IWF-Politik in Tschechien

In Nachbars Garten

Es ist kein Zufall, dass das erste IWF-Treffen in Osteuropa ausgerechnet in Prag stattfindet: Tschechien gilt als Musterkind der internationalen Finanz-Institutionen.

Vaclav Havel ist gerne tschechischer Präsident, und er ist es mit einem Sinn für Theatralik, welcher den früheren Dramatiker erkennen lässt. Bei jeder Gelegenheit inszeniert er auf seinem Amtssitz, der Prager Burg, neue Folgen seiner Dauerwerbesendung für den Freien Westen. Am 24. August nutzte der Autor sein »Gartenfest«, ein Treffen mit 50 Schülerinnen und Schülern auf dem Hradschin, um für die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Prag zu werben: »Es ist eine ungeheure Chance als Gastgeber dabei zu sein, mitzureden. Es gibt aber Ansichten wie: hoffentlich geht das Ganze bald zu Ende’ und das ist schade«, klagte Havel.

Vom 26. bis 28. September zelebrieren 18 000 Repräsentanten und Beschäftigte von IWF und Weltbank in Prag ihren ersten Jahresgipfel in Osteuropa. Elf Jahre nach dem Zusammenbruch des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, des Wirtschaftsverbundes rund um die damalige Sowjetunion, soll der Sieg des Kapitalismus über den Staatssozialismus manifestiert werden.

Da trifft es sich gut, dass der IWF der Tschechischen Republik in seiner jüngsten Studie Mitte August ein kräftiges Wirtschaftswachstum prophezeite: Das Bruttoinlandsprodukt werde dieses Jahr um 2,5 Prozent wachsen, nächstes Jahr gar noch um ein Prozent mehr. Ein Grund sei das günstige außenwirtschaftliche Umfeld, womit die beständige Konjunktur in den EU-Staaten gemeint ist. Positiv findet der IWF auch, dass unter der sozialdemokratischen Regierung in Tschechien vermehrt Staatsbetriebe privatisiert werden. Zu begrüßen seien ferner die ausländischen Direktinvestitionen. Dass deren Zunahme im wesentlichen eine Folge des Verscherbelns der Staatsbetriebe ist, verschweigen die Autoren der IWF-Studie lieber. Stattdessen fordern sie mehr Tempo bei Privatisierungen und Rationalisierungen und den Rückzug des Staates aus dem Gesundheitssystem.

Auch die sozialen Kosten der Systemtransformation berücksichtigt der IWF. Bei fortgesetzter Deregulierung rechnen die Analysten mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote von derzeit neun auf 10,5 Prozent zum Jahresende und einem weiteren Anstieg im nächsten Jahr. Dies ist übrigens der einzige Punkt, in dem das tschechische Finanzministerium der IWF-Analyse widersprach. Es werde, so beteuerte man in Prag, höchstens 9,7 Prozent Arbeitslose geben.

Den haushaltspolitischen Empfehlungen des IWF ist die von der konservativen ODS gestützte Minderheitsregierung der sozialdemokratischen CSSD Ende August mit ihrem Etat für 2001 schon nachgekommen. Eine restriktive Fiskalpolitik, Ausgabenbegrenzungen im Sozialsektor und bei den Renten sollen das diesjährige Haushaltsdefizit von über 35 Milliarden Kronen (eine Milliarde Euro) auf 20 Milliarden Kronen herunterdrücken.

Zusätzlich empfiehlt der IWF der Regierung eine Fortsetzung der Währungspolitik für eine starke Krone. Die tschechischen Exportunternehmen müssten dann nämlich, um dem internationalen Wettbewerb standzuhalten, »ihre Restrukturierung fortsetzen und die Produktivität erhöhen«, wie die Prager Zeitung am 17. August den Druck auf nahezu alle größeren Produktionsbetriebe beschrieb. In Zahlen ausgedrückt: Von Juni auf Juli stieg die Arbeitslosenquote von 8,7 auf neun Prozent, bei gleichzeitig steigender Industrieproduktion.

