Antirassistische Strategien

Antifa heißt Subito

Im Windschatten der aktuellen rotgrünen Mobilisierung der »Zivilgesellschaft« gegen Rechts lässt sich durchaus von links ein Stück Zivilisation nach Deutschland bringen.

Nach der Befreiung von Paris schrieb Jean-Paul Sartre seine »Réflexions sur la question juive«, die 1946 als Buch veröffentlicht wurden und 1994 in neuer Übersetzung unter dem Titel »Überlegungen zur Judenfrage« erschienen. Der Text gilt zu Recht als Klassiker in der Antisemitismus-Diskussion, trotz einiger gut begründeter Einwände.

Bei aller Kritik ist festzuhalten, dass Sartre das Feld umriss, in dem sich die - manche bestehen darauf: radikale - Linke im Kampf gegen Antisemitismus (und Rassismus) bewegt: Auch für Sartre wird erst »in einer klassenlosen (...) Gesellschaft (...) der Antisemitismus keinerlei Daseinsgrund mehr besitzen: man wird seine Wurzeln gekappt haben.« Die sozialistische Revolution werde »den Antisemiten aus der Welt (...) schaffen; auch für die Juden werden wir die Revolution machen.«

Was wie ein Schlusswort oder die Parole eines revolutionaristischen Antifa-Flugblatts klingt, ist freilich nicht Sartres letztes Wort. Er fährt mit einer so simplen wie schneidenden Frage fort: »Und inzwischen? Denn schließlich ist es eine faule Lösung, der künftigen Revolution die Klärung der Judenfrage zu überlassen.« In der Tat. Und umso mehr, als es mit der Revolution in den seither verstrichenen Jahrzehnten ja nicht eben praktische Fortschritte gegeben hat.

Moshe Zuckermann scheint vom aktuellen Handlungsbedarf nichts zu spüren. Schlimmer noch: Wenn man nicht wüsste, dass er an der Kritischen Theorie Adornos geschult ist und hervorragende Bücher zum Erinnerungsdiskurs in Deutschland (und Israel) geschrieben hat, könnte man ihn für einen Anhänger jenes Marxismus halten, der eine Dialektik von Basis und Überbau für den Zweitaktmotor der Geschichte hält. Der Sozialstaat werde abgebaut, die Politik besinne sich auf den Rechtsextremismus, bemerkt Zuckermann und stellt fest: »Es ist leicht, da einen Kausalzusammenhang zu sehen.« (Jungle World, 36/00)

Zuckermann belässt es bei dieser unerträglichen Leichtigkeit der Lehre vom gesellschaftlichen Sein, für die »immer das Sozio-Ökonomische die Ursache« ist, weshalb auch Neonazismus sowie Alltags- und institutioneller Rassismus »kein deutsches Problem« seien, »sondern ein Problem des Kapitalismus in der Welt«. Auf die leicht entnervte Nachfrage, ob er ernsthaft glaube, »dass Umverteilungen oder ökonomische Gerechtigkeit den Rassismus hier abschaffen würden«, folgt tatsächlich eine Antwort Zuckermanns, die unter Sartres Begriff »faule Lösung« fällt.

Serhat Karakayali (kanak attak) lag mit seiner politisch-pragmatischen Schlussperspektive richtig, den Regierungsparteien mögen bei ihrer antirassistischen Mobilisierung »die Widersprüche auf die Füße fallen« (Jungle World, 32/00). In seinem gemeinsam mit Manuela Bojadzijev verfassten Disko-Beitrag (35/00) geht diese Überlegung indes zwischen weitschweifigen Abgrenzungen gegen entlarvende Ideologiekritik und einem Aufbauschen der Vereinnahmungsgefahr mit dem besonderen Kick, dass der »Wille, nicht vereinnahmt zu werden, verdeckt, worauf es ankommt«, ziemlich unter.

Immerhin heißt es am Ende zur Neuorientierung des Antirassismus: »Im Zentrum stehen die Interessen von Migrantinnen und Migranten.« Ob die sich so schnell vereinheitlichen lassen, sei mal dahingestellt. Dass »Kniffe der Ideologiekritik« und der »Vorwurf der Bigotterie oder Halbherzigkeit« hilflos seien, sollte indes nicht so leichtfertig im »Interesse von Migrantinnen und Migranten« behauptet werden; manche konkrete Auseinandersetzung um Kirchenasyl und Abschiebung beweist das Gegenteil.

Jedenfalls verweist diese Neubestimmung des Antirassismus darauf, dass zwischen Antirassismus und Antifaschismus als politischen Kräften eine Lücke klafft, die zu schließen ein gar nicht so unbescheidenes Ziel der Debatte sein könnte. Es ist mehr als merkwürdig, dass nach diversen Friedhofsschändungen und nach dem Düsseldorfer Anschlag, dessen vermuteter antisemitischer Hintergrund bis heute nicht eindeutig erwiesen ist, der aber der Hauptauslöser der derzeitigen Diskussion ist, die »Interessen von Migrantinnen und Migranten« als Zentrum des Antirassismus bestimmt werden. Gelten diesem Antirassismus die hier lebenden Juden generell als Migranten? Oder bleiben sie außen vor?

