Ilka Schröder, Europa-Abgeordnete der Grünen

»Grüne Positionen durchsetzen«

Nichts als Ärger haben die Grünen mit ihrer Europa-Abgeordneten Ilka Schröder. Im Sommer nervte sie die Partei mit der Forderung nach finanzieller Hilfe für Schleuser, nun wird die 22jährige Berlinerin für die chaotischen Verhältnisse in der deutschen Delegation der grünen Europaparlamentsfraktion verantwortlich gemacht. Wegen Schröders radikaler Position in der Flüchtlingspolitik trat vor zwei Wochen der Abgeordnete Ozan Ceyhun zur sozialdemokratischen Fraktion über, letzte Woche folgte ihm Wolfgang Kreissl-Dörfler.

»I want to do good things«, sagten Sie einmal dem Reporter einer englischen Zeitung, der Sie nach Ihren politischen Zielen gefragt hatte. Was für gute Sachen kann man als Abgeordnete der Grünen im europäischen Parlament machen?

Ich tue Gutes, in dem ich darauf aufmerksam mache, dass die Grünen für etwas anderes angetreten sind als das, was sie jetzt in der Bundesregierung oder durch einige Leute auf europäischer Ebene praktizieren. Zum Beispiel in der Migrationspolitik. Was derzeit in diesem Bereich getan wird, hat mit grünen Inhalten nichts mehr zu tun.

Gibt es im Europaparlament noch Grüne, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einsetzen oder gegen Projekte wie Europol stellen?

Es gibt Leute, die sich gegen Abgeordnete wie Ozan Ceyhun stellen. Schließlich hat sich Ceyhun in seinen politischen Vorstellungen denen des deutschen Innenministers Otto Schily angeglichen. Er hat nach polizeilichen Maßnahmen geschrien, obwohl das Flüchtlingen am wenigsten weiterhilft. Und er forderte eine klare Quotierung der Einwanderung nach ökonomischen Kriterien. Mit Abgeordneten, die mit Ceyhun nicht einverstanden sind, arbeite ich in der Fraktion gut zusammen. Beispielsweise französische Abgeordnete wie Alima Boumediene-Thierry, die Ceyhun vorwarf, er habe Positionen des französischen Ex-Innenministers Jean-Pierre Chevènement vertreten.

Aber die meisten Grünen haben sich für die so genannte Harmonisierung der europäischen Asylpolitik ausgesprochen und damit für ein schärferes Vorgehen gegen Flüchtlinge.

Einige haben für scharfe EