Die Peitsche der Reformer

Um ihre Annäherung an den Mullah-Staat zu legitimieren, verklärt die deutsche Bundesregierung den iranischen Präsidenten Mohamed Khatami zum Demokraten.

Der Zeitpunkt hatte geradezu Symbolwert: Der Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Mohamed Khatami in Deutschland, der am vergangenen Montag begann, fand fast auf den Tag genau ein Jahr nach einem paramilitärischen Einsatz statt, mit dem die iranische Studentenbewegung zerschlagen werden sollte. Mehrere Menschen wurden damals ermordet, Hunderte verhaftet, noch heute sitzen über 200 in den iranischen Gefängnissen.

Studierende, die an diesen Jahrestag erinnern wollten, lieferten sich am Wochenende auf Teherans Straßen Schlachten mit der Polizei und militanten fundamentalistischen Bürgerwehren. Die vermeintlichen Reformer um den Präsidenten reagierten schnell: Sie distanzierten sich von den Demonstranten. Schon vorher hatte Khatami die Studenten aufgefordert, die unsittlichen Proteste zu beenden.

Khatami zieht es vor zu schweigen. Auch über die 165 Hinrichtungen, die allein 1999 nach Angaben von amnesty international im Gottesstaat durchgeführt wurden, verliert der als Reformer gefeierte Mullah ungern ein Wort. Weiß er doch selbst, dass der Iran damit im Verhältnis zum Bevölkerungsumfang eine der höchsten Hinrichtungsraten der Welt besitzt. Mit Verfolgung müssen viele rechnen: Allein wegen ihrer Kontakte nach Israel stehen zahlreiche Juden vor Gericht. Erst vor zwei Wochen wurden zehn jüdische Bürger wegen Spionage zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Dieses Urteil, so ließ Khatami wissen, zeige die Unabhängigkeit der iranischen Justiz; wer es kritisiere, mache sich der »zionistischen Propaganda« verdächtig. Weshalb die grüne Menschenrechtspolitikerin Claudia Roth dennoch glaubt, dass der Präsident »versucht, eine Öffnung des Landes und eine Demokratisierung hinzubekommen«, bleibt wohl ihr Geheimnis. Als Maurice Capithorne, der Sonderbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission, in den Iran kommen wollte, versagte ihm Khatami jedenfalls die Einreisegenehmigung.

Um so reisefreudiger gibt sich der Präsident selbst: Bereits im vergangenen Jahr besuchte er Paris und Rom. Und nun, 33 Jahre, nachdem mit Schah Reza Pahlewi das letzte iranische Staatsoberhaupt deutschen Boden betrat, gab Khatami am vergangenen Montag sein Stelldichein in Berlin. Auf dem Programm stand das Übliche: Treffen mit Bundespräsident Johannes Rau, Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer, dann eine Verabredung in der iranischen Gemeinde. Nicht ganz so üblich jedoch das Ziel: Hatte man sich bisher in Sachen deutsch-iranische Freundschaft noch etwas zurückhaltender gegeben, so geht es der Regierung nun um einen »Neuanfang nach schwieriger Zeit«.

Dem iranischen Präsidenten kam die rot-grüne Liebeserklärung sehr entgegen. Für die Lösung der ökonomischen Misere der religiös-totalitären Diktatur will der wirtschaftsliberal orientierte Politiker die Hilfe deutscher Unternehmen in Anspruch nehmen. Denn noch immer stockt hier das Geschäft. Japaner, Koreaner, Italiener und Franzosen hingegen profitieren längst vom iranischen Markt. Deutsche Politiker sind also stark an der Stabilität des Landes interessiert.

Die Berliner Regierung kann hier auf gute Vorarbeit bauen. Denn das Tte-ˆ-tte der Rot-Grünen ist eine Fortsetzung jenes »Kritischen Dialoges«, mit dem sich Ex-Außenminister Klaus Kinkel (FDP) bereits Anfang der neunziger Jahre für eine Annäherung an den Mullah-Staat stark gemacht hat. Der Unterschied: Um sein Handeln grün-koloriert zu legitimieren, verklärt Nachfolger Fischer den iranischen Präsidenten zum Demokraten.

In der Abgrenzung zum geistlichen Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei, so die Diktion des Außenministeriums, seien Khatamis Reformer auf dem Weg in die Demokratie. Außenamts-Staatsminister Ludger Volmer zieht gar historische Parallelen: »Khatami hat im Iran eine ähnliche Funktion wie Michail Gorbatschow für die Sowjetunion.« Dass der iranische Perestroika-Chef seine Anhänger dazu aufruft, vertrauensvoll mit den konservativen Justiz- und Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, will man in Fischers Ministerium nicht hören. Dabei sind genau diese Behörden für Todesstrafen, Auspeitschungen und antisemitische Schauprozesse verantwortlich. Kein Wort verliert Fischer auch darüber, dass Khatami die totalitäre Staatsideologie des Iran selbst vertritt.