Während Bojadzijev und Karakayali wenigstens eine wichtige konkrete Anregung für politisches Handeln im Hier und Jetzt anreißen, indem sie Leitlinien für die Intervention in die angelaufene Einwanderungsdebatte vorschlagen, läuft Schorsch Kameruns Vorschlag (Jungle World, 36/00) darauf hinaus, sich wenn auch nicht mit Superdeutschland, so doch mit dem Status quo der Szene abzufinden. Mögliche Innovation im Antifaschismus will er nur als Anpassung an den »antifaschistischen Zeitgeist« begriffen sehen. Mach meine Routinen nicht an! Antifa heißt Kuschelgruppe! Wie oft müssen die Nazis denn noch in Hamburg, wo sie sich nach eigenem Bekunden lange nicht hintrauten, aufmarschieren, damit klar wird, dass es auch in den Szenehochburgen mit der Gemütlichkeit vorbei ist?

Canto di Pajaro sieht in Schorsch Kameruns Position »Selbstbeweihräucherung«, fordert »Schluss mit den Berührungsängsten« und will »ran an die staatlichen Geldtöpfe« (Jungle World, 36/00). Da ist Überschwang im Spiel, doch falsch ist das nicht. Mit der Knete wird das nicht so leicht; zudem lässt sich jetzt schon das erbärmliche Schauspiel ansehen, wie sich einige, unter starkem Einsatz der Ellenbogen wider besseres Wissen ihre Einzigartigkeit betonend, nach dem Bimbes strecken.

Allerdings sollte über politische Inhalte und vor allem die Formulierung von Nahzielen mit weiterführenden Perspektiven geredet werden. Wenn denn an der antinationalen Kritik an Deutschland und der Kontinuität des völkischen Nationalismus in Deutschland - bis hin zum Artikel 116 GG, der die Deutschen als Blutsbande bestimmt - etwas dran ist, dann ginge es nun darum, im Windschatten der aktuellen rotgrünen Mobilisierung der »Zivilgesellschaft« ein Stück Zivilisation nach Deutschland zu bringen.

Das passiert auch unter Rotgrün nicht von selbst - ein Beispiel dafür sind die massiven Widerstände gegen die halbherzige Novellierung des Staatsbürgerschaftsrechts. Zum Westniveau gehörte auch eine politische Initiative, die sich am britischen Macpherson-Report orientierte - einer in Europa bisher wohl einzigartigen öffentlichen Untersuchung zum institutionellen Rassismus bei der Polizei und im Rechtssystem. Wenn sich die Linke zu schade ist, an solchen Punkten zu intervenieren, sollte sie aufhören, von den Interessen der Migranten zu sprechen.

Weiter zu treiben ist die antifaschistische Recherche und Publikation, die durch verschiedene Archive und Zeitschriften relativ gut institutionalisiert ist und, von gewissem Nachholbedarf bei Diskurstaktik und medientauglicher Präsentation abgesehen, gute Arbeit leistet. Dass die Antifa, durch die Verfassungsschutzämter als »linksextremistisch« diskreditiert, in den letzten Wochen wegen der Solidität ihrer Recherchen auch in den Mainstream-Medien Anerkennung gefunden hat, sollte in der politischen Auseinandersetzung nicht unterschätzt werden.

Bisher ist der »Ruck gegen Rechts« vor allem ein Medienphänomen, kaum hingegen zeigt er sich in sichtbaren Initiativen auf der Straße. Möglicherweise ergeben sich hier dezentral Ansatzpunkte linker Initiative, die über das linke Stammpublikum hinaus mobilisieren. Ob dies in Aktionen gegen demnächst anstehende Veranstaltungen der extremen Rechten, das lokale Nazi-Zentrum, den ortsansässigen Nazi-Verlag oder ähnliches umzusetzen ist, ist einen Versuch wert.

Die anerkannte Kompetenz kann auch in die weitere Debatte eingebracht werden, angefangen bei der Frage des NPD-Verbots. Das ist längst nicht unter Dach und Fach, und die Widerstände dagegen sind anderer Art als die leicht auszuräumende billige Polemik, die Burkhard Schröder in diesem Zusammenhang gegen die Antifa absonderte.

Da einige nun die Tugenden des antirepressiven Kampfes entdecken und tatsächlich gewisse einschlägige Kreise die aktuelle Diskussion für autoritäre Phantasien nutzen, wäre die antifaschistische Recherche und Publikation (noch) stärker als bisher mit Kritik an den Innenbehörden zu verknüpfen. Dabei geht es nicht um den Wettstreit, wer der beste Verfassungsschutz ist; auch lassen sich die Beiträge der verschiedenen Autorinnen und Autoren nicht als Bewerbungsschreiben für einen Job beim Amt verstehen.

Die Forderung nach der Abschaffung der Verfassungsschutzämter ist aktuell. Dafür sprechen nicht nur die bekannten Skandale um Neonazi-V-Leute in Thüringen und Brandenburg oder vor einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen. An vielen Einzelthemen lässt sich zeigen, dass die empirische Forschung zur extremen Rechten und die Antifa-Publizistik den entsprechenden offiziellen Publikationen oft um Jahre voraus sind oder genauer Bescheid wissen. Also her mit dem Geld, um den gesellschaftlichen Kampf gegen die extreme Rechte so kompetent wie irgend möglich zu führen.

All das bleibt selbstverständlich weit unterhalb der grundstürzenden Veränderung des großen Ganzen. Wer will, mag es deshalb für nichtig befinden und dazu ein Adorno-Zitat aus dem Zettelkasten kramen. Doch der war sich keineswegs zu schade zu Eingriffen im Hier und Jetzt. Ein Text heißt doch tatsächlich »Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute«.