Queen Mum wird 100

Die letzte Exzentrikerin

Als Nazideutschland London bombardierte, hielt sie die Stellung. Heute trägt sie bunte Kleider und züchtet Pferde - die Queen Mum wird 100.

Man kann sie mögen. Man kann kein Verhältnis zu ihr haben. Aber man kann sie nicht nicht mögen. Jedenfalls, wenn man sie nur von Bildern und aus dem Fernsehen kennt. Queen Mum ist eine Integrationsfigur. Selbst die sich gerade in Separatismus übenden Schotten verehren sie, aus Wales ist nichts bekannt, und sogar Iren, die die Bombardierung Londons für eine deutsche Großtat halten, hassen sie nicht leidenschaftlich. Jede und jeder findet sie irgendwie süß und ihre ausnahmslos bonbonfarbenen Kleider geben den Rest. Queen Mum ist so was Ähnliches wie das niedliche Internatskind. Und niemand weiß, wer oder was sie sonst sein könnte.

Diesen Ruf der guten Omi hat sie sich hart erarbeitet. Wenn ihr nun zu ihrem 100. Geburtstag am 4. August alle Verbände und die Vertreter nahezu aller politischen Richtungen huldigen - und sogar verirrte Punks sollen bei der mehrere Tausend Köpfe zählenden Queen-Mum-Loveparade quer durch London mitgezogen sein -, ist das kein Scheiß, sondern wirkliche Zuneigung. Leidenschaftliche Schotten haben Tassen mit ihrem Konterfei im Schrank. Und selbst die IRA, die der Parade mit einer Bombe drohte, will ihr nur bedingt Übles - sie erweist ihr halt auf ihre Art die Ehre.

Diese Liebe erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass sie noch nie ein Interview gegeben hat. Da Journalisten ihr ein Gräuel sind, weiß niemand, der nicht zu ihrer unmittelbaren Umgebung gehört, aus erster Hand etwas über ihre Vorlieben. Über ihr Leiden am Ruhm etwa, ihre Sucht nach bestimmten Lebensmitteln, die Jahre ihrer Einsamkeit, was sie von Robben hält, wie sie ihren Tee zubereitet oder warum sie sich und ihre Töchter zu absurden Hutmoden verführt hat. Sie ist reine Fassade.

Und selbst wenn jemand mal etwas herausgefunden hatte, so half es doch nichts. Jürgen Kuczynski erzählte einmal, die deutsche KP im Londoner Exil habe durch Zufall und Indiskretion erfahren, wer der Liebhaber der damals noch regierenden Königin gewesen sei. Doch entgegen seinem Zuraten wollte die KPD ihr Wissen nicht preisgeben, denn man wollte nichts gegen die Königin des Gastgeberlandes unternehmen - selbst der internationale Arbeiterkampf ist also wie Regen an ihr abgeperlt.

Von 1936 bis 1952 regierte sie das Vereinigte Königreich, als Gemahlin von George VI. - Elizabeth Angela Marguerite, geborene Bowes-Lyon, durch ihre Heirat im Jahr 1923 dem Hause Windsor zugehörig. Nur einmal hat sie etwas wirklich Großes vollbracht: Sie ist nicht ins Exil gegangen. Während der Bombardierung Londons hielt sie es im Buckingham Palace aus, und selbst als dort ein Nebengebäude von einer Bombe getroffen wurde, verließ sie das Land nicht in Richtung Kanada wie der Rest ihrer Familie. Sie empfand den Treffer im Gegenteil beinahe als Befreiungsschlag, denn - so wird überliefert - nun habe sie den Leuten aus den bombardierten Stadtteilen Londons wieder ohne Scham in die Augen sehen können.

So war sie für die britische Innenpolitik, was ihr Premier Winston Churchill für die Außen- und Kriegspolitik war: ein Symbol des Widerstandes. Die älteren Briten haben diese Geste nicht vergessen und wussten auch den Ehrengruß aus der Luft richtig zu deuten, der anlässlich der offiziellen Geburtstagsfeiern vor einigen Tagen überbracht wurde: Anstelle von modernstem Kampfgerät, das heute im Kosovo und anderswo für die britischen Interessen verballert wird, überflogen Spitfires die Zeremonie für die noch immer als Ehrenoberst der britischen Streitkräfte firmierende Urgroßmutter. Genau jene Flugzeuge also, denen es zu verdanken ist, dass aus der nazideutschen Lufthegemonie über Europa nichts wurde. Bekannt ist auch, dass sie die Deutschen nicht mag, und bis heute versichert, dass man diesen »Hunnen« nicht trauen dürfe.

