Olympia-Berichterstattung bei ARD und ZDF

Enttäuschte Liebe

Wer sonst noch startet, ist uns doch egal. Aus Sydney berichten ARD und ZDF in erster Linie über die deutschen Sportler.

Mehr als 25 Stunden täglich, so behaupteten ARD und ZDF vor dem Beginn der Olympischen Spiele stolz, werde man berichten, und schon damals hatte man das Gefühl, das könne wohl nicht so ganz stimmen. Nun ist klar, wie die beiden TV-Stationen ihre Vorgabe erreichen wollen: mit der ausgiebigen Präsentation der deutschen Olympia-Teilnehmer. Blöd nur, dass der Schwerpunkt der internationalen Berichterstattung woanders liegt - und die Deutschen daher nicht ständig im Bild sind.

»Scheinbar mögen sie uns nicht, die lieben Australier«, beschwerte sich schon am vierten Tag der Olympischen Spiele ein erbitterter ARD-Kommentator, weil die vor dem Fernseher sitzenden Deutschen während der Übertragung des Military-Geländerittes nur ausländische Reiter und Pferde zu sehen bekamen. Doch zu diesem Zeitpunkt war bereits die zweite Starterin der BRD-Equipe vom Pferd gefallen. Eine ernsthafte Chance auf Gold hätten die deutschen Vielseitigkeits-Reiter nur dann gehabt, wenn sechs oder sieben Nationen disqualifiziert worden wären.

In anderen Sportarten haben die deutschen Sender mit eigenen Kameras dafür gesorgt, dass ihnen kein deutscher Sportler entgeht. Beim Schwimmen wurden nicht nur die Bahnen von van Almsick und Co. per Computer extra blau eingefärbt (ARD) oder mit deutscher Fahne versehen (ZDF). Auch eine spezielle »Videowall« sorgte vor den Starts für Großaufnahmen der DSV-Aktiven. So verpasste man zwar die offizielle Vorstellung der anderen Athleten, aber was ist das schon gegen die Chance, ausgiebig in aufgeregte deutsche Gesichter zu blicken?

Auch beim Radfahren erfuhr man über die anderen Teilnehmer meist nur, dass sie anwesend waren. Und wenn, wie im deutsch-deutschen Einer-Verfolgungsfinale, die Begeisterung in der Halle zu wünschen übrig ließ, reduzierte die Regie den Ton eben mittels Noisegate - und deutete die maue Atmosphäre einfach zu unglaublich toller Stimmung um. Manche Rennen konnten mangels deutscher Beteiligung gar nicht gezeigt werden, stattdessen gab es lange Berichte über Medaillenschmieden in Neubrandenburg sowie Trainerportraits.

Ausreden durften Studiogäste, die zum Beispiel die erwartungsgemäß ausgebliebenen Fecht-Medaillen auch noch fachmännisch erklären sollen, in der Regel nicht. Nach dem zweiten oder dritten Satz verkündete der Moderator aufgeregt, nun in die Schwimmhalle zu schalten, wo Franziska van Almsick vor dem Mikrofon stehe. Was würde die Frau wohl sagen? Dass sie sofort mit dem Sport aufhört? Nein, gefragt wird bloß, wie sie sich vor dem in nur wenigen Stunden stattfindenden Viertelfinale fühle. »Gut«, antwortet sie, und dann ist die Live-Schalte auch schon wieder vorbei und das nächste große Ereignis steht an.

Natürlich eins, in dem deutsche Starter dabei sind. Freunde von Sportarten, in denen die Deutschen keine Medaillenchancen haben, sollten sich auch für die verbleibenden Olympia-Tage keine großen Hoffnungen auf Berichte machen. Bestenfalls die ausländischen Gold-Gewinner bekommen sie irgendwann einmal vorgelesen. Wie die Zweiten und Dritten heißen und woher sie kommen, bleibt ein Geheimnis.

Ausländer sind schließlich allesamt nur auf der Welt, um den deutschen Sportlern die Medaillen wegzunehmen. Am Ende der ersten Olympia-Woche wurden die Moderatoren richtig böse. Jeder Wettkampf wurde mit dem Satz angekündigt, mit dem zuvor jeder Reporter seine Kursk-Reportage beenden musste. »Die Hoffnung stirbt zuletzt«, erklärte man immer wieder, wobei BR-Mann Waldemar Hartmann den anderen das Versagen der Deutschen besonders übel nahm.

