UMTS-Versteigerung in Italien

Nichts ist unmöglich

Überall in Europa werden derzeit UMTS-Lizenzen versteigert. Die Folgekosten der neuen Technik könnten die Telekomindustrie ruinieren.

Jedes Jahr eine neue Epoche, jedes Quartal ein neues ökonomisches Wunder, jede Woche eine neue Terminologie. Der Turbokapitalismus scheint sich selbst zu überholen, so schnell ist er - und so unmöglich. Das jüngste Kind der New Economy heißt UMTS (Universal Mobile Telecommunications System). Mit anderen Worten: das Internet per Handy zum Mitnehmen für unterwegs; »schnurlos« und mit zwei Millionen Bit pro Sekunde ungefähr zweihundertmal schneller als bei den heute gängigen mobilen Anschlüssen. Dabei handle es sich, so die offiziellen Optimisten vom Dienst, um ein Zukunftsgeschäft ersten Ranges.

Dieser Optimismus wird mit dem Boom bei den jetzigen Handys begründet, die unter Jugendlichen längst zum Statussymbol geworden sind. Die Phantasie blüht. Mit dem neuen Standard von UMTS und dem mobilen Internet soll europaweit endlich der lang ersehnte Durchbruch eines neuen tragfähigen Massenkonsums kommen, der Verwertungschancen für Industrie und Telekom-Dienstleistungen in einer ungeahnten Größenordnung bietet - diesmal angeblich wirklich ausreichend für einen großen selbsttragenden Aufschwung der Ökonomie.

Allein in Deutschland versprechen Wirtschaftsministerium und elektronische Industrie 700 000 neue Arbeitsplätze schon in den nächsten fünf Jahren. Und auch in Italien, wo vergangene Woche die Versteigerung von fünf UMTS-Lizenzen begann, erhofft man sich neue Wachstumspotenziale. Schließlich gibt es dort mittlerweile mehr Funktelefone als Festnetzanschlüsse.

Die optimistische Prognose dürfte wie zahlreiche ähnliche Hoffnungen und Versprechen in den letzten Jahren schon bald als Luftnummer entzaubert werden. Nach ersten Umfragen denken weniger als 25 Prozent der bisherigen Handy-Nutzer daran, auf UMTS umzusteigen. Der von Marketing, Unternehmensberatern und Regierungen erzeugte Mobilitätswahn kann nicht ewig gesteigert werden. Schon allein wegen der möglicherweise mangelnden Nachfrage könnte UMTS ökonomisch ein ähnlicher Flop werden wie das Pay-TV, dessen Protagonisten - etwa der deutsche Medienzar Leo Kirch - heute verzweifelt am Rande des großen Bankrotts lavieren.

Damit aber noch längst nicht genug. Auch die technischen Voraussetzungen sind mangelhaft. Es hört sich wie ein Witz an, aber es ist Tatsache: Nicht nur die komplette Infrastruktur für UMTS fehlt, sondern auch die Technologie selbst ist noch gar nicht ausgereift. Nach Berichten gibt es Endgeräte bisher nur als Studien. In Japan sollen vielleicht 2001 erste Geräte auf den Markt kommen.

Unabhängig von den technologischen und infrastrukturellen Mängeln lauert auch noch eine andere Gefahr: Es gibt Hinweise darauf, dass die zusätzliche Belastung durch elektromagnetische Strahlen in einem Ausmaß, wie es bei UMTS angestrebt wird, gesundheitliche Schäden verursachen kann. Zwar versucht die Telekom-Lobby solche Warnungen als »Panikmache von Spinnern und Sektierern« abzutun. Aber immerhin gibt es bereits eine »Salzburger Resolution« von ernstzunehmenden Wissenschaftlern, die niedrigere Grenzwerte als die bisher in der EU gültigen fordern.

Immerhin hat Professor Heyo Eckel, keineswegs ein Öko-Sektierer, sondern Mitglied der honorigen deutschen Bundesärztekammer, auf Tierversuche hingewiesen, die denVerdacht bestätigen, dass elektromagnetische Strahlung auch unterhalb der gegenwärtig gültigen Grenzwerte gesundheitliche Schäden auslösen kann. Und die Sache ist offenbar so ernst zu nehmen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Großstudie in Auftrag gegeben hat, um das Krebsrisiko bei extensiver Handy-Benutzung zu untersuchen. Der an einem Hirntumor erkrankte US-Neurologe Christopher Newman, der seine Krankheit auf die Strahlung von Mobiltelefonen zurückführt, hat nach den Gepflogenheiten seines Landes bereits vorsorglich Motorola und andere Mobilfunkunternehmen auf die Zahlung von 800 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt.

