In der Nachspielzeit

Nach den gescheiterten Verhandlungen in Camp David spielt Israels Premier Barak auf Zeit.

Nach seiner Rückkehr vom ergebnislosen Dreier-Gipfel in Camp David wartete auf den israelischen Premier Ehud Barak eine ihm nur zu gut bekannte Situation: Obwohl er selbst vor einem Jahr mit großer Mehrheit ins Amt gewählt worden war, verfügte er in der gleichzeitig gewählten Knesset, dem israelischen Parlament, nie über eine stabile Mehrheit. Zwar konnte der ehemalige General für seine Strategie des »Land gegen Frieden« zunächst eine breite Koalition zusammenfügen. Doch dieses Bündnis aus Baraks sozialdemokratischer Ein-Israel-Partei, der sephardisch-orthodoxen Shas-Partei, der linksliberalen Meretz sowie mehrerer kleinerer Parteien war bereits von Anfang an brüchig.

Kurz vor seiner Abreise nach Camp David hatte die Regierung unter Barak endgültig ihre Mehrheit verloren, bereits einen Monat zuvor war die Koalition durch den Ausstieg von Meretz kleiner geworden. »Alles ist genau gleich, mit einem Unterschied: Dieses Mal wird es weitaus schwieriger sein«, sagte denn auch ein sozialdemokratischer Minister in der Tageszeitung Ha'aretz über die Situation vor und nach Camp David. Tatsächlich sind die innenpolitischen Optionen für Barak jetzt alles andere als verlockend.

Eine Option wäre es, die alte Koalition in gleicher oder ähnlicher Zusammensetzung wieder zu beleben. Doch dieses Bündnis ist gerade wegen Baraks geplanter Gebietsrückgaben an Syrien und die Palästinenser gescheitert. Bis auf Meretz und Ein Israel waren alle anderen Parteien nicht zu größeren territorialen Zugeständnissen an die Palästinenser bereit. Eine Mitte-Links-Koalition unter Einschluss der vier arabischen Parteien hingegen wäre politisch fast genauso fragil und hätte eine Mehrheit von lediglich zwei Sitzen.

Erschwerend kommt für Barak hinzu, dass seine beiden Hauptziele - Friedensabkommen mit Syrien und den Palästinensern - vorläufig nicht erreichbar scheinen. Der Vorsitzende der palästinensischen Autonomiebehörde, Yassir Arafat, kündigte nach dem Gipfel an, am 13. September dieses Jahres, genau sieben Jahre nach dem Oslo-Abkommen, den Staat Palästina ausrufen zu wollen. Mittlerweile hat Arafat diese Ankündigung zwar relativiert, indem er nach einem Treffen mit Frankreichs Premier Lionel Jospin am letzten Wochenende sagte, man wolle zuerst »die Ratschläge aller unserer Freunde in Betracht ziehen«. Eine Verzögerung der Staatsproklamation würde aber die Begeisterung der Palästinenser nach dem Abbruch der Camp-David-Verhandlungen enorm verringern.

Ein palästinensischer Staat würde formal alle Gebiete Palästinas jenseits der »Grünen Linie«, der Waffenstillstandslinie von 1948, umfassen. Innerhalb dieser Gebiete aber liegen die zahlreichen jüdischen Siedlungen auf der Westbank und im Gaza-Streifen sowie das umstrittene Ost-Jerusalem. Zudem sind weiterhin Einheiten der israelischen Armee in dieser Region stationiert. Zusammenstöße zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern wären nicht auszuschließen.

Eine neue Intifada würde in diesem Fall jedoch vermutlich anders verlaufen als noch am Ende der achtziger Jahre. Damals wurde die israelische Armee vorwiegend von steinewerfenden palästinensischen Jugendlichen angegriffen. Heute würde sie auf mehrere Zehntausend bewaffnete und militärisch ausgebildete Männer treffen.

