»Der Besuch festigt das iranische System«

475 Parlamentarier unterzeichneten eine Erklärung gegen die Visite Khatamis. Jungle World sprach mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten arne fuhrmann

Was hat Sie bewogen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der die Berliner Regierung aufgefordert wird, den Besuch des iranischen Präsidenten Mohammed Khatami abzusagen?

Es gibt viele Staaten, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden. Der Iran gehört aber zu den wenigen Ländern, die geradezu einen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschenrechte durchgeführt haben. Das beginnt mit den vielen Todesurteilen und Massakern an Menschen, die sich politisch missbilligend über die Regierung äußern. Und das endet damit, dass Frauen so gut wie überhaupt keine Rechte haben. Wenn man bedenkt, dass der deutsche Kaufmann Helmut Hofer erst vor drei Monaten aus der Haft entlassen wurde, dann erscheint die Einladung zum jetzigen Zeitpunkt äußerst fragwürdig. Schließlich festigt man dadurch das iranische System.

An der Erklärung des Nationalen Widerstandsrates gab es große Kritik. Von ihrem Parteifreund Gernot Erler bis zur taz war man sich darüber einig, dass diese Gruppe iranischer Oppositioneller von den militanten Volksmudschaheddin dominiert sei. Haben Sie sich vor den Karren einer bagdadfreundlichen Truppe spannen lassen?

Nein, ich lasse mich nicht missbrauchen. Die Kritik an der Teheraner Regierung entspricht meiner tiefsten Überzeugung. Als Realist weiß ich ohnehin, dass diese Unterschrift und mein Eintreten gegen Khatamis Besuch nicht dazu führen hätte können, dass er ausgeladen wird. Dieser Illusion habe ich mich nie hingegeben. Aber unsere Initiative stellte den Besuch in ein neues Licht und sorgte für Sensibilisierung. Die Bundesregierung dürfte dadurch intensiver auf Menschenrechts- und Demokratiefragen im Iran eingegangen sein. Und wenn das gelungen ist, dann ist mir jede Kritik völlig schnurz.

Die Berliner Regierung ist ausgesprochen scharf darauf, die Beziehungen zum Iran zu verbessern. Wie erklären Sie sich dieses Engagement, wo sich doch der jetzige Außenminister Joseph Fischer noch vor fünf Jahren vehement gegen den Besuch des damaligen iranischen Außenministers Welayati aussprach?

Auch wenn die Wahl Khatamis 1997 keine freie war, konnte er sich seither nach außen als gemäßigter Reformpolitiker darstellen. Im Iran selbst aber haben sich die Verhältnisse mit Sicherheit nicht geändert - außer vielleicht durch einige kleine Freiheiten, mit denen man versucht, die jungen Leute einzukaufen.

Das Interesse unserer Regierung ist offensichtlich: Zum einen scheint sie wirklich zu glauben, dass es dem Demokratisierungsprozess hilft, wenn man mit dem Mann redet. Zum anderen, und das will ich gar nicht verdammen, geht es natürlich um wirtschaftliche Interessen. In der derzeitigen Situation, in der um Rohstoffe, um Öl, um Exportmöglichkeiten gekämpft wird, ist das völlig natürlich. Frankreich und Italien haben uns da in der Zwischenzeit die Butter vom Brot genommen. Dabei war der Iran, damals Persien, jahrzehntelang einer der großen Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland. Das Terrain zurückzuerobern, ist natürlich eine politische Absicht.

Vor allem die Grünen haben sich, seit sie an der Regierung beteiligt sind, für die deutsch-iranische Freundschaft stark gemacht. So hat die parteieigene Heinrich-Böll-Stiftung vor zwei Monaten eine Iran-Konferenz organisiert, Außenpolitiker wie der Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt reisten in den Iran ...

Es mag durchaus gute Gründe für diesen Einsatz geben. Ich habe festgestellt, dass einen das Tagesgeschäft der Politik dazu bringt, gelegentlich Dinge zu vergessen, für die wir vor vielen Jahren selbst eingetreten sind. Ich halte Herrn Lippelt für einen ausgesprochen guten Kollegen, der sehr ernst zu nehmen ist. Aber Rätselraten ist nun mal meine Sache nicht, mit manchem komme ich auch nicht so ganz klar.

Der parlamentarische Protest, der sich durch alle Parteien zog, ist Ausdruck eines breit existierenden Unbehagens. Warum bricht dieser Widerspruch gerade jetzt auf?

Das hat sicher mit den Exil-Iranern in der Bundesrepublik zu tun. Da gibt es ja nicht nur den Widerstandsrat. Ich denke etwa an einige Akademiker, die ich aus meinem Wahlkreis sehr gut kenne. Und an die vielen unterschiedlichen Gruppen: Etwa Frauengruppen, die sich aus ihrer eigenen Leidenserfahrung heraus als Exil-Iranerinnen hier darum bemühen, die Leute zu sensibilisieren. Alle diese Menschen haben in den letzten Wochen mobilisiert.

Die Kritik am iranischen Regime gibt es jedoch schon länger. Ebenso wie den Annäherungskurs, den Ihre Regierung mit freundlicher Unterstützung des Bundesaußenministers seit Amtsantritt eingeschlagen hat.

Klar, allerdings immer in der Hoffnung, dass der Iran wirklich ernsthaft eine andere Politik betreibt. Aber was auch immer den Einzelnen bewogen hat, die umstrittene Erklärung zu unterschreiben: Es ist schon ein Erfolg, wenn es uns gelungen ist, den Verantwortlichen in der Regierung die notwendige Sensibilität in den Gesprächen mitzugeben. Ich bin nicht gegen Kommunikation, Auseinandersetzung oder Dialog. Allerdings müssen wir mit offenem Visier und klaren Worten ausdrücken, was uns bewegt.

Es ist auffällig, dass sich die Bundesregierung nicht einmal von der israelischen Kritik beeindrucken lässt. Dabei hat sich Israel angesichts der Schauprozesse gegen zehn Juden, die jüngst als Spione verurteilt wurden, unmissverständlich gegen den Besuch Khatamis ausgesprochen.

Ich bin nicht die Regierung. Und selbst wenn ich die Regierung mittrage, kann ich dazu nur sagen: Vielleicht wäre alles anders geworden, wenn das Parlament über diesen Besuch diskutiert hätte. Das hat der Bundestag nicht getan. Die Regierung darf und kann einladen, wen sie will. Aber manchmal würde ich mir wünschen, nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, sondern vorher die Möglichkeit zu haben, etwas in der Fraktion und im Parlament auszutragen.

Aber auch nach der Pressekonferenz, an der Sie beteiligt waren, wurde die israelische Kritik nicht öffentlich thematisiert. Kam sie denn dort überhaupt zur Sprache?

Nein, sie wurde nicht erwähnt.

Warum nicht?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da ich ja kein Außenpolitiker bin, ist mir vieles nicht sofort gegenwärtig, sodass ich in meiner Argumentation gelegentlich von innen heraus argumentiere. Sicherlich verlasse ich dann manchmal diese ganz sachliche Ebene.