Eskalationspolitik der Eta

Generation Peng

Die Separatistenorganistion Eta will mit einer Eskalation der Gewalt ihre Position in den Verhandlungen über einen unabhängigen baskischen Staat stärken.

Spanien ist das antifaschistischste Land auf Erden. Zwischen den Pyrenäen und der Straße von Gibraltar scheinen sich alle einig zu sein: Faschismus ist Mist. Gegen Faschismus muss man sich empören, auf die Straße gehen - eben etwas tun. Und die Regierung ist immer mit von der Partie: mal der konservative Ministerpräsident José María Aznar, mal sein Innenminister Jaime Mayor Oreja, mal Verteidigungsminister Frederico Trillo, mal irgendein anderer Repräsentant.

Aber nicht die franquistische Vergangenheit ist es, die das ganze Land bewegt. Weder die aus dem Franco-Regime hervorgegangene Regierungspartei Partido Popular (PP) noch die Opposition spricht an, dass es nach dem Tod des Generalissimo Francisco Franco nie wirklich einen politischen und gesellschaftlichen Bruch gegeben hat. Kampf gegen den Faschismus, das bedeutet im größten Teil des Landes: Kampf gegen die baskischen Separatisten der Eta.

Wer die bewaffnete Organisation aus dem Baskenland nur von den zahlreichen Gegendemonstrationen kennt, könnte fast annehmen, das Hakenkreuz sei eines ihrer liebsten Symbole: »Schluss mit dem Faschismus der Eta« ist immer wieder zu lesen, und häufig wird mit durchgestrichenen Hakenkreuzen der Protest gegen die seit Jahresbeginn andauernde Offensive der selbsternannten Freiheitskämpfer artikuliert. So auch wieder nach dem jüngsten Attentat der Gruppe: eine Bombe unterm Auto des Gefängniswärters Máximo Casado, die ihn am 22. Oktober in der baskischen Hauptstadt Vitoria ums Leben brachte.

Auch die baskische Seite bedient sich des plakativen Antifaschismus, um den Feldzug gegen alles Spanische zu legitimieren. Sympathisanten der Eta betonen gerne, dass die franquistische Unterdrückung bis heute unverändert fortdauere. Dabei erhalten die Separatisten gelegentlich auch Unterstützung von der konservativ-rechtsnationalistischen PNV.

Deren Vorsitzender Xabier Arzalluz richtete erst Mitte Oktober den Vorwurf an die Madrider Regierung, sie gebärde sich wie einst der Generalissimo. Die PNV, die in Vitoria derzeit eine Minderheitsregierung anführt, ist damit sogar doppelt antifaschistisch. Einerseits empört sie sich an der Seite der Mehrheit gegen die Aktionen der Eta, andererseits will sie sich nicht vollends von den Zielen der Separatistentruppe distanzieren. Denn einen baskischen Staat wollen die PNV und deren Koalitionspartner EA genauso wie die Izquierda Abertzale« (patriotische Linke), eine mit der Eta sympathisierende Bewegung. An dieser Übereinstimmung lassen sie keinen Zweifel: Am 22. Oktober betonte PNV-Sprecher Joseba Egibar in Gara, einer zur patriotischen Linken zählenden Tageszeitung, seine Partei und die Izquierda Abertzale seien nicht »weit auseinander« und könnten zusammen »am selben politischen Projekt« arbeiten. Und die baskische Solidaritätspartei EA will den unabhängigen baskischen Staat schon im Jahr 2004 ausrufen.

Ein gemeinsames Vorgehen aller baskischen Nationalisten ist die Option, die die Izquierda Abertzale sich offenhält - im Zweifelsfall würde sie sicher auch ihre mehr phrasenhaft denn inhaltlich vorgetragenen Forderung nach einem »sozialistischen Staat« zurückstellen. Und weil kein Staat ohne bürokratische Institutionen auskommt, haben die »linken« Patrioten mit deren Aufbau vorsichtshalber schon einmal angefangen. Sie haben ein eigenes baskisches Melderegister angelegt - natürlich nur für die echten Basken und nach ihrer Definition kann nur Baske sein, wer des Baskischen mächtig ist - und baskische Personalausweise ausgegeben.

