Skandale des australischen Vorbereitungskomitees

Nicht lange gefackelt

Sydney 2000, Teil III: Australiens Olympia-Komitee hat sich bei den Vorausscheidungen zu den Disziplinen Nationalismus und Rassismus schon qualifiziert. von daniel ganama, adelaide

Noch 21 Tage, 13 Stunden, 34 Minuten und ein paar Sekunden, mahnt der »Olympische Countdown«, jene Riesenuhr an der Ecke King William Street und Waymouth Road im Herzen Adelaides. Ausnahmsweise ist Südaustralien die Norm. Nichts und niemand kann dem Overkill in Sachen Olympia entrinnen.

Seit Monaten beherrschen die nahenden Spiele Medien und Werbung, die fünf Ringe sind zur Alltags-Ikone geworden wie der Coca-Cola-Schriftzug oder das McDonald's-Logo. Selbst der dröge Fackellauf hat seine eigene tägliche Fernsehsendung, in der semi-prominente Schmerbäuche ihre fünf Minuten der Unsterblichkeit abgreifen dürfen - für 380 Dollar, inklusive der gerade eingeführten Mehrwertsteuer.

Rückblende. Unbeschreiblich war 1992 der Jubel, als Sydney über die Mitbewerber um die Olympiade 2000, Peking und Berlin, triumphierte, unbezahlbar Diepgens Gesicht nach der Pleite. Für Australien, traditionell von einem Ende-der-Welt-Komplex geplagt, ergab sich die Chance, sich als aufstrebendes und multikulturelles Musterland zu präsentieren. Wichtiger aber noch als der Außeneffekt, sollte die Wirkung nach Innen sein. Die Olympiade bot die ideale Gelegenheit, nationale Identität in diesem geografisch wie sozial so schwierigen Land zu beschwören. Während die Spiele 1956 in Melbourne noch unter britischer Aufsicht und im Schatten der White Australia-Politik standen, der systematischen Ausgrenzung nicht-weißer Immigranten, sollte diesmal alles besser, alles zeitgemäßer werden.

Die Voraussetzungen für dieses Ziel schienen auch gegeben. Australien verzeichnet mit knapp fünf Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote seit Jahren, die Wirtschaft, besonders der IT-Sektor, boomt. Dazu hat die erfolgreiche Militärintervention in Ost-Timor das nationale Selbstwertgefühl beflügelt. Und am allerbesten: Das sportbegeisterte Australien verfügt mit Cathy Freeman über eine Ausnahmeathletin, die praktischerweise aboriginal und unpolitisch ist.

Doch die schönen neuen Spiele scheinen an diesem regnerischem Winterabend in Adelaide nicht viele Passanten zu interessieren. Auf die Olympiade angesprochen, reagieren die meisten mit Achselzucken. Einer sagt, ihn interessiere »der Quatsch nicht«, es sei doch eh »alles korrupt«. Und so ganz allein steht er mit dieser Meinung nicht. Nach einer Umfrage der Tageszeitung The Age vom Juni dieses Jahres sehen nur noch 42 Prozent der Australier in den Spielen ein für sie relevantes Ereignis. Ein Jahr zuvor hatten noch über 60 Prozent die Spiele als wichtig eingeschätzt. Für diesen rapiden Interesseverlust wird vor allem das von Skandal zu Skandal stolpernde Organisationskomitee der Olympischen Spiele (SOCOG) verantwortlich gemacht - die an Lächerlichkeit grenzende Unfähigkeit der Funktionäre verweist selbst Beckenbauer und Co. auf die Plätze.

Das PR-Desaster begann Mitte vergangenen Jahres mit der Posse um den Auftritt amerikanischer und japanischer Bands bei der Eröffnungszeremonie. Boulevard-Blätter wie Murdochs Advertiser oder Herald Sun, flankiert von konservativen Politikern, forderten lautstark, das nur australische Musiker den Olympioniken aufspielten. Die nationalistische Polemik fiel beim SOCOG auf fruchtbaren Boden, die ausländischen Musiker wurden kurzerhand ausgeladen. Allerdings auch postwendend wieder eingeladen, da sich die Veranstalter mit einer Millionenklage und einer Boykottdrohung der Amerikaner und der Japaner konfrontiert sahen.

Wichtiger für den Durchschnittsaustralier war jedoch der Ticketskandal. Ursprünglich sollten alle Karten, abgesehen von Sponsoren-Kontingenten, in einer Lotterie angeboten werden. Das SOCOG vergaß jedoch zu erwähnen, dass über 300 000 Tickets, vor allem für die begehrten Eröffnungs- und Abschlusszeremonien und die Leichtathletik- und Schwimmwettbewerbe, aus dem freien Verkauf genommen und direkt einer betuchteren Klientel angeboten wurden. In einer Gesellschaft, die sich, wenn auch zu Unrecht, als egalitär versteht, ist die Bevorzugung der ohnehin schon Privilegierten ein absolutes Tabu. Die öffentliche Empörung war groß, beim SOCOG rollten einige Köpfe, und nach langem Hin und Her wurde die Kartenvergabe neu geregelt.

Medienwirksam und nicht ohne Pathos erklärte der SOCOG-Vorsitzende Sandy Hollway: »Wir haben die Spiele des Volkes gerettet.« Allerdings nur bis zum Beginn des Olympia-Zyklus im April dieses Jahres. Lange wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, wer als Erster die Fackel im griechischen Olympia tragen sollte. Die Wahl fiel auf die 15jährige Yianna Souleles, Vorzeige-Schülerin und Kind einer griechisch-australischen Migrantenfamilie. In einem Einwanderungsland wie Australien schien sie eine mehr als angemessene Wahl zu sein, personifizierte sie doch das gelungene Zusammenleben zweier Kulturen. Eine Woche vor dem Fackellauf aber beschloss der australische Vizepräsident des IOC, Kevin Gosper, dass seine Tochter Sophie die geeignetere Würdenträgerin sei. Allen Beschwerden über Nepotismus zum Trotz blieb die Entscheidung bestehen, Yianna durfte nur als zweite die olympische Fackel gen Sydney tragen.

Im Frühjahr beschossen übereifrige Anti-Terror-Einheiten während einer Übung versehentlich einige Wohnungen im Olympischen Dorf. Das größte Konfliktpotenzial birgt allerdings die Behandlung der indigenen Australier durch Olympia-Funktionäre. Vergangene Woche wurde das Zeigen des Aborigines-Symbols, einer gelben Sonne auf rot-schwarzem Grund, für unerwünscht erklärt.

Der ohnehin schon schwierige Prozess der Annäherung zwischen Aborigines und der politischen Klasse Australiens - Premier John Howard z.B. weigert sich bis heute, das Wort »Sorry« im Zusammenhang mit den Verbrechen vergangener Regierungen zu benutzen - wird weiter verzögert. Während Traditionalisten und Konservative frohlockten, sind Aborigines-Aktivisten empört. Sir Charles Perkins, renommiertes Mitglied der Aboriginal and Torres Strait Islanders Commission (ATSIC), drohte mit massiven Protesten während der Spiele, denn wenn schon »Australien schweigt, hört vielleicht die Welt zu«.

Am ersten Januar feiert Australien den hundertsten Geburtstag der Staatsgründung, eine gelungene Olympiade wäre der ideale Auftakt der Feierlichkeiten. Und vielleicht wird genau das geschehen, trotz dem redlichen Bemühen des SOCOG. Was vorher war, wird schnell vergessen und vergeben sein, und noch ein bisschen schneller, wenn der eine oder andere Australier auf dem Siegertreppchen steht.