Debatte um Norman Finkelsteins »The Holocaust Industry«

Die Normalisierung des Ressentiments

Zur Kritik der »Kritik der Instrumentalisierung der Judenvernichtung«. Eine Entgegnung auf Alexander Ruoffs Rezension von Norman Finkelsteins »The Holocaust Industry«.

Die Rede von der »Instrumentalisierung der Judenvernichtung« ist zum Allgemeinplatz verkommen, ist ein Begriff, der weniger etwas benennt, beschreibt oder gar kritisiert, als dass er Einverständnis signalisiert. Ähnlich wie das Wort »Zivilisationsbruch« oder die Beschwörung von Auschwitz als »singulärem Ereignis« gehört der Vorwurf der Instrumentalisierung mittlerweile zum Jargon, in dem Wissenschaft und Feuilleton über die Massenvernichtung und ihre (ausgebliebenen) Konsequenzen sprechen, und eben deshalb hat er seine ohnehin begrenzte erkenntniskritische Dimension verloren.

Hallte im Wort »Zivilisationsbruch« zumindest noch das Erschrecken über die Dimension des Verbrechens nach und war die Rede von der »Singularität« des Massenmords an den europäischen Juden und Jüdinnen einstmals gegen die Aufrechnungslogik des deutschen Schulddiskurses gerichtet, so meinte das Wort von der Instrumentalisierung eben auch den Versuch, die Opfer in Dienst zu nehmen, wie es etwa in der Neuen Wache geschah.

Inzwischen sind diese Begriffe ihres Gehalts entleert; sie sind Schablonen einer Historiografie der Normalisierung geworden, in der noch der leiseste Gedanke an vollendete Negativität entsorgt werden muss. Wer heute »Zivilisationsbruch« sagt, bekennt sich damit vor allem zur westlichen Wertegemeinschaft; wer heute von »Singularität« spricht, will darauf hinaus, dass es keine Wiederholungsgefahr gebe, schon gar nicht in Deutschland, und wendet sich gegen das antifaschistische »Nie wieder«; wer heute von der »Instrumentalisierung der Judenvernichtung« spricht, meint nicht etwa Joseph Fischer und Rudolf Scharping mit ihren Auschwitz-Vergleichen während des Kosovo-Krieges im vergangenen Jahr, sondern redet von den Juden und von Israel.

Das Wort von der »Instrumentalisierung« ist von der kritischen Invektive zum wissenschaftlichen Begriff mutiert, weil man erkannt zu haben meint, dass Geschichte eine »Konstruktion« sei, die sich aus »Erzählungen« zusammensetze. Folglich sei jede Geschichtsschreibung Instrumentalisierung, jeder Rückblick diene einem bestimmbaren Interesse.

Das klingt alles ganz plausibel. Nur fällt zum Beispiel auch das »Nie wieder« unter diesen Begriff von Instrumentalisierung, das heißt: unerlaubter Politisierung; und es ist nur konsequent, dass dieser Begriff in dem Maße gegen die Opfer und deren Forderungen nach finanzieller Entschädigung gewendet werden konnte, wie er als wissenschaftlicher, streng objektiver Terminus Karriere machte, um dann auf alle und alles anwendbar zu werden.

Sich auf das fragwürdige Kriterium der Wissenschaftlichkeit zurückziehend, gerät Alexander Ruoffs Rezension von Norman G. Finkelsteins Buch »The Holocaust Industry« zu einem Versuch, Finkelsteins Thesen hoffähig zu machen (Jungle World, 40/00). Ruoff bagatellisiert, in dem er Finkelsteins Aussagen als »Polemik« qualifiziert. Er benennt aber nicht, was eigentlich der Gegenstand der so genannten Polemik ist, nämlich die ständig wiederkehrende Behauptung, ausgerechnet deutsche Unternehmen und Schweizer Banken seien die Opfer einer Verschwörung der israelischen und der US-amerikanischen Regierung sowie jüdischer Organisationen unter der Führung Elie Wiesels. So erweckt Ruoff den Eindruck, Finkelstein könne mit diskutablen Erkenntnissen aufwarten, weil er Finkelsteins Voraussetzungen nicht kritisert, sondern mithilfe von Moshe Zuckermanns Begriff der »heteronomen Instrumentalisierung« noch bekräftigt.

Ein Beispiel für Finkelsteins »Polemik«: Wiesel wird von Finkelstein scheinbar einer Lüge überführt, erzählte Wiesel doch einmal, er habe kurz nach dem Krieg Kant auf Jiddisch gelesen. Finkelstein behauptet nun, Kant sei nie ins Jiddische übersetzt worden - schon ist Wiesel überführt und soll insgesamt als unglaubwürdig erscheinen. Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter hat diese Behauptung Finkelsteins pars pro toto nachrecherchiert und in einem im Spiegel erschienen Artikel festgestellt: »Wiesel hätte wohl sein Ansehen verloren, wenn der Molekularbiologe Iosif Vaisman nicht im Juliheft der Zeitschrift Mendele: Forum for Yiddish Literature and Yiddish Language über Kant geschrieben hätte. Demnach wurde die kantische Ethik mit umfassenden Auszügen aus der ðKritik der praktischen VernunftÐ 1929 in Warschau von N. Sheynberg in jiddischer Übersetzung herausgegeben. Wiesel kann Kant also sehr wohl in Jiddisch gelesen haben.«

Die Denunziation Elie Wiesels eine Personalisierung zu nennen, statt sie der Kategorie Rufmord zuzuordnen, zeugt von Ruoffs Bemühungen, Finkelstein anschlussfähig zu machen. So bleibt eine Kritik an Finkelstein übrig, die sich auf Stil- und Geschmacksfragen beschränkt. Finkelstein polemisiere und personalisiere. Denn die These, »die Juden« instrumentalisierten den Holocaust, wird ja auch von Zuckermann in ideologiekritischer Absicht aufgestellt.

Ruoff ignoriert dabei den deutschen Kontext der Entschädigungsdebatte, die Finkelsteins Thesen bereits antizipierte. So liest sich »The Holocaust Industry« geradezu wie ein Kompendium der antisemitischen Stereotypen, die in der deutschen Öffentlichkeit während der letzten Jahre verhandelt wurden. Das nicht wahrzunehmen, sondern einen »wissenschaftlichen Diskurs« außerhalb der deutschen Zustände zu behaupten, heißt, das Geschäft der Normalisierung zu betreiben: Hier bewegt sich die Jungle World auf einer Linie mit der Süddeutschen Zeitung und der FAZ.

Vor allem wäre es doch interessant zu untersuchen, warum die Einwände des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, gegen das Erscheinen dieses Buches in Deutschland als Außenseiterposition abgekanzelt wird, obwohl ein eklatanter Anstieg antisemitischer Gewalt zu verzeichnen ist. Doch es hätte dieses neuerlichen Beweises für die Hartnäckigkeit des deutschen Antisemitismus nicht bedurft, um das antisemitische Potenzial des Buches richtig einzuschätzen.

Dass Ruoff dies unterlässt, ist kein Zufall, denn er spricht stattdessen von Israel zu sprechen und akzeptiert so eine weitere Vorgabe Finkelsteins. Allerdings nicht, ohne Zuckermann einen Bärendienst zu erweisen, indem er dessen Thesen mit Finkelsteins zusammenrührt. Dass sich dabei die Fragwürdigkeit der Zuckermannschen Ideologiekritik offenbart, ist von Ruoff natürlich nicht beabsichtigt. Dennoch wird überdeutlich, dass - unabhängig von der Intention Zuckermanns - dessen Kritik der »heteronomen Instrumentalisierung« der Vernichtung durch den israelischen Staat in dem Moment dem Ressentiment zuarbeitet, wo sie positivistisch gefasst und aus dem historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang herausgelöst wird. Das ist stinknormale bürgerliche Wissenschaft, mit der ebenfalls ganz normalen Folge, dass das Ressentiment zunächst rationalisiert und dann normalisiert wird.

So bedient Zuckermann, weil er eine solche Rezeption nicht ausschließen kann, eine Art sekundären Antizionismus, in dem Israel zu einem »normalen Staat« gemacht wird, der sich nun auch »normal« zu verhalten habe. Wenn nicht mehr unterschieden wird zwischen der Indienstnahme von Auschwitz durch die rotgrüne Bundesregierung oder durch die israelische Regierung, also beiden gleichermaßen »Instrumentalisierung« vorgehalten wird, lässt man außer Acht, dass die Existenz Israels ja nicht nur ideologisch, sondern ganz konkret mit der Vernichtung des europäischen Judentums zusamenhängt. Diese von Antizionisten und auch von Zionisten bestrittene Tatsache in einem scheinbar objektiven Begriff von »Instrumentalisierung« verschwinden zu lassen, hat zur Folge, dass auch der Massenmord selbst zur Chiffre degeneriert, zu einem Teil des Jargons, in dem Auschwitz nur noch metaphorisch für jede mögliche Form von »Menschenrechtsverletzung« einsteht.

So kommt dann das alte antizionistische Argument zu wissenschaftlichen Weihen, das Ruoff einen israelischen Linken zitieren lässt (denn auch er kommt nicht ohne »jüdische Kronzeugen« aus), die Israelis wiederholten ihre Verfolgungsgeschichte diesmal als Täter: Die Nazis haben »Menschenrechtsverletzungen« begangen, die Israelis auch, also ist es dasselbe.

Schon in der Entschädigungsdebatte erhielt Deutschland einen gleichberechtigten Standpunkt. Deutschland saß nicht länger auf der Anklagebank, sondern schwang sich zum Vermittler zwischen den »Opfergruppen« und zum Interessenvertreter der Benachteiligten auf.

Nicht dass Ruoff diese deutsche Gleichberechtigung intendiert hätte; aber sie ist die politische Konsequenz einer Wissenschaft, in der die Begriffe, darin Waren gleich, das Unvereinbare vereinen sollen. Wenn Ruoff Zuckermann zitiert, Israel verstehe die Vernichtung nur »partikular« und nicht in ihrer »gesamtzivilisatorischen Bedeutung«, dann wird die Wirklichkeit zu Gunsten der Theorie einfach uminterpretiert: als sei ausgerechnet Israel dafür verantwortlich, dass die Mahnung der Opfer nicht befolgt wurde, alles so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederholen kann. Eine »Kritik der Instrumentalisierung«, die über den Strukturvergleich nur auf Ähnlichkeiten und nicht auf Differenzen kommt, ist selbst »Instrumentalisierung« für deutsche Zwecke, gerade wenn sie sich an Israel richtet.