Dieses Szenario lässt Barak noch eine dritte Option in Erwägung ziehen: Eine Große Koalition mit dem rechts-nationalen Likud-Block. Dessen Chef, der Rechtsaußen Ariel Sharon, hat bereits signalisiert, dass er von einer solchen »Koalition der Nationalen Einheit« nicht viel hält: Barak habe in Camp David zu große Zugeständnisse gemacht.

Gleichzeitig aber ist Sharon Taktiker genug, um zu wissen, dass seine Position auch nicht die beste ist. Denn im Fall von Neuwahlen, Baraks vierter Option, wäre ein Sieg des Likud mit Sharon an der Spitze alles andere als sicher. Und je länger sich Barak im Amt halten kann, desto größer werden die Chancen, dass der weitaus populärere Vorgänger Baraks, Ex-Premier Benjamin Netanyahu, wieder in die Führung der israelischen Konservativen zurückkehrt.

Wahrscheinlicher aber ist, dass Barak einer Koalition mit dem Likud ablehnend gegenübersteht. Sie würde ihn und seine Partei in den Augen der israelischen Öffentlichkeit überflüssig erscheinen lassen. Eine solche Regierung würde er nur für den »Notfall« anstreben - dies hat Barak bereits klargestellt.

Als ob das alles nicht genug wäre, sieht sich der israelische Premier mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert. Während die Rechte am vorvergangenen Samstag mit fast 200 000 Teilnehmern eine der größten Demonstrationen in der Geschichte Israels organisierte, um gegen den »Ausverkauf« israelischer Interessen zu protestieren, kann Barak auf eine ähnliche außerparlamentarische Unterstützung nicht zählen.

Die so genannten Friedenskräfte befinden sich in einer Dauerkrise. Seit längerem kämpfen die dem sozialdemokratischen Mainstream nahe stehenden Organisationen wegen unklaren Regelungen bei der Parteienfinanzierung mit schweren wirtschaftlichen Problemen, die ihre Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt haben.

Vor allem aber hat der radikalere Flügel der Friedensbewegung ideologische Probleme mit der jetzigen Situation. Da mit Barak ein ausgewiesener Vertreter des Friedensprozesses an der Macht ist, haben Organisationen wie Peace Now oder Gush Shalom Hemmungen, sich gegen die Regierungspolitik zu stellen. Als Folge ist ihre Mobilisierungsfähigkeit so stark gesunken, dass die geplante linke Großdemonstration immer wieder verschoben und schließlich ganz abgesagt werden musste.

Barak hat nur eine aussichtsreiche Perspektive. Wenn er, was die meisten Beobachter für wahrscheinlich halten, die in dieser Woche angesetzten Misstrauensvoten in der Knesset überstehen sollte, geht das israelische Parlament in eine dreimonatige Sommerpause. Während dieser Zeit wäre Baraks Minderheitsregierung vor weiteren Angriffen sicher. Sowohl für Baraks Regierung als auch für die Verhandlungen mit den Palästinensern wäre weitere Zeit gewonnen.

Barak wird nun hoffen, bis zur erwarteten Ausrufung eines unabhängigen Palästinenserstaates am 13. September doch noch sein »Golden Goal« zu erzielen: ein umfassendes Friedensabkommen mit Yassir Arafat. Der Chef der palästinensischen Delegation ist durch die Ereignisse in Camp David bei den Palästinensern gestärkt und könnte sich bei künftigen Verhandlungen vielleicht größere Zugeständnisse in der Jerusalem-Frage erlauben.

Baraks Perspektiven würden sich in diesem Fall schlagartig verbessern. Sowohl Neuwahlen als auch einem Volksentscheid über das erreichte Abkommen könnte er gelassen entgegen sehen. Dadurch wiederum würde sich auch seine Position in Verhandlungen über die Bildung einer neuen Mehrheitsregierung enorm verbessern.

Allerdings: Das im Fußball bekannte »Golden Goal« ist auch als »Sudden Death« bekannt. Dieser würde Barak vermutlich im Fall des endgültigen Scheiterns der Verhandlungen ereilen. Selbst einige sozial- und wirtschaftspolitische Erfolge könnten ihn dann kaum noch vor einer Wahlniederlage retten.