Entschädigungen für griechische NS-Opfer

Deutschland wird enteignet

Das Vorgehen gegen das Goethe-Instituts war erst der Anfang: Damit NS-Opfer entschädigt werden, könnten deutsche Institutionen in Griechenland zwangsvollstreckt werden.

Damit hatten die Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Athen nicht gerechnet. Als die Gerichtsvollzieher am Dienstag vergangener Woche erschienen, um mit der Schätzung der Einrichtung zu beginnen, glaubten die Beschäftigten noch an einen schlechten Scherz. Erst als sich die Gerichtsbeauftragten mit Hilfe der Polizei Zutritt verschafften, dämmerte es den deutschen Kulturträgern langsam, dass ihr Institut tatsächlich Gegenstand einer Zwangsvollstreckung werden könnte.

Der Schätzung vorausgegangen war eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Griechenlands. Anfang Mai hatte der Areopag die Entscheidung des Landgerichtes von Livadia bestätigt, wonach Deutschland den Überlebenden des Massakers von Distomos eine Entschädigung in Höhe von 9,5 Milliarden Drachmen (28,2 Millionen Euro) zahlen muss (Jungle World, 24/00). Im Juni 1944 waren in der Kleinstadt rund 130 Kilometer nördlich von Athen 218 Einwohner von SS-Einheiten ermordet worden.

Nach dem Urteil des Areopags hatte der Anwalt Iannis Stamoulis im Namen der 295 Kläger eine Zwangsvollstreckung von deutschen Immobilien in Griechenland angekündigt. Doch niemand glaubte, dass er seine Drohung tatsächlich wahr machen könnte. Neben dem Goethe-Institut, dessen Immobilie und Inventar auf einen Wert von rund 7,6 Millionen Euro geschätzt werden, könnten auch die Liegenschaften der Deutschen Archäologischen Gesellschaft sowie die Deutsche Schule in Athen gepfändet werden.

Die Bundesregierung verfolgte die jüngste Entwicklung mit zunehmender Gereiztheit: Das Außenministerium legte beim griechischen Botschafter in Berlin heftigen Protest ein und der griechische Regierungschef Kostas Simitis erhielt einen unfreundlichen Anruf von Kanzler Gerhard Schröder.

Ursprünglich hatte sich die Bundesregierung geweigert, die Zuständigkeit der griechischen Gerichte anzuerkennen. Doch später entschloss sich das Auswärtige Amt, Revision einzureichen. Damit machte sie aber die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs erst möglich, die nach griechischer Rechtsauslegung europaweit vollstreckbar sein soll.

Deutschland beruft sich nun auf bilaterale Abkommen zum Schutz von Kultureinrichtungen und vor allem auf die Wiedergutmachungs-Zahlungen von 1960. Damals hatte die Bundesregierung als pauschale Entschädigung für die Folgen der NS-Besatzung 115 Millionen Mark an Griechenland überwiesen. Weitere Ansprüche wurden in den folgenden Jahren mit der Begründung abgelehnt, dass erst eine gesamtdeutsche Regierung darüber entscheiden könne. Zudem besteht die Bundesregierung darauf, dass nach dem griechischen Gesetz »jede Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten vom Justizminister legitimiert werden« müsse. Das aber sei bislang nicht der Fall gewesen.

Für die Kläger ist das eine überflüssige Forderung. Schließlich sei diese Bestimmung nach dem Beitritt Griechenlands zur Europäischen Menschenrechtskonvention abgeschafft worden. Auch die Position Berlins, wonach die Staatenimmunität Wiedergutmachungsklagen von Einzelpersonen nicht zulasse, wies Stamoulis zurück: Internationale Verträge über Menschenrechte stünden über dem nationalen Recht. Zugleich warnte er die griechische Regierung davor, in das Verfahren einzugreifen. Er wies auf die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit der Gerichte hin und erinnerte die Regierung an ihre Verpflichtung, jeden Einfluss auf die Justiz zu unterbinden.

Der griechische Justizminister Michalis Stathopoulos erklärte zwar anschließend »die Entscheidung des Areopags für uns gültig und bindend«. Doch zunächst müssten die Gerichte darüber entscheiden, ob Zwangsvollstreckungen gegen Kultureinrichtungen wie das Goethe-Institut oder die deutsche Schule überhaupt möglich seien. So ist auch der Ex-Justizminister Georgios Magakis der Ansicht, dass »eine Zwangsvollstreckung dem moralischen Charakter der Entschädigungsforderungen« widerspreche. Einspruch hiergegen erhebt jedoch der Anwalt der Opfer: »Das Goethe-Institut braucht nicht zu schließen, das Gebäude selbst aber kann beschlagnahmt werden«, sagte Stamoulis.

Die Bundesregierung will auf jeden Fall Einspruch gegen die Versteigerung einlegen, die innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung der Beschlagnahme-Abschrift in Berlin erfolgen muss. Sollte der Einspruch scheitern, könnte allerdings im September mit der Versteigerung begonnen werden.

Ob es tatsächlich dazu kommen wird, ist fraglich. Die griechische Regierung wird alles versuchen, um einen solchen Eklat zu verhindern. Denn spätestens seit dem Urteil des obersten Gerichts befinden sich die deutsch-griechischen Beziehungen in der Krise. Die historisch und juristisch legitimierten Entschädigungs-Forderungen für die NS-Verbrechen belasten nun die an Deutschland orientierte Politik der Pasok-Regierung und bringen Regierungschef Kostas Simitis in eine schwierige Situation. Einerseits will er das Verhältnis zu Berlin nicht belasten; andererseits kann er nicht den Eindruck entstehen lassen, die aus Sicht der griechischen Bevölkerung legitimen Forderungen von Kriegsverbrechen unter den Teppich zu kehren. Gleich zweimal kam es vergangene Woche zu Krisensitzungen des Ministerrates.

Ende Juli besucht der deutsche Außenminister Joseph Fischer Athen. Die Visite wird nun mit Spannung erwartet, denn für die deutsche Regierung steht mittlerweile viel auf dem Spiel: Sie muss das Problem lösen, ohne einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn das Urteil könnte erst der Anfang für eine ganze Reihe von weiteren Forderungen sein. Bis zu 40 000 Kläger, so schätzt die Zeitung Avgi, könnten durch die Entscheidung des Areopags zu »ähnlichen Prozessen ermutigt werden«. Ioannis Stamoulis jedenfalls macht Tempo. Schließlich würden die Hinterbliebenen seit über einem halben Jahrhundert vertröstet. »Uns wird nichts daran hindern, eine angemessene Entschädigung für die Kriegsopfer durchzusetzen«, erklärte er vergangene Woche. Bis zum 27. September will er die deutschen Liegenschaften versteigern.