Reaktionen auf den Düsseldorfer Anschlag

Grenzen der Bewältigung

Wie bitte? Bundesinnenminister Otto Schily vermutet, dass die Tat rassistisch motiviert gewesen sei? Der Düsseldorfer Staatsanwalt Johannes Mocken ermittelt vorrangig mit Blick auf einen rechtsradikalen und antisemitischen Hintergrund? Obwohl deutsche Strafverfolger gemeinhin jede noch so kleine Chance nutzen, um das Naheliegende in Abrede zu stellen: Dass so gut wie immer Neonazis verantwortlich sind, wenn in Deutschland jüdische Friedhöfe zerstört, Flüchtlingsheime angezündet oder Schwarze und Obdachlose totgeschlagen werden.

Selbst wenn Zweifel praktisch auszuschließen waren, galt bis zum hundertprozentigen Beweis des Gegenteils die gängige Floskel: Die Ermittler haben keine Anhaltspunkte für eine rechtsradikal motivierte Tat. So beim Lübecker Brandanschlag, bei der Zerstörung des Grabmals von Heinz Galinski und zuletzt beim Angriff auf eine Ludwigshafener Flüchtlingsunterkunft.

Wenn nun nach dem Bombenanschlag von Düsseldorf ganz selbstverständlich über den Rechtsterrorismus debattiert wird, wenn in Wickerts Tagesthemen die Autonomen vom antifaschistischen Grenzcamp in Forst hofiert werden, muss das seinen besonderen Grund haben. Zumal die Explosion auf dem S-Bahnhof Wehrhahn zunächst mehr Ungereimtheiten aufwies als zahlreiche andere mutmaßlich rechtsradikale Aktionen.

Unabhängig von der Frage, ob hier tatsächlich wieder Neonazis am Werk waren, spricht der Diskurs um die Düsseldorfer Splitterbombe für sich. Aber sollten es, nach 120 Morden und unzähligen anderen Angriffen seit dem Fall der Mauer, die Vorfälle der letzten Zeit sein, die nun für besondere Aufmerksamkeit sorgen? Hatten etwa die drei in den letzten Wochen in Mecklenburg-Vorpommern ermordeten Obdachlosen die deutschen Gemüter bewegt? Oder der Tod des Mosambikaners Alberto Adriano, dem Rechtsradikale an Pfingsten den Schädel eingeschlagen haben? Das Anti-Green-Card-Geschwätz der Union sowie die zugehörige rassistische Würze des Sozialdemokraten Schily dürfte die Täter lediglich ermutigt haben, auch wenn der brandschatzende Pöbel derzeit zur Durchsetzung asylrechtlicher Verschärfungen gar nicht mehr gebraucht wird.

Für etwas mehr Sensibilität gegenüber Rassismus hat niemand gesorgt. Allenfalls hat der Versuch der abgehalfterten Grünen, sich in Sachen Antifaschismus wichtig zu machen, dazu beigetragen, dass der Ludwigshafener Brandanschlag zur Kenntnis genommen wurde.

Wenn also Leute wie Schily nun die Angst umtreibt, nach Düsseldorf könne ein Bild entstehen, »als ob das an jeder Straßenecke passieren könnte«, so hat das einen anderen Grund. Nichts kommt der Berliner Regierung derzeit ungelegener als unkontrollierbarer antisemitischer und rassistischer Terror, wie ihn das Attentat vom vergangenen Donnerstag versinnbildlicht. Schließlich hatte man doch gerade mit Mühe und Not die Diskussion um das Holocaust-Denkmal sowie die Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter beendet. Deutschlands Weg für kontrolliertes Gedenken schien freigeräumt, die internationale Debatte um kollektive Verantwortung war vorerst beendet. Ausgerechnet bombende Neonazis könnten nun die Grenzen dieser Vergangenheitsbewältigung aufzeigen. Denn dass sich terroristische Rechtsradikale nicht ganz zu Unrecht als Vollstrecker eines gesunden deutschen Volkswillens fühlen dürfen, weiß man in New York oder London nur zu gut.