Offshore-Server in der Nordsee

Schwere See im Cybermeer

Vor der britischen Küste entsteht der erste Internet-Offshore-Datenhafen - Informationen, die hier eingelagert werden, sind sicher vor staatlichem Zugriff.

stefan kindler

Es könnte eine Science-Fiction-Story sein: Eine alte Stahl- und Betonplattform im Atlantik, Server mit Satelliten-Link ins Internet, eine Gruppe Cypherpunks und junger Geschäftsmänner und ein exzentrischer Millionär. Doch was wie ein Traum der libertären Internet-Community klingt, soll ab dem 1. Juli Wirklichkeit werden: Ungefähr zehn Kilometer vor der britischen Küste will das Unternehmen HavenCo die ersten Offshore-Server in Betrieb nehmen - weit ab von staatlicher Regulierung. Ziel ist es, eine virtuelle Heimat für diejenigen zu bieten, die einen sicheren Platz für ihre Daten und Internet-Dienste suchen. Sicherheit verstanden als Schutz vor staatlichen Eingriffen.

Darin liegt die politische Brisanz des Projektes: eine möglichst hohe Anonymität und uneingeschränkte Verschlüsselungsmöglichkeiten sollen die inzwischen weitgefassten Copyright- und Patentrechte umgehen. Die extraterritoriale Lage der Server soll Zensur und Datenkontrolle durch Regierungen verhindern. Die Konflikte sind dabei programmiert: So wurden auf dem G 8-Treffen letzten Monat in Paris Regulierungen vorbereitet, die genau diese Möglichkeiten unterbinden sollen. Der französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement forderte etwa explizit internationale Regelungen, »sodass es keine digitalen Häfen oder Internet-Häfen geben kann«, in denen illegale Geschäfte möglich sind.

So provokativ die Idee der Offshore-Server ist, so bizarr ist auch die Geschichte der Hochseeplattform, auf dem die Server installiert wurden. Ursprünglich eine britische Flakstellung, wurde sie von dem britischen Ex-Offizier und Millionär Roy Bates in den sechziger Jahren besetzt. Ein Räumungsversuch durch die britische Marine scheiterte am Widerstand Bates', der sich mit Molotowcocktails und Gewehrschüssen verteidigte. Kurz darauf erklärte ein britisches Gericht, dass die Plattform außerhalb der britischen Zuständigkeit liegt. Bates erklärte daraufhin die Plattform zum Staat »Sealand«, sich selbst zum König und seinen Sohn Michael zum Prinzen. Sie richteten den Piratensender Radio Essex ein.

Eine Art außenpolitische Anerkennung erlangte Sealand 1978. Deutschen und niederländischen Geschäftsleuten gelang es, Sealand gewaltsam zu übernehmen, Bates eroberte die Plattform zurück und nahm die Eindringlinge als »Prisoners of War« gefangen. Deutsche und niederländische Diplomaten mussten daraufhin mit Bates über die Freilassung der Kriegsgefangenen verhandeln. Für Roy Bates ein weiterer Beweis der Souveränität Sealands und für HavenCo die Garantie der Extraterritorialität: »Ich würde es nicht zulassen, dass sie sich Sealand zurückholen. End of story!« Ob Bates damit Recht behält, ist allerdings nicht ganz so sicher. 1987 dehnte Großbritannien seine Hoheitsgewässer von drei auf zwölf Seemeilen aus. Seitdem liegt Sealand wieder im Zuständigkeitsbereich Großbritanniens. Keinesfalls will man Sealand als exzentrisches Hobby eines leicht verrückten Millionärs hinnehmen.

Gegen eine nervöse Regierung, die unter allen Umständen verhindern will, dass ihre Gesetze umgangen werden, ist auch der schießfreudige Bates machtlos. Und Möglichkeiten, gegen Offshore-Server vorzugehen, bieten sich viele. Eine militärische Aktion wäre dabei noch nicht einmal nötig: Denn Satellitenverbindungen sind problemlos zu kappen. Dagegen könnten sich die Macher des Datenhafens nur mit Spiegelservern zur Wehr setzen, auf die schnell umgeschaltet werden könnte, falls eine Station ausfällt. Wenn das Projekt erfolgreich ist, will sich HavenCo tatsächlich auf die Suche nach weiteren Standorten machen, mit Staaten in der Karibik soll es schon Gespräche gegeben haben. Doch so weit ist es noch nicht, und noch plant HavenCo ein Scheitern des Projekts mit ein.

Die HavenCo-Macher sind wie echte amerikanische Internet-Libertäre von einer Idee universeller Freiheit beseelt: Freiheit der Information, Freiheit des Handels und Freiheit der Menschen von Einschränkungen ihrer Rechte. Die Gründer der Firma diskutierten, wie das US-amerikanischen Internetmagazin Wired berichtete, Einzelheiten des Projektes bereits während der Konzeption auf der libertär ausgerichteten »cypherpunks mailing list«. Politische Organisationen, die sich die Server-Gebühren nicht leisten können, dürfen auf das Wohlwollen von HavenCo hoffen. Wer »free speech«, »Menschenrechte« oder »unterdrückte Minderheiten« fördert, kann sich auf der Homepage von HavenCo um freies Hosting auf ihren Servern bewerben. Diese politische Idee betonen HavenCo: Explizit wird auf das Treffen der G 8-Staaten hingewiesen und gegen den US-amerikanischen »Digital Millennium Copyright Act« und die weitreichenden Patentrechte Stellung bezogen.

Das HavenCo-Projekt will vor allem Sicherheit vor jeder Art von staatlichem Eingriff bieten. Der Datenhafen richte sich an »Firmen, die ihre E-Mail-Server an einem Ort haben wollen, an dem sie sicher sein können, dass ihre E-Mails privat bleiben und nicht jedem gegenüber offen gelegt werden müssen, der einen Prozess anstrengt«, sagte Sean Hastings, der Chef von HavenCo, gegenüber Wired, und die Anspielung auf den Prozess gegen Microsoft ist deutlich genug.

Während die britische Regierung das Treiben auf Sealand noch toleriert, haben US-amerikanische Regierungsstellen schon durchblicken lassen, dass sie eine entschlossenere Vorgehensweise gegen Sealand favorisieren. Der US-Regierung geht es dabei vor allem um Maßnahmen gegen Geldwäsche. So plant der US-Kongress, ein Gesetz gegen Geldwäsche zu verabschieden, das Strafen gegen Banken vorsieht, die Kontakt zu Staaten unterhalten, in denen es keine ausreichenden Gesetze gegen Geldwäsche gibt. Und während die Macher von HavenCo schon angekündigt haben, keine Kinderpornographie auf ihren Servern zu dulden und auch keine Firmen, die ihr Geld mit Spamming verdienen - ungewollte digitale Werbewurfsendungen -, halten sie sich beim Thema Geldwäsche bedeckt. »Wir denken, dass der Wunsch nach einem Schutz vor schädigender Gesetzgebung bei rechtmäßigen Firmen sehr groß ist«, sagte Hastings. »Wenn größere Staaten ein Problem mit dem unbeschränkten Fluss von Informationen haben, haben sie ein Problem mit der Informationstechnologie, nicht mit uns.«

Billig ist die Daten-Freiheit allerdings nicht zu haben: Etwa 10 000 Euro für die Bereitstellung der Technik und bis zu 5 000 Euro monatliche Gebühren soll der Service kosten.