Bogdan Musial

Reemtsmas Mittelweg

Der Antitotalitarismus hat einen neuen Namen: Bogdan Musial. Während bei Ernst Nolte noch die Geschichtsmetaphysik vom Weltbürgerkrieg herhalten musste, um die apologetischen Befunde zu strukturieren, will der polnische Historiker jetzt die Fakten sprechen lassen.

Schon 1997 hatte Musial der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung vorgehalten, dass auf einigen der Exponate nicht Opfer der Wehrmacht, sondern des sowjetischen NKWD zu sehen seien. Erst zwei Jahre später wurde die Öffentlichkeit auf die Sache aufmerksam, als Spiegel und FAZ Musials Recherchen von jedem Revisionismus-Verdacht freisprachen.

Die Konsequenzen sind bekannt: Nicht die Fotos wurden abgehängt, sondern die ganze Ausstellung wurde geschlossen. Eine Historikerkommission wurde eingesetzt, die nun zwar Hannes Heer, den Leiter der Ausstellung, von jedem Verschulden entlastet, aber dennoch eine neue Konzeption für notwendig hält, weshalb Heer sein Büro im Hamburger Mittelweg bis Ende des Jahres räumen muss.

Der scheinbar spontane Einspruch Bogdan Musials war ein gut getimter Auftakt, um die Theorie Noltes in einen historischen Tatsachenbefund zu überführen. Unter dem Titel »Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen« veröffentlichte Musial, der als Solidarnos«c«-Aktivist 1985 Polen verließ, jetzt »ein wichtiges, ein problematisches Buch« (FAZ), in dem er nachweisen will, »dass die sowjetischen Verbrechen im Sommer 1941 die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges nach sich zogen« (Musial).

Diese These wurde im Zusammenhang der Diskussion um die Wehrmachtsausstellung schon häufig formuliert, von Nazis, Revisionisten und rechten deutschen Historikern; zuletzt wurde sie in der ARD-Serie »Hitlers Krieg im Osten« wiederholt. »Stalin rief zur Partisanenbewegung auf, und damit wurde die Spirale der Gewalt ein entscheidendes Stück weiter gedreht«, hieß es in der Ankündigung der ARD. Musial geht es nicht nur darum, die Deutschen irgendwie ein bisschen freizusprechen, sondern auch um die Rehabilitation des ukrainischen und polnischen Nationalismus. Beides geht nur zusammen, wenn man den Antisemitismus dieser Nationalismen leugnet oder verharmlost: »Die antijüdischen Emotionen resultierten aus dem Verhalten, das nicht wenige Juden an den Tag legten.« (Musial)

Musial bezichtigt die Juden der Kollaboration mit der Sowjetmacht und will so die Massenmorde und Pogrome in der kurzen Zeit zwischen dem Abzug der Roten Armee und dem Einmarsch der Deutschen »erklären«. Dieser Erklärungsversuch folgt allerdings nur dem Zweck, die Rolle der ukrainischen und polnischen Nationalisten zu verharmlosen, die damit als die eigentlichen Opfer erscheinen.

Die Wehrmacht des einen oder anderen Verbrechens zu entlasten, mochte ja noch angehen. Die Rehabilitation der nationalistischen polnischen und ukrainischen Kreise, die, wenn sie schon nicht mit den Nazis kooperierten, so doch jederzeit bereit waren, Juden auszuliefern oder selbst zu ermorden - das geht selbst dem Spiegel zu weit. Der Rückzieher des Magazins erfolgt allerdings zu spät, längst ist die These von der gegenseitigen Eskalation des Vernichtungskrieges Allgemeingut geworden. Aber Freude darüber, dass die deutsche Geschichtsschreibung die Geister, die sie rief, nicht mehr los wird, mag nicht aufkommen. Diese neue Historikerdebatte ist nicht das Gegenteil, sondern die Essenz des aktuellen Staats-Antifaschismus.