Islamisten-Offensive in Zentralasien

Chaos schaffen mit Allahs Waffen

Tschetschenien war nur der Anfang: In Kirgisien und Usbekistan haben Islamisten eine militärische Offensive begonnen.

Obwohl die Bedrohung durch den militanten Islamismus seit Monaten das Hauptthema bei Treffen zwischen Vertretern der zentralasiatischen Staaten, Russlands und Chinas ist, kamen die Angriffe offenbar überraschend: Am 7. August überfielen Islamisten einen usbekischen Militärposten an der Grenze zu Tadschikistan und töteten zehn Soldaten. Wenige Tage später erfolgten ähnliche Angriffe in Kirgisien. Seither wird in beiden Regionen gekämpft. Die Regierungen Usbekistans und Kirgisiens behaupten, ihre Truppen hätten die Islamisten eingekreist, doch am 22. August kam es sogar zu einem Angriff in Burchmulla, nur 100 Kilometer von der usbekischen Hauptstadt Taschkent entfernt.

Als im August 1999 militante Islamisten in Kirgisien einige Dörfer besetzten und mehr als 120 Geiseln nahmen, hatte die Regierung die Lage erst nach elf Wochen unter Kontrolle. Dem militärischen Sieg hatte man durch die Zahlung hoher Lösegelder für die Geiseln - allein drei Millionen Dollar für vier japanische Geologen - nachgeholfen. Bereits jetzt sind die offiziell eingestandenen Verluste, 26 kirgisische und 15 usbekische Soldaten, höher als bei den Kämpfen des vergangenen Jahres. Und das, obwohl in den Kampfgebieten nur etwa 200 Islamisten vermutet werden - weitere 800 sollen sich allerdings in Tadschikistan bereit halten.

Die Angriffe werden der von Juma Namangani geführten Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) zugeschrieben, die als stärkste islamistische Oppositionsgruppe Usbekistans gilt und über mindestens 2 500, nach anderen Schätzungen sogar bis zu 7 000 Kämpfer verfügt. Die Regierungen Usbekistans und Kirgisiens reagierten mit massiven Repressionskampagnen. Polizei und Militär haben in Kirgisien in den vergangenen drei Wochen 30 000 Häuser durchsucht, Human Rights Watch berichtet von Massenverhaftungen in Usbekistan.

Die staatliche Linie gegenüber dem Islamismus hat der usbekische Präsident Islam Karimov recht deutlich auf den Punkt gebracht, als er im Mai 1999 im Parlament zeterte: »Solchen Leuten muss man in den Kopf schießen. Wenn euch die Entschlossenheit fehlt, werde ich sie selbst erschießen.« Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen, die seit November 1997 verstärkt gegen die islamistische Bewegung eingesetzt wurden, trafen auch das soziale und familiäre Umfeld der Aktivisten sowie zahlreiche Unbeteiligte. »Diese Leute hegen einen tiefen Groll gegen das Regime Karimovs«, so Ramazan Dyryldayev, Vorsitzender des kirgisischen Menschenrechtskomitees, »dieser Teil der Bevölkerung ist bereit, die Kämpfer zu unterstützen, und es handelt sich nicht um einen unbedeutenden Sektor der Gesellschaft.«

Die IBU ist jedoch nur in Teilen Usbekistans verwurzelt, vor allem im Ferghana-Tal, auf das sich die Kämpfe konzentrieren. Obwohl die Bewegung Verbindungen zu den afghanischen Taliban hat, ist der Islamismus in Usbekistan und anderen Staaten Zentralasiens ein hausgemachtes Problem. Bereits Anfang der achtziger Jahre hatte die sowjetische Regierung die Existenz islamistischer Gruppen eingestehen müssen. Der verstärkte Bezug auf nationale Traditionen hatte auch zu einer Politisierung der Religion geführt. Dieser Trend verstärkte sich, als die zentralasiatischen Regierungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine nationalreligiöse Staatsideologie durchsetzten.

Mit Ausnahme Tadschikistans herrscht in allen zentralasiatischen Staaten ein autoritäres Präsidialregime, das der ehemaligen Bürokratie bis heute eine kaum angefochtene Herrschaft sichert. Oppositionelle Parteien sind verboten oder werden durch Repression und Wahlfälschung marginalisiert. In Tadschikistan kam es zwischen 1992 und 1997 zu einem Bürgerkrieg, der erst mit der Integration der Oppositionsparteien in die Regierung beendet werden konnte. Im Bündnis der tadschikischen Opposition spielte die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) eine führende Rolle.