Das Fazit: Ganz im Gegensatz zu Volmers Phantasien will Khatami den Gorbatschow schlicht nicht spielen. Er setzt sich für die Islamische Republik und deren khomeinistische Ziele ein. Die beiden Kontrahenten, die »linken« und die »rechten« Islamisten, können auf einen Konsens in der Erhaltung der religiösen Diktatur des Welayate Fagih bauen. Dass die jüngere Generation wie das Gros der Bevölkerung die Mullahs loswerden will, steht auf einem anderen Blatt.

Fischer verfolgt die Politik des klassischen Liberalismus, der die Unterstützung von Diktaturen in der Dritten Welt stets als Garantie für Kapitalinvestitionen betrachtet hat. Und tatsächlich steht die Islamische Republik mit dem Aufbau der Wirtschaftsbeziehungen zu den Industrienationen vor einem historischen Scheideweg. Entweder kollabiert das Mutterland aller islamistischen Bewegungen infolge der Annäherung an den Westen, weil dessen Werte das islamische System zersetzen. Oder die Diktatur stabilisiert sich.

Khatamis Politik hat seit seiner Amtsübernahme dem Willen der Bevölkerung nicht entsprochen. Man wählte das Schlimme, um noch Schlimmeres zu vermeiden. Für den deutschen Außenminister genügend Grund, ihn zu unterstützen. Fischer geht hier von der Logik eines demokratischen Systems aus, die unter diktatorischen Bedingungen nicht zutreffen. Und so übersieht er auch ganz nebenbei, dass die Hardliner den wirtschaftsliberalen Kurs Khatamis längst befürworten. Schließlich wissen sie, dass Wirtschaftshilfe das islamistische Regime stärkt - und damit Fundamentalisten ebenso wie die islamistischen Reformer.

Auch die »freien Wahlen«, von denen Außenminister Fischer fabulierte, bleiben eine Fiktion. Oppositionelle Parteien, die sich nicht zum islamischen Regime bekennen, sind verboten. Auch Fischer weiß, dass sich Khatami nicht morgen mit iranischen Kommunisten oder Royalisten, mit Sozialisten oder säkularen Nationalisten in einem Parlament zusammensetzen wird.

Immerhin: In der veröffentlichten deutschen Meinung schenkte man wider alle Evidenz der Behauptung von Khatamis Reformkurs gerne Glauben. Worauf Fischer und Khatami zufrieden anstoßen könnten. Könnten, denn entgegen sonstiger Gepflogenheiten wurde beim hohen Besuch aus dem Iran kein Wein ausgeschenkt. Auch mussten die Damen auf schulterfreie Kleider verzichten.

Dafür hatte man sich ein nettes Ersatzprogramm ausgedacht: Mit Bundespräsident Rau enthüllte Khatami in Weimar ein Denkmal für den persischen Nationaldichter Hafis. Der Dichter, der im Jahre 1390 starb und noch heute die andere Kultur des Iran prägt, gilt den Mächtigen als Häretiker: Ein Mann des Weins, der Liebe und des Gesanges, also die Verkörperung persischer Antikultur im iranischen Gottesstaat.

Statt zu beten, pflegen viele Iraner, Hafis um Rat zu fragen. Und so empfiehlt der alte Dichter etwa: »In der Absicht, zu bereuen, sagte ich heut in der Frühe: 'Ich will den Koran befragen!' Doch der Frühling kam, der die Reu' zerschlägt. Welcher Ausweg bleibt mir nun? Soll ich die Wahrheit sagen: Ich kann nicht erlauben, dass meine Feinde sich am Wein berauschen, indes ich vor Durst vergehe!«

Zu Hause wird Khatami erhebliche Probleme haben, die Hommage an Hafis zu vermitteln. Denn in der islamischen Gesetzgebung hat man andere Vorstellungen vom Umgang mit dem Durst. Nach Artikel 174 der iranischen Strafgesetzgebung sind für das Trinken berauschender Getränke für Männer und Frauen achtzig Peitschenhiebe vorgesehen. Wer alkoholische Getränke herstellt, beschafft, kauft, verkauft, transportiert oder anbietet, wird nach Artikel 175 zu Gefängnis von sechs Monaten bis zu zwei Jahren verurteilt. Nach Artikel 179 wird, wer mehrmals trinkt und dafür mit Peitschenhieben bestraft worden ist, beim dritten Mal getötet. Wenig Grund zur Hoffnung: Auf der Grundlage solcher und ähnlicher Gesetze will der Präsident im Iran der Demokratie und Zivilgesellschaft zum endgültigen Durchbruch verhelfen.