Dass sich ein baskisches Staatsgefüge nicht einfach so herbeibomben lässt, ist auch der Eta klar. Die Strategie der Eta ist daher eine zweifellos terroristische. Die derzeit forcierte Offensive soll vor allem die eigene Verhandlungsposition stärken.

Die baskischen Separatisten versuchen alles, um Gesprächsthema Nummer eins zu sein und zu bleiben. Ganz Spanien soll die Separatistentruppe aus dem Norden des Landes fürchten, soll sich von ihren Aktionen bedroht fühlen. Und angesichts der großen Auswahl an möglichen Zielen gibt es keinen vorbeugenden Schutz.

Die Eskalationsstrategie verbindet sich offenbar mit einem internen Strukturwandel. Der im September 1998 von der Eta erklärte einseitige Waffenstillstand war nämlich nicht nur ein Zeichen des Goodwill, sondern in erster Linie ein Eingeständnis von Schwäche und verringerter Handlungsfähigkeit: Teile der klandestinen militärischen Struktur waren aufgeflogen, außerdem gab es im unterstützenden Umfeld Uneinigkeit über das weitere Vorgehen: Angehörige der Izquierda Abertzale sahen eine mögliche Verhandlungsoption nach »nordirischemVorbild« und bemühten sich um einen nationalen Schulterschluss im »Pakt aller Basken«, den sie als Vorstufe zur Staatsgründung begriffen.

Besonders unter jungen Leute fand die Eta Gegner eines solchen unmilitärischen Weges, sodass sich inzwischen eine neue Generation bewaffneter Separatisten herausgebildet hat. Ein Beispiel dafür ist das Comando Andalucía der Gruppe. Mitte Oktober wurden nach der Erschießung eines Militärarztes im südspanischen Sevilla zwei Mitglieder des Kommandos von der Polizei verhaftet: der 26jährige Jon Igor Solana und der 21 Jahre alte Harriet Iragi.

Nach einem Bericht der Tageszeitung El Mundo, die für ihre guten Kontakte zum spanischen Sicherheitsapparat und zu einigen Kabinettsmitgliedern bekannt ist, gehen auch die Anti-Terror-Experten des Innenministeriums von einem Generationenwechsel innerhalb der Eta aus. Die jungen Mitglieder seien vor allem auf eine Verstärkung der Attentate aus, auf »pure und harte Gewalt«, selbst die blutigsten Aktionen in der Geschichte der Eta - wie der Anschlag auf einen Supermarkt in Barcelona im Juni 1987 - wollten sie noch überbieten. Aussagen von Solana und Iragi bestätigen dies: Im August planten sie, so sollen sie der Polizei - sicher nicht ganz freiwillig - berichtet haben, die Passagierfähre Valencia-Palma de Mallorca in die Luft zu sprengen. Die dafür vorgesehenen 100 Kilogramm Sprengstoff wurden damals jedoch abgefangen.

Bei den wenigen politischen Kräften im Baskenland, für die linke Kritik wichtiger ist als das Schicksal der Nation, stösst die Eskalation auf wenig Verständnis. So werfen Vertreter der Kleinstpartei Zutik, die sich zusammen mit der Izquierda Abertzale an der Wahlplattform Baskische Bürger (EH) beteiligt, der Eta einen Kurs der »ideologischen und ethnischen Säuberung« vor.

Und mancher, der weder dem spanischen Zentralstaat und der konservativen PP noch dem nationalistischen Wahn der Eta etwas abgewinnen kann, tritt lieber den Rückzug an. So beispielsweise der Geschichtsprofessor José María Portillo, früher ein Mitglied der kommunistischen Partei und heute dem linken Flügel der Sozialdemokraten zugehörig. Nach etlichen Drohungen gegen seine Person ziehe er es vor, seine Professur in Vitoria für ein Jahr ruhen zu lassen und in die USA zu gehen: »ins Exil«.