Ansonsten war es um ihre Sicherheit in politischen Geschmacksfragen allerdings schlecht bestellt. Wie aus den Tagebüchern eines ihrer verstorbenen Tischgäste hervorgeht, hatte die Königinmutter in den Achtzigern nicht nur eine Vorliebe für den Regierungsstil von Margaret Thatcher, sondern auch eine Abneigung gegen schwarze Regierungschefs, in denen sie lediglich Idioten erblickte. Juden empfand sie als merkwürdige Zeitgenossen. Die Apartheidpolitiker aus Südafrika fand sie dagegen kaum kritikwürdig. Es steht zu fürchten, dass sich daran in ihren lustigen Neunzigern nichts geändert hat. Doch nicht nur ihre diffuse Liebe zum Empire und seiner Politik, zu Demonstrationen von archaischer Stärke und zu scheußlichen Farbkombinationen teilt sie mit den Spice Girls, nein, auch sonst ist sie äußerst campy. Ihre Liebe zu Alkohol, besonders zu Gin, ist protokolliert, ihr Hang zu obskuren Vorführungen bekannt - immer wieder, berichtete der Spiegel, fand sie Gefallen an den wilden Kleidern, die Jerry Hall ihr zu Ehren trug - und, wie gesagt, in puncto Hutmode ist sie nicht zu unterbieten. Sie ist keine Lady Di, sie ist weder menschlich, noch hat sie sich in den letzten fünfzig Jahren öffentlich für irgendwas engagiert. Die Aura einer Heiligen fehlt ihr völlig.

Da niemand etwas über etwaige geheime Leidenschaften und Laster weiß, die meisten im Gegenteil eher zu wissen glauben, dass sie gar keine hat, bleibt sie auch weiterhin nichts als Oberfläche. Seit Barbara Cartland verstorben ist, ist sie das letzte lebende Mitglied des britischen Hofes, das nichts mehr und nichts weniger als einen Spleen zu haben scheint. Da es aber heute kein Gespür und keine Formen mehr für den Umgang mit Exzentrikern gibt und Queen Mum andererseits nun einmal deutlich mehr Würde besitzt als Helmut Berger, Wolfgang Joop oder Nina Hagen, muss sie von den zur Zeit führenden Zeitungsdusseln wohl als Pop-Phänomen betrachtet werden. Daher beugen sich in allen möglichen Redaktionen der Yellow-Press-Welt die für die Restebearbeitung abgestellten Redakteurinnen und Redakteure über die niedliche Oma und hätscheln sie wie ein Tamagotchi. Andererseits erstarren sie dann wieder vor dem Prunk und dem Pomp, den diese resolute, bei ihrer Hausbank immens verschuldete Frau so liebt. Sie ist für diese Menschen ein ähnlich typisch britisches Rätsel wie der Rolls Royce, den John Lennon einst von Pop-Art-Malern bemalen ließ: irre, bunt und, ähm ... ehrwürdig.

Was aber auch immer sie der Öffentlichkeit gilt, Queen Mum scheint es nicht zu interessieren. Sie hat es geschafft, sich ihre Vorstellung von Privatsphäre zu erhalten. Sie schläft weiterhin lange, geht weiterhin ihren Tischgesellschaften nach, trinkt freudig, schreibt routiniert Beileidskarten an die Erben ihrer Freundinnen und Freunde und widmet sich der Pferdezucht. So hat sie, berichtet die Berliner Zeitung, jüngst ihren Rittmeistern den Auftrag erteilt, zum großen Rennen von Cheltenham, das in sechs Jahren stattfinden wird, ein paar siegesfreudige Pferde zu züchten. Sie scheint also noch einiges vorzuhaben. Und vielleicht ist sie daher nicht nur die letzte Königin, die das Empire noch erlebt hat, sondern auch die, die mit nüchterner Verachtung das Ende der konstitutionellen Monarchie in Großbritannien erleben wird. Wie immer, sie selbst würde das öffentlich nicht kommentieren.