Der Generaldirektor der BNP-Dresdener Bank Tschechien, Rolf Dieter Beck, sieht die Entwicklung der Anbindung an die EU rosig: »Tschechien verfügt über sehr viele Voraussetzungen, diesen Markt kostengünstig und (...) von den Industrienormen her vergleichbar zu bedienen, dass heißt beste Voraussetzungen für eine Erfolgsstory.«

Etwa 80 Prozent der Exporte aus Tschechien gehen bereits in die Euro-Zone, von wo auch 70 Prozent der Importe kommen. Beck sagt, wo's langgeht: »Jetzt müssen also die Währungsparitäten richtig definiert und den Weltmarktpreisen Raum gegeben werden. (...) Schließlich ist der Kommunismus wirtschaftlich gescheitert, weil er weder die Weltmarktpreise akzeptiert noch richtige Wechselkurse zugelassen hat.«

Nicht nur die Preise für tschechische Produkte werden auf dem freien Markt ausgehandelt. Infolge des von der Regierung seit zwei Jahren forcierten zweiten Privatisierungsbooms wechseln viele Betriebe die Besitzer. Kürzlich hat die Volkswagen AG vom tschechischen Staat dessen restliche 30 Prozent Aktienbesitz an den Skoda-Autowerken in Mladá Boleslav erworben: für 12,3 Milliarden Kronen (350 Millionen Euro). Das Finanzministerium hatte zuvor noch 19 bis 20 Milliarden Kronen als angemessenen Preis genannt.

Als »Privatisierung des Jahres« bezeichnete es die Prager Zeitung im August, dass der Staat Ende September 51 Prozent von Ceské radiokomunikaze verkaufen will. Diese zweitgrößte Telekommunikationsfirma Tschechiens machte 1999 einen Reingewinn von 15,5 Millionen Euro, vor allem mit Handys. Neben Telecom Italia und TeleDanmark bietet auch die Deutsche Telekom, die erst im Juni den City-Netzbetreiber PragoNet gekauft hat. Für 51 Prozent des Unternehmens zahlte sie knapp 23 Millionen Euro. Prag macht rund 30 Prozent des Telekommunikationsmarktes in Tschechien aus. Außer an PragoNet ist die Telekom noch zu 41 Prozent am Mobilfunk-Netzbetreiber Radiomobil beteiligt. Detlev Buchal vom Telekom-Vorstand erklärte im Juni, sein Unternehmen sehe Tschechien als wachsenden Markt in Mitteleuropa und plane weitere Expansionen.

Die Telekom ist nur ein Beispiel von vielen. So gab der Konzern RWE Energie aus Essen im Februar die Beteiligung an einer Strom- und einer Gasholding für den Raum Prag bekannt, die aber noch von tschechischen Gremien genehmigt werden muss. Auch wenn nicht alles von deutschen Konzernen aufgekauft wird, so geraten doch schon vor dem geplanten EU-Beitritt große Teile der Wirtschaft in Tschechien unter deutsche Kontrolle.

Am Rande des IWF- und Weltbank-Gipfels werden sich weitere Firmen zum Verkauf anbieten, wie der tschechische Finanzminister Pavel Mertlik gegenüber Radio Prag ankündigte: »Gerade Firmen wie Czech Invest, Czech Trade und das Zentrale Fremdenverkehrsamt bereiten in der Zeit der Tagung Präsentationen und Seminare für neue Investoren vor, die bisher noch keine Kontakte in die Tschechische Republik haben, und legen ihnen Möglichkeiten zur kommenden Zusammenarbeit dar.«

Wer keine Firma kaufen will, soll lieber zuhause bleiben. »In dieser Zeit«, erläuterte der Innenminister Stanislav Gross, »werden umfassende Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen, die das Leben in der Stadt stark beeinflussen. Wenn Sie ein ruhiges Prag erleben wollen, sollten sie ihren Besuch auf einen anderen Termin legen.« Die Prager Theater wurden vom Innenministerium aufgefordert, alle Aufführungen zu verschieben, und die Schulen werden für die letzte Septemberwoche außerplanmäßig geschlossen. Vielleicht sind es die Prager Schüler, die als einzige von der »ungeheuren Chance« profitieren.