Die Zukunft der Tour de France

Nationalaufgaben

Wahrscheinlich ist den Franzosen überhaupt nicht klar, wie glücklich sie darüber sein müssen, dass die Deutschen mittlerweile über eine eigene Rad-Rundfahrt verfügen. Denn sonst hätten die bestimmt schon längst mit einer ebenso aufwändigen wie teuren Kampagne begonnen - nämlich für die alljährliche Austragung der Tour de France in einem anderen europäischen Land, nach Möglichkeit jedoch immer in Deutschland.

Frankreich, so hätte man argumentiert, habe ja schon mit dem Klassiker Paris-Roubaix ein erstklassiges Kriterium und könne deswegen ruhig die Tour abgeben. Schließlich habe gerade der diesjährige Tourort Freiburg/Breisgau gezeigt, dass die Begeisterung der deutschen Zuschauer für Radrennen wesentlich größer sei als die der Franzosen. Organisatorisch sei man ja sowieso unschlagbar. Der Berliner Kudamm, der gerade eine Straßenpartnerschaft mit den Pariser Champs Elysées eingegangen ist, sei als internationale Flaniermeile bestens für den Einlauf geeignet.

Und überhaupt, Berge gebe es in Deutschland auch eine ganze Menge, zur Not könne man ja auch Österreich mit einbeziehen. Die nötige Unterstützung anderer Verbände hätte man mit Hilfe der Deutschen Telekom, die großzügige Aufbauhilfe versprochen hätte, sicher schnell erhalten. Hier und da hätte man einen senilen Funktionär bestochen oder bedroht und schon könnte es mit der Tour in Deutschland losgehen. Damit es nicht ganz so dreist aussieht, könnte das Rennen »Tour d'Europe« oder so heißen. Aber natürlich müsste man dann strikt darauf achten, dass auch wirklich ein Deutscher immer vorn fährt.

Denn letztes Jahr, als Jan Ullrich nicht startete, sackten die Einschaltquoten bei ARD und ZDF mangels Zuschauerinteresse derart gründlich in den Keller, dass sich das Unternehmen für die beiden übertragenden Sender kaum noch gelohnt haben dürfte. Dass Ullrich in diesem Jahr mitfahren konnte, aber nur Zweiter hinter Lance Armstrong wurde, war da zwar ganz schön, aber im nächsten Jahr, so viel stand schon kurz nach Tour-Ende fest, muss der Mann wieder gewinnen. Und auf Süßigkeiten verzichten - denn Ullrichs Gewicht, daran ließen vor allem die ARD-Reporter, die keinen zweiten Flop riskieren wollen, keinen Zweifel, wird in diesem Winter genauestens überwacht werden.

Die nächtlichen Tankstellen-Ausflüge des Radprofis, den immer mal wieder der Heißhunger auf Schokolade packt, müssen künftig unterbunden werden. Allein durch Selbstbeherrschung kann das der Mann jedoch nicht schaffen. Deswegen müssen alle mithelfen, im nationalen Interesse. Vielleicht werden die Öffentlich-Rechtlichen Nachtwachen vor Ullrichs Haus aufstellen, die im Ernstfall eine gut organisierte Telefonkette aktivieren können; vielleicht stellt die Telekom in den Tankstellen im Südbadischen demnächst eigene Kameras auf; vielleicht wird die Teamleitung Prämien für aufmerksame Verkäufer ausloben, die dem Star die Schokolade verwehren. Wenn alle mithelfen, dann wird Ullrich den Winter mit Idealgewicht abschließen, bereits bei den kleinen Kriterien im Frühjahr in Tourform sein und bei der Frankreich-Rundfahrt in den Bergen Lance Armstrong und Marco Pantani glatt abhängen und im Gelben Trikot in Paris einfahren und im Jahr danach auch und überhaupt ungefähr bis 2010 immer alles gewinnen.

Wenn ab diesem Zeitpunkt ein geeigneter Nachfolger in Sicht ist, kann Ullrich zu Hause bleiben und Schokolade essen. Oder sich darum kümmern, dass der Flop Deutschland-Rundfahrt abgesetzt wird und als Rad-Kaiser dafür sorgen, dass die Tour endlich in ihrer natürlichen Heimat Deutschland ausgefahren wird.