Ansonsten blieben islamistische Gruppen zunächst relativ schwach. Den Regierungen war es gelungen, die prosowjetische islamische Geistlichkeit und die traditionellen islamischen Bruderschaften, die sich im Untergrund gehalten hatten, in ihr System des Staats-Islam zu integrieren. Es gelang jedoch nicht, die Vielzahl der neu gegründeten Moscheen und islamischen Bildungseinrichtungen zu kontrollieren. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre entstanden neo-fundamentalistische Gruppen wie die IBU, die ihre Anhänger in der verarmten Landbevölkerung und unter arbeitslosen städtischen Jugendlichen rekrutieren.

Während der modernisierungsorientierte städtische Islamismus von den Mittelschichten getragen wird, die vom Patronagesystem des Regimes ausgeschlossen sind, ist der Neo-Fundamentalismus ein Ergebnis gesellschaftlicher Desintegration und Perspektivlosigkeit. Den neo-fundamentalistischen Gruppen fehlt die sozialpopulistische Botschaft des städtischen Islamismus. Sie agieren rein militärisch und finanzieren sich durch kriminelle Geschäfte, vor allem durch Entführungen, Schmuggel und den lukrativen Opium- und Heroinhandel.

Afghanistan ist weltweit der Hauptproduzent von Opium, unter der Herrschaft der Taliban wurde die Produktion noch einmal gesteigert. Die so genannte islamistische Internationale ist nicht zuletzt auch ein geschäftlicher Zusammenschluss. Allerdings sind am Drogenhandel auch regimetreue Kräfte beteiligt. In Tadschikistan, wo das Bruttosozialprodukt seit 1991 um 60 Prozent gefallen ist und nach UN-Angaben in diesem Jahr zwei bis drei Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht sind, finanziert sich die Regierung teilweise durch kriminelle Geschäfte. »Drogenbarone sitzen im Präsidentenpalast, in Rathäusern und Ministerien«, so Dodojon Atavullo, der Herausgeber einer tadschikischen Zeitung.

Die Einigung mit der Opposition führte zu eine Aufteilung der Pfründe, seitdem rangelt man um Geschäftsanteile. Bei den Wahlen im November 1999 errang Präsident Emomali Rachmonov durch massive Fälschungen fast 97 Prozent der Stimmen. Seither versucht er, die Opposition aus ihren Positionen zu verdrängen. Bei diesem riskanten Unterfangen - die Oppositionsparteien haben nach Kriegsende ihre Waffen nicht abgegeben - zählt er auf russische Unterstützung. Russland hat eine motorisierte Division in Tadschikistan stationiert, im Juni wurde dieser zur Überwachung des Friedensabkommens entsandten Truppe die Genehmigung erteilt, »antiterroristische« Operationen durchzuführen.

Die Regierungen Usbekistans und Kirgisiens wollen gegen die Rückzugsgebiete der IBU in Tadschikistan vorgehen. Dabei soll die mit einer russischen Militärintervention verbundene politische Einflussnahme vermieden werden, man hat aber auch wenig Vertrauen auf Rachmonovs Hilfe. »Wir haben den Tadschiken vorgeschlagen, den kirgisischen und usbekischen Streitkräften die Chance zu geben, diese Gruppen zu vernichten, wenn sie sich nicht selber um das Problem kümmern können«, erklärte Bolot Janukazov, der Sekretär des kirigischen Sicherheitsrates.

Die tadschikische Regierung, die zunächt von der Präsenz der IBU im Grenzgebiet nichts wissen wollte, hat sich mittlerweile zur Bildung eines gemeinsamen Oberkommandos für die Islamismusbekämpfung bereit erklärt. Praktische Folgen hatte das bislang nicht, und so kann nicht ausgeschlossen werden, dass usbekische oder kirgisische Truppen auch ohne Rachmonovs Genehmigung in Tadschikistan intervenieren. Auf islamistischer Seite hat sich mit der am 19. August gegründeten Islamischen Bewegung Tadschikistans eine neue Frontorganisation gebildet. Dies und die Distanzierung der PIW von der IBU, die im Bürgerkrieg die Opposition unterstützt hatte, deutet auf eine offene Spaltung bei den Islamisten hin.

Möglicherweise zielt die Offensive der IBU weniger auf die Destabilisierung Usbekistans und Kirgisiens als auf die Provokation einer militärischen Eskalation. Ein neuer Bürgerkrieg in Tadschikistan und eine russische Intervention würden zu jenem Chaos führen, das die neo-fundamentalistischen Gruppen brauchen, um nach dem Vorbild der tschetschenischen Warlords eigene Herrschaftsgebiete zu errichten.