Dass solche Vorstöße nach dem Muster der Klagen gegen die Zigarettenindustrie durchaus ähnliche Erfolgschancen haben, zeigt die panikartige Reaktion: Motorola, Nokia und andere Handyhersteller kündigten an, dass sie ab 2001 ihre Geräte mit Hinweisen auf die Strahlenbelastung kennzeichnen wollen. Nicht gerade eine gute Werbung.

Nie war ein vollmundig angekündigtes »Zukunftsgeschäft« unsicherer. Und selbst wenn sich mit UMTS ein gewisses neues Marktsegment der Telekommunikation eröffnen sollte, so wird es mit Sicherheit keine Größenordnung und Dynamik erreichen, die gesamtwirtschaftlich zu Buche schlagen könnte. Schon gar nicht im Hinblick auf die »Beschäftigung«. Der laufende Betrieb des mobilen Internet wird auf hoher Stufe der Rationalisierung beschäftigungsarm bleiben, während die Netzausrüster zwar kurzfristig große Aufträge zu bewältigen haben; aber erfahrungsgemäß wird eine solche zeitlich begrenzte Auftragsschwemme nicht durch Neueinstellungen, sondern durch Überstunden des vorhandenen Personals bewältigt.

Am Ende wird es wieder einmal heißen: Außer Spesen nichts gewesen. Es gibt allerdings einen Unterschied zu allen früheren Hoffnungsträgern der High-Tech-Industrie. Die »Spesen«, sprich die Vorauskosten, sprengen diesmal alle Dimensionen. Lange bevor auch nur ein einziges UMTS-Handy in Betrieb genommen ist, kündigt sich die beispiellose Kosteninflation schon bei der staatlichen Vergabe der Lizenzen für das neue Mobilfunk-System an.

Nachdem die chronisch finanzschwachen Staatskassen in den neunziger Jahren durch das »Verscherbeln des Tafelsilbers«, d.h. durch die Privatisierung von staatlichen Unternehmen, Einrichtungen der Infrastruktur usw. kurzfristig saniert worden sind, beginnt sich diese Methode mangels Masse allmählich zu erschöpfen. Und da die globalisierten Konzerne weiterhin wenig oder gar keine Steuern zahlen, greifen immer mehr Staaten zu neuen Mitteln der Geldbewschaffung. Sie versteigern die Lizenzen für den UMTS-Betrieb.

Die bisherigen Auktionen haben alle Erwartungen weit übertroffen. Nachdem die Telekom-Konzerne im April 2000 bei der Versteigerung der Lizenzen für Großbritannien den Preis auf 42 Milliarden Euro hochgepokert hatten, steigerten sich die Teilnehmer bei der deutschen Auktion im August 2000 in einen regelrechten Bieterrausch hinein. 50 Milliarden Euro mussten sie am Ende zahlen. In Italien soll die Versteigerung in den nächsten Wochen bis zu 35 Milliarden Euro bringen. Und bis Mitte 2001 stehen unter anderem noch Auktionen in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Portugal und Schweden an. Weltweit sind insgesamt über 80 UMTS-Lizenzen zu vergeben.

Man kann sich vorstellen, welche Belastung der beteiligten Unternehmen mit diesem Pokerspiel verbunden ist. Die Lizenz ist nichts als ein Stück Papier, ein juristisches Zertifikat, mit dem der Staat einen weiteren Teil seiner territorialen »Souveränität« kurzfristig in Geldwert verwandelt.

Unternehmensberater haben ausgerechnet, dass beispielsweise jeder der sechs Sieger der deutschen UMTS-Auktion einen Marktanteil von 30 bis 40 Prozent erreichen muss, nur um die Kosten der ersteigerten Lizenz wieder hereinzuholen. Macht zusammen zwischen 180 und 240 Prozent. Die Mehrheit der Mitspieler muss daher zwangsläufig auf der Strecke bleiben.

Doch mit der Ersteigerung der Lizenzen hat die Kosteninflation erst begonnen, denn die milliardenschweren Investitionen in Technik, Infrastruktur und Sendenetze stehen noch aus. Da in einem relativ kurzen Zeitraum alle Mobilfunkunternehmen auf einen Schlag um die begrenzten Kapazitäten der Netzausrüster konkurrieren müssen, also die Nachfrage das Angebot weit übersteigt, gewinnen die Ausrüster eine enorme Anbietermacht, die sie sich teuer bezahlen lassen.

