Zurück in die Wiege

Die vom Westen gehätschelte serbische Opposition steht für eine Kombination aus serbischem Nationalismus und neoliberaler Schocktherapie.

Eine revolutionäre Situation ziehe herauf, »wenn die unten nicht mehr wollen und die oben nicht mehr können«, bemerkte Lenin einmal. Und genau das sei in Jugoslawien jetzt der Fall, analysierte Joseph Fischer (Ex-»Revolutionärer Kampf«) letzte Woche in Berlin. Vielleicht hat der deutsche Außenminister sogar Recht und einer seiner Wunschträume geht in Erfüllung: Revolution in Belgrad, der Tyrann wird von den Massen gerichtet und Joseph, Revoluzzer an der Seite der Unterdrückten, hilft mit.

Aber vielleicht ist alles ein bisschen komplizierter und es stimmt, was Zoran Djindjic, Wahlkampfmanager der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS), sagt. Noch vor der Präsidentschaftswahl vor zehn Tagen hatte der Lieblingsdemokrat des Westens in der slowenischen Zeitung Delo den Charakter der serbischen Opposition kenntlich gemacht: »Sie sind alle dieselben. Alles, was sie wollen, ist Macht.« Dann ginge es in Belgrad doch nicht um Revolution.

Für die Zäsur, die die letzten Tage hinterlassen haben, sorgten denn auch weniger die rivalisierenden Führer der Opposition, sondern die Massenveranstaltungen auf den Straßen und die Streiks in den Betrieben. Zum ersten Mal, seitdem Slobodan Milosevic 1987 zum serbischen Präsidenten gewählt wurde, müssen er und die Gruppe seiner engsten Mitarbeiter wirklich um die Macht fürchten. Und zum ersten Mal gibt es deutliche Hinweise auf Zerwürfnisse im Belgrader Machtzentrum. So feuerte Milosevic vorige Woche den Stabschef der Bundesarmee, Nebojsa Pavkovic. Kurz nach dem Wahlgang hatte er erklärt, die Armee werde das Ergebnis, das Vojislav Kostunica vorne sieht, akzeptieren. Im Falle von Unruhen sei die Polizei zuständig.

Auch innerhalb von Milosevics Sozialistischer Partei Serbiens (SPS) fliegen die Fetzen. Dort wurde in den vergangenen Tagen in endlosen Krisensitzungen gestritten, wie man auf das katastrophale Wahlergebnis reagieren soll. Die Optionen reichen nach einem Bericht des Londoner Institute for War and Peace Reporting vom Rücktritt Milosevics über die jetzt präferierte Variante des Zeitgewinns durch die Stichwahl am kommenden Sonntag bis zum Vorschlag, die Macht mit allen Mitteln zu verteidigen.

Wie immer der Machtkampf auch ausgeht, eines steht fest. Die politischen Kräfte, die sich unter der Rubrik »Opposition« zusammengefunden haben, werden in Zukunft in Serbien eine wichtigere Rolle spielen - sei es in der Form des vom Westen gewünschten Machtwechsels oder einer Machtteilung zwischen den politischen Fraktionen um Milosevic und Kostunica. So oder so wird schnell deutlich werden, dass die im Westen bejubelten Widersacher Milosevics eher Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Um es noch einmal mit Zoran Djindjic zu sagen: Der Präsident sei gar nicht so sehr verantwortlich für das Jahrzehnt der Kriege, denn »diejenigen, welche ihn dazu geführt haben, all das zu tun, waren wir alle«, sagte er im Mai dem Radiosender B2-92. »Das Problem ist der Milosevic in uns selbst.«

Mit dieser Formulierung spielt Djindjic auf den aggressiven Nationalismus an, den die Opposition selbst propagiert. So wurde Vojislav Kostunica 1974 - Staatsgründer Tito regierte noch - von der Belgrader Uni geworfen, nicht nur weil er Antikommunist war, sondern auch, weil er gegen eine Verfassungsänderung eintrat, die die Position der föderalen Republiken und autonomen Provinzen erheblich stärkte. Die Reform sei »ein titoistisches Komplott gegen das Serbentum«, meinte Kostunica damals. Genau dieser in serbischen Intellektuellenkreisen verbreiteten Argumentation folgte das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften, das 1986 zum Manifest des neuen serbischen Nationalismus wurde.

Während Milosevic immer ein eher instrumentelles Verhältnis zum Nationalismus pflegte, entspringt Kostunicas und das Serbentum der meisten seiner Oppositionsfreunde tiefer Überzeugung. Dass die beiden bekanntesten Protagonisten der Opposition, Djindjic von der Demokratischen Partei (DS) und Vuk Draskovic von der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), schon mal König Alexander aus dem Londoner Exil reimportieren wollten und mit dem bosnisch-serbischen Ultra Radovan Karadzic paktierten, ist bekannt. Aber keiner verkörpert den Nationalismus so rein wie Kostunica.

Die von ihm 1992 gegründete Demokratische Partei Serbiens (DSS), eine Rechts-Abspaltung der DS, sieht in Jugoslawien ein Kunstprodukt der Tito-Kommunisten und tritt für einen großserbischen Einheitsstaat ein, der alle serbischen Siedlungsgebiete umfassen soll. Also neben dem Kosovo und Montenegro auch Teile von Bosnien, Kroatien und Mazedonien. Milosevic wird von Kostunica als »Verräter« gebrandmarkt, weil er während der Kriege seit 1992 diese Gebiete abgetreten habe. Kurz vor Beginn der Nato-Bombardements 1999 ließ Kostunica sich mit einer Kalaschnikow im Arm im Kosovo fotografieren, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Kein Wunder also, dass nun auch Vojislav Seselj von der faschistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) das Lager wechselt. Bisher befand sich der serbische Vizepremier in einem taktischen Bündnis mit Milosevics Sozialisten, aber in der Wahlnacht war er der erste, der Kostunicas »Sieg« bekannt gab.

Auch Vuk Draskovic wurmt anscheinend, dass er einen eigenen SPO-Kandidaten ins Feld geschickt hat, statt sich der Kostunica-Kampagne anzuschließen. Die Entscheidung wurde von allen Seiten als Störmanöver interpretiert, das in erster Linie Milosevic nützte. Jetzt ruft der Opportunist seine Anhänger auf, die Proteste der Opposition zu unterstützen.

Sollte es Kostunica tatsächlich gelingen, Milosevic abzusetzen oder zumindest an der Macht beteiligt zu werden, ergäbe sich eine einigermaßen absurde Situation. Nur weil Kostunica den Westen während des Wahlkampfes geißelte und die nationale Sache vertrat, zog seine Kampagne. Dass sich Kostunica vehement gegen das Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stellt, das er als »amerikanische Institution« bezeichnet, wurde auch hierzulande berichtet. Dennoch wird der Jura-Professor gerne als »gemäßigter Nationalist« bezeichnet. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Kostunica vertritt mit dem Oppositionsbündnis DOS Kräfte, die zum großen Teil vom Westen gehätschelt wurden. 35,7 Millionen Dollar hat allein die US-Regierung offiziell in den letzten beiden Jahren in die serbische Opposition investiert. Für 2001 sind zusätzliche 41,5 Millionen beim Kongress beantragt.

Diese Investition soll sich aber auch lohnen. Für ihre Unterstützung erwarten die internationalen Geberländer, dass Kostunica - im Gegensatz zu den bisherigen Regierungsparteien, die antiwestlichen Nationalismus und antiwestliche Wirtschaftspolitik kombinierten und sich der Integration Jugoslawiens in den Weltmarkt widersetzen - antiwestlichen Nationalismus mit einer prowestlichen neoliberalen Schocktherapie kombiniert. Und genau das formuliert Kostunica in seinem Wahlprogramm.

Was bisher einer der Hauptfeinde der westlichen Außenpolitik war, der serbische Nationalismus, könnte dann wieder toleriert werden. Joseph Fischer würde dann vielleicht mit Mao Zedong sagen: »Qualitativ verschiedene Widersprüche können nur mit qualitativ verschiedenen Methoden gelöst werden.«