Hörspiel »Der Eisler Prospekt«

Bei Eisler stimmte es

Ein neues Hörspiel über den Komponisten präsentiert durchlöcherte Zusammenhänge.

Gleich zu Beginn hört man Stimmen, die eine Melodie summen, polyphon und sehr harmonisch. Dann eine Frauenstimme, die die wohl bekanntesten Satzfragmente rezitiert, wenn von Hanns Eisler und seiner Musik die Rede ist: »Und weil der Mensch ein Mensch ist ... Und weil der Prolet ein Prolet ist ...« Auf dem anderen Stereokanal wird schließlich die gleiche Stimme eingeblendet, die hart und präzise und durch ein kaputtes, verzerrendes Mikro sprechend, Begriffe aus der Welt der Arbeit deklamiert: »Arbeiterkongress, Arbeitsdisziplin, Arbeitsgegenstand, Arbeitsintensität, Arbeitsproduktivität, Arbeitslosigkeit, Arbeiteraristokratie ...«. Schließlich ertönt eine männliche Stimme, drängt sich in den Vordergrund und verkündet, als sei es eine Parole: »Es muss historisch stimmen.« Auch sie fällt in den Trott und rezitiert ad infinitum: »Arbeitsteilung (innerbetriebliche und gesellschaftliche), Arbeitsinstrumente, Arbeitskraft, Arbeitsmaterial ...« Von den anfänglichen, so versöhnlich-kitschigen Stimmen ist nichts mehr zu hören. Statt dessen: elektronische Störgeräusche, fiese Frequenzen, verzerrte Stimmen.

Ganze anderthalb Minuten dauert diese Sequenz. Sie markiert den Anfang des »Eisler Prospekt«, eines Hörspiels der Frankfurter Musiker Oliver Augst und Christoph Korn, die schon vor zwei Jahren ihre erste Auseinandersetzung mit Eisler dokumentierten: in Form von Techno-Mixen seiner Kompositionen - und steckt zugleich das Feld ab, auf dem sich Augst und Korn mit ihrer Collage bewegen.

Eisler bot für die (Neue) Linke eine sehr willkommene ästhetische Perspektive. Er verkörperte, biografisch wie produktionsästhetisch, die Synthese widerstreitender Elemente: einer hochreflektierten Musiktheorie standen Gassenhauer und Hymnen gegenüber, die Verbundenheit mit der musikalischen Avantgarde (Eisler ist neben Alban Berg und Anton Webern der bedeutendste Schüler Arnold Schönbergs) hinderte nicht an der praktischen Solidarität mit der Arbeiterbewegung, und trotz seiner bohemistischen, typisch linksintellektuellen Lebenshaltung bekannte er sich zur DDR samt ihren Gängelungen, die sie auch für ihren Nationalkomponisten bereithielt. Bei allen Brüchen und Verwerfungen, die das mit sich bringt (und die gerade deswegen auf den Gesamtzusammenhang verweisen), schien Eisler das auf den Punkt zu bringen, was man selber so schmerzlich vermisste: ein komplettes Leben, Wahrheit und Tat auf theoretischer, künstlerischer und lebensweltlicher Ebene. Das »Solidaritätslied« (Song) und die »Sieben Arten den Regen zu beschreiben« (Neue Musik) sind keine Widersprüche. Eben: »Es muss historisch stimmen.« Und bei Eisler stimmte es nun mal.

Dass solch ein vermeintlich einheitlicher Vollzug von Theorie und Praxis für nostalgische und kitschige Projektionen taugt, ist bekannt. In den Siebzigern durfte sich dann jeder zu Eisler äußern und ihn der eigenen (Musik-)Praxis anverwandeln: das fröhlich lärmende Linksradikale Blasorchester, Free Jazzer, die weit davon entfernt waren, auch nur einen einzigen Proletarier anzusprechen, und natürlich Ton Steine Scherben, deren »Und weil der Mensch ein Mensch ist»-Adaption jede Demo beschallte.

Der »Eisler Prospekt« ruft diesen Gefühlsschleim ins Gedächtnis. Nach dem furiosen Anfang wird es ganz heimelig, es stellen sich brennendste Fragen: »In den finsteren Zeiten, wird da auch gesungen werden?« »Müssen wir Glück haben? Oder kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke, aus den Gedanken die Tat?« Schauerlich. Aber schnell wird klar, dass es sich hier nicht um Projektionen handelt. Augst und Korn lassen jedes (offensichtliche) Verweissystem beiseite, sie reduzieren die Aussagen auf diese nackten Sätze - keine Narration, kein direkter Zusammenhang, kein Fluss. Auch bleibt offen, von wem die einzelnen Sätze stammen. Sicher, meistens handelt es sich um Eisler-Zitate, aber auch Brecht, Marx, Benjamin, Hegel, Hölderlin, Johannes R. Becher oder Karl Kraus werden gesamplet. Es geht also nicht nur um Eisler, sondern um den theoretischen Zusammenhang, der sich von der Klassik bis zu den sozialistischen Zeitgenossen spannt, wenn man so will: um den Über-Eisler.

Es geht aber in dem Hörspiel vor allem darum, diesen Zusammenhang nicht als solchen kenntlich zu machen. Zwar bleibt er präsent, dafür sorgen schon die Wiederholungen, die harten und verzerrten Stimmen, die immer wieder »Arbeiteraufstand, Arbeitswelt, Arbeiterbevölkerung ...« bellen. Aber daraus konstituiert sich keine Projektionsfläche mehr. Die Fragen, nicht nur die melancholischen, richten sich ins Leere: »Kennen Sie Karl Korsch?« Sie bleiben nicht nur unbeantwortet - sie werden auch zunehmend unbeantwortbar. Wer kennt denn heute noch Karl Korsch, den Lehrer Brechts, den Mitgründer des Instituts für Sozialforschung, den wichtigsten marxistischen Theoretiker der 20er Jahre neben Lukács? Wenn man sich heute mit Eisler auseinander setzen möchte, dann ist es die unterbrochene Kontinuität, der durchlöcherte Zusammenhang, bei dem man ansetzen muss. Freilich nicht, um ihn unversehrt zu rekonstruieren. Es ist eine andere Frage an Eisler, die die Vergeblichkeit deutlich macht, heute den Gesamtzusammenhang zu postulieren: »War da ein Schrei des Entsetzens, als sie zum ersten Mal hörten, dass die Freunde langsam geschlachtet wurden?« Diese Frage meint die Erfahrung von Nationalsozialismus und Holocaust. Im Hörspiel wird sie gleich zweimal hintereinander gestellt. Dann kommt erst mal Nichts.

Der »Eisler Prospekt« wird am 12. Juli vom Hessischen Rundfunk ausgestrahlt. Das Hörspiel auf CD ist bei Oliver Augst erhältlich: Kaiserstr. 40, 60329 Frankfurt, augst@textxtnd.de