Nach den Wahlen in Jugoslawien

Demoskopen an die Macht

Eigentlich ist der Vorwurf unglaublich. Das Regime Slobodan Milosevics, so hieß es schon vor Wochen von Washington bis Berlin, weigere sich beharrlich, unabhängige Beobachter für die jugoslawischen Wahlen zuzulassen. Unabhängige Beobachter? Das wären aus Sicht der Balkan-Berater in den westlichen Staatskanzleien Typen vom Schlage eines William Walker, der vor anderthalb Jahren die zivile OSZE-Mission im Kosovo anführte. So weit ging die Unabhängigkeit des Ex-CIA-Mannes, dass sich USA, EU und Nato im März 1999 gezwungen sahen, nicht nur das Kosovo, sondern ganz Jugoslawien mit einem dreimonatigen Bombenhagel zu belegen. Nichts weiter als die rasche Einführung direkter Demokratie, würde mancher Diplomat wahrscheinlich heute noch demokratietheoretische Gründe anführen, um das Unternehmen zu verteidigen.

Die Methoden der Milosevic-Clique seien an dieser Stelle einmal nicht erwähnt, ist über die Drangsalierung Oppositioneller und den immer asozialeren Charakter des jugoslawischen Entwicklungsmodells seit Milosevics Aufstieg zum Chef der serbischen Kommunisten 1986 doch schon so viel geschrieben worden. Attraktiv ist dessen nationales Mangelmodell vielleicht noch für die Bewohner der Bahamas, die sich um epochale Ereignisse wie das Ende der Systemkonkurrenz nie scheren mussten. Für Linke besitzt es so viel Anziehungskraft wie eine Mitgliedschaft in der Jungen Union.

Sicherlich, Milosevics Bürokraten haben westlichen Beobachtern den Zugang zu Wahllokalen in Serbien verwehrt. Bei den Beteuerungen von Unmik-Chef Kouchner jedoch, der Wahlgang vom Sonntag sei von den Behörden manipuliert worden, handelt es sich aus anderem Grund um eine Lüge. Der Sieger stand für Clinton, Chirac und Blair schon fest, da hatte Milosevic noch gar keine Wahlen ausgerufen. Spätestens seit Schröders Diktum vom Juli, das serbische »Ermächtigungsgesetz« mache die Wahlen automatisch ungültig, musste der Verlierer in den Augen des Westens unwiderruflich Milosevic heißen. Freie, gleiche und geheime Wahlen hin oder her.

Die Aufwertung serbischer Hobby-Demoskopen zu Garanten der Demokratie hat System, seitdem der kurze Aufbruch der serbischen Opposition im Sommer 1999 wieder einmal an der Geduld Milosevics gescheitert war. So unverhohlen, wie EU, USA und Uno jetzt auf dem Sieg des Milosevic-Herausforderers Kostunica beharrten, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, die amtlichen Endergebnisse hätten für den Wahlausgang irgendeine Relevanz, so dreist ist die Behauptung, ihre eigenen Zahlen entstammten unabhängigen Quellen. Wenn man der Propaganda aus Brüssel oder Berlin Glauben schenkte, dürfte es diese in Belgrad ohnehin nicht mehr geben.

Das Problem bei den Wahlen am Sonntag waren daher nicht die fehlenden ausländischen Beobachter im Land, sondern die Tatsache, dass Jugoslawien von obskuren Observatoren im Ausland geradezu umzingelt war. Frei nach dem Motto, dass Wahlen, die nichts ändern, zwar nicht verboten, aber eben auch nicht anerkannt werden, haben Uno, EU und USA so eine ganz neue Art demokratischer Willensbildung etabliert. Das Brüsseler Vorgehen, die Vergabe von EU-Krediten abhängig zu machen von der Abwahl Milosevics, erscheint wie ein Aufruf zur freien Jagd auf den Belgrader Staatschef. Und Europa zahlt das Kopfgeld.