Nach einer Berechnung des Spiegel kosten die Investitionen in das UMTS-Projekt inflationsbereinigt mehr als der Bau des gesamten europäischen Eisenbahnnetzes. Diese irreale Dimension macht es unwahrscheinlich, dass daraus jemals ein profitabler Massenkonsum entstehen könnte. Die Kosten sind einfach zu hoch, und sie können nicht auf die Endverbraucher umgewälzt werden. Denn die voraussichtlich geringer als erwartet ausfallende Nachfrage und die Überlebenskonkurrenz der Telekom-Konzerne untereinander drückt zwangsläufig die Preise für die Benutzer ebenso herunter, wie sie die Preise der Netzausrüster hochtreibt. Die Anbietermacht ist gering und zwingt zu einem ruinösen Preiswettbewerb.

Selbst die überlebenden Unternehmen des UMTS-Projekts werden also in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nur Verluste machen, da sie die Inflation der Vorauskosten nicht mehr durch den laufenden Geschäftsbetrieb hereinholen können. Daher stellt sich die Frage, warum sich die Telekom-Konzerne trotz der absehbaren Folgen gegen jede ökonomische Rationalität in dieses Abenteuer stürzen.

Wie die New Economy im allgemeinen, so hat auch das UMTS-Projekt im besonderen eine irrationale und nicht mehr zu stoppende Eigendynamik entwickelt. Schon unmittelbar nach dem Ende der deutschen Auktion, so hieß es in der Wirtschaftspresse, habe sich bei den siegreichen Managern Katzenjammer verbreitet - das unfreiwillige Eingeständnis, dass sie im »Bieterrausch« nicht mehr voll zurechnungsfähig waren. Den italienischen Auktionären könnte es bald ähnlich ergehen.

Zwar geht es bekanntlich in der gesamten Ökonomie schon seit langem nicht mehr um Profit aus realen Warengeschäften; vielmehr haben wir es in Gestalt des »fiktiven Kapitals« (Marx) mit einer zweiten Ebene ökonomischer Rationalität zu tun, auf der nur noch die Kapitalisierung irrealer Optionen für eine imaginäre Zukunft interessant ist. Aber gerade die Kosten von UMTS zeigen an, dass die spekulative Börsenkapitalisierung in eine kritische Phase einzutreten beginnt. Bislang durften die oft winzigen Unternehmen der New Economy unbeschwert in ihrem völlig unprofitablen Realgeschäft Geldkapital »verbrennen«; je mehr, desto besser - Hauptsache, die Börsenkurse stiegen. Der Überschuss dieser Spielgewinne über das im Realgeschäft »verbrannte« Investitionskapital machte die Binnenrationalität der kasinokapitalistischen New Economy aus.

Aber genau diese spekulative Option funktioniert nun bei UMTS nicht mehr, weil die »verbrannten« Vorauskosten zu groß sind. Das Verhältnis von Kosten und Gewinn kehrt sich auch auf der spekulativen Ebene um. Diese Entwicklung hat sich schon seit längerem bei den großen Übernahmeschlachten angedeutet. Die Preise für das Erlangen so genannter »strategischer Optionen« beginnen die möglichen spekulativen Gewinne zu übersteigen; das UMTS-Projekt ist dafür nur ein besonders drastisches Beispiel.

Daher ist es nicht auszuschließen, dass sich die UMTS-Auktionen mittelfristig als Debakel erweisen könnten. Denn die beteiligten Unternehmen der Telekom-Sparte sind als defizitäre ehemalige Staatsbetriebe schon hoch verschuldet in den Markt entlassen worden. Die riesigen Auslands-Aquisitionen im Zuge der Globalisierung vergrößerten das Schuldenloch, das nun wegen des UMTS-Abenteuers umso bedrohlicher klafft. Da in dieser Kosten- und Schuldenfalle auch die spekulativen Gewinne ausbleiben, sucht sich das Management in Unternehmensanleihen zu retten. Doch die gigantische Verschuldung bei gleichzeitigem Absacken ihrer Börsenwerte führt dazu, dass die Rating-Agenturen ihre Bonität herunterstufen. Folglich müssen die Telekom-Konzerne zu allem Überfluß für diese Anleihen überhöhte Zinsen bezahlen. Die Deutsche Telekom hat im Juli 2000 mit 16 Milliarden Euro die größte Unternehmensanleihe aller Zeiten aufgelegt.

Auch in dieser Hinsicht nimmt der Telekomsektor nur eine allgemeine Entwicklung vorweg. Das heraufziehende Überangebot von Unternehmensanleihen der hochverschuldeten New Economy hat bereits zu einer inversen Zinsstruktur geführt: kurzfristige Papiere bringen mehr Zinsen als langfristige - ein untrügliches Zeichen für eine baldige »Korrektur« mit anschließender Rezession. Die zu erwartende große Pleite einiger Telekom-Konzerne könnte der Auslöser sein.