Weltbühnen-Autorin Annette Kolb

Der Pudel der Heldin

Sie muss eine interessante Frau gewesen sein, diese Annette Kolb, die sich - nie verheiratet - zeitlebens mit »Fräulein« ansprechen ließ, den Hut auch zu Hause nur in seltenen Fällen abnahm und jede Parteizugehörigkeit stets ablehnte. Sie arbeitete als Übersetzerin, schrieb Biografien über Mozart, Schubert, Wagner und außerdem drei Romane, in denen sie sich, wie in ihren zahlreichen Aufsätzen und Artikeln für die Weltbühne oder die Frankfurter Zeitung, zu tages- und gesellschaftspolitischen Fragen äußerte.

Schon früh plädierte Kolb für die Gleichberechtigung der Frauen im privaten wie im öffentlichen Leben und für die Versöhnung der Völker durch vernunftbestimmten Umgang miteinander: »Mein Leben wird letzten Endes vor allem die Geschichte eines Gedankens gewesen sein, der einer deutsch-französischen Verbrüderung! Deren Zusammenbruch ich erfahren musste, auf deren Verwirklichung aber für mich das Heil Europas, also auch der Welt beruht.« Eine exzentrisch auftretende Pazifistin, die sich gegen Nationalismus und Patriarchat engagierte. Prompt zeichnete sie Thomas Mann - in diesem Fall ist nomen wirklich omen - in seinem Roman »Doktor Faustus« (1947) herablassend als dämliches, alterndes Mädchen »mit elegantem Schafsgesicht«. Annette Kolb starb, geehrt mit literarischen und staatlichen Preisen aus Frankreich wie Deutschland, 1967 in München. Inzwischen ist sie Vergessenheit geraten.

Dies zu ändern, hat sich Charlotte Marlo Werner mit »Annette Kolb - Biografie einer literarischen Stimme Europas« vorgenommen. Leider lässt die Verfasserin die der Wahrheitsfindung durchaus nützliche Distanz zum Objekt ihrer Recherche schnell anbiedernd fallen. Statt dessen geht sie gerne kritiklos verständnisvoll auf du und du und zu intimer Vornamen-Kumpelei mit der historischen Figur über. So lautet eine Kapitelüberschrift zum Beispiel zutraulich: »Annette und die Rolle der Frauen«. Die Darstellung bewegt sich, stilistisch und inhaltlich dazu passend, meist auf dem Niveau einer Fernseh-Illustrierten: »In der Kunst schätzte Annette Kolb vor allem das Ästhetische.« Kolb kannte Gott und die Welt, Werner macht daraus trockenes Name-Dropping und berichtet, mit wem sich der Pudel ihrer Heldin gut verstand.

Die von Thomas Mann bespöttelte »mondäne Hässlichkeit« der Kolb sei der Grund, weshalb diese Frau »ihre Selbstverwirklichung in den Vordergrund stellte, anstatt ihre Identität den Forderungen eines Mannes zu opfern«, glaubt die Biografin. Anders gesagt: Hässlich wird klug, Hübsch eher doof. Neben solcherlei Vulgärpsychologie verliert sich Werner ausgiebig in belanglosen Details und oberflächlichen Erläuterungen zu zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten und Vorgängen. Das Leben der Annette Kolb deckt sie dadurch allerdings mehr zu als auf.

Charlotte Marlo Werner: Annette Kolb. Eine literarische Stimme Europas. Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2000, 281 S., DM 38