Wie das von Kugelstoßer Oliver-Sven Buder. Der war zwar schon lange vor dem Wettkampf verletzt, eine Medaille sollte aber trotzdem her. Schon bevor es losging, sendeten die Öffentlich-Rechtlichen daher Stil-Studien von Buder beim Sitzen. Und wenn der Sportler dann zur Kugel griff, unterbrachen sie alle laufenden Programme. Dass es schließlich nicht reichte, ärgerte den Athleten weniger als den Reporter. »Er wird uns jetzt Rede und Antwort stehen«, kündigte er an, und dann musste Buder zum Rapport. »Wir haben gedacht, sie werden eine Lokomotive für die deutsche Leichtathletik«, hielt man ihm vor, aber der Sportler beharrte eigensinnig darauf, doch einen ganz passablen Wettkampf gezeigt zu haben.

Das formidable Fiasko der deutschen Athleten war dann jedoch nicht ganz so schlimm wie zunächst erhofft. Obwohl »das deutsche Riemenrudern in der Krise steckt«, machten die Sculler alles wieder wett. Zur Strafe zeigten ARD und ZDF die Riemenruderer nicht - und die Achter erst recht nicht. Und das, obwohl diese Disziplin jahrzehntelang als wichtigste auf dem Gebiet der Ruderei gegolten hatte. Der »Deutschland-Achter« hatte sich nicht für Sydney qualifizieren können.

Sport ohne deutsche Beteiligung gibt es für die Sender praktisch nicht. Außer, wenn ein ausländischer Athlet oder eine Athletin zur Witzfigur gemacht werden kann. Ein guineischer Schwimmer, der nach den Fehlstarts seiner Konkurrenten allein seinen Vorlauf bestritt, musste sich sogar aufs ZDF-Traumschiff einladen lassen, wo man dann viele Späße mit ihm machte. »Das ist der Geist von Olympia«, war sein Wettkampf immer wieder kommentiert worden. Für Deutsche galt das jedoch nicht: Nachdem Franziska van Almsick schon im Vorlauf ausgeschieden war, titelte die B.Z. zu einem unvorteilhaften Foto von ihr »Franziska van Speck« und »Als Molch holt man keine Medaillen«. Die Leser protestierten, das B.Z.-Team in Sydney drohte gar mit Kündigung - »es war eine Schlagzeile aus enttäuschter Liebe«, erklärte Chefredakteur Franz-Josef Wagner später.

Bei so viel nationalem Engagement blieb natürlich wenig Zeit für andere Sportlerinnen wie etwa Camilla Andersen oder Mia Hundvin. Die beiden schwedischen Handballspielerinnen sind seit einiger Zeit miteinander verheiratet, was dem IOC nicht passt. Juan Antonio Samaranch sorgte angeblich selbst dafür, dass der Familienstand der beiden Frauen im offiziellen Magazin in »ledig« umgeändert wurde.

Nur bei Eurosport konnte man seinen Spaß haben. Wenn man viel Glück hatte, wurde gerade Boxen übertragen. Werner Kastor und Mario Pokowietz hießen die beiden Experten, die es sich in ihrer Kommentatoren-Box gemütlich machten und über die Welt des Amateurboxens berichteten. Die üblichen seltsamen Wertungen brachten sie nicht aus der Ruhe: »Kein schlechter Mann - schlägt zwar nicht, kriegt aber gleich zwei Punkte!« Auch wenn ihre Favoriten mal nicht gewannen, nahmen sie es gelassen hin: »Wir haben von Calderon mehr erwartet, andere haben dagegen weniger von Oleg Saitow erwartet.«

Auch deutsche Starter machten die beiden nicht nervös: »Noch zwei Kämpfe, dann kommt Huste!« Oder: »Meiner Rechnung nach sind's drei!« - »Na, man kann auch vier sagen!« Wenn die beiden dann noch im Plauderton ihre Lieblingsfehde austrugen - Soll ein Boxer die Hände tief oder doch eher hoch halten? - hatte man wirklich das Gefühl, bei diesem Sender gut aufgehoben zu sein. Auch wenn er nicht 25 Stunden täglich live überträgt.