von über 30 Milliarden Euro wurden 230 000 neue Jobs geschaffen. Neben der Boom-Branche Informationstechnologie sind überraschenderweise die traditionellen Wirtschaftszweige gut vertreten.

Angeführt wird die Hit-Liste von griechischen Unternehmen: Hier haben die Aktionäre zwischen 1995 und 1999 eine durchschnittliche Jahresrendite von 92 Prozent erzielt, es folgen Belgien mit 88, Finnland mit 79, Irland mit 64 und die Niederlande mit 55 Prozent. Kein Wunder also, dass inzwischen auch die kleineren und mittleren Unternehmen der traditionellen Wirtschaftszweige zu engagierten Protagonisten der Euro-Entwicklung geworden sind.

Zu den eindeutigen Verlierern gehören die Lohnabhängigen. Unter Führung der bundesdeutschen Gewerkschaften wird in Europa ein wechselseitiges Lohndumping inszeniert. Die Verabredung der europäischen Gewerkschaften, sich bei ihrer Einkommenspolitik an Produktivitätsentwicklung und Preissteigerungsraten zu orientieren, ist ein reiner Papierbeschluss geblieben; die Verteilungsspielräume wurden nicht ausgeschöpft, die Lohnquoten sinken weiter, die Realeinkommen stagnieren und von einer durch den privaten Konsum gestützten Entwicklung der Binnenkonjunktur kann keine Rede sein.

Sowohl die Abwertung des Euro als auch die Bescheidenheit bei den Lohnforderungen erlauben den europäischen Unternehmen eine deutliche Verbesserung der internationalen Konkurrenzposition, die durch entsprechende Steuerentlastung und staatliche Förderprogramme noch verstärkt wird. Der Umbau der europäischen Unternehmenslandschaft kommt also gut voran, auch wenn etwa Tony Blair die Privatisierungs- und Deregulierungsschritte nicht weit genug gehen.

Was jedoch stockt, sind die institutionellen Reformen der EU. Bundesaußenminister Fischer plädiert für ein neues Konzept für das vereinte Europa: Die Vielfältigkeit der Staaten müsse in ein funktionierendes Europa integriert werden, ohne dass ein Zentralstaat entstehe. Diesen Vorstellungen widerspricht nicht nur die Mehrheit der politischen Klasse Frankreichs. Auch Blair und Aznar betonen: »Einige von uns mögen ein bisschen schneller, ein bisschen weiter gehen wollen als andere. Aber alle müssen die abgesprochenen Regeln und Verfahren der Union respektieren. Es darf in Europa keine Bürger zweiter Klasse geben.«

Was allerdings weder bei Joseph Fischer und seinen französischen Antipoden, noch bei Blair und Aznar vorkommt: Es gibt diese Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse schon jetzt, und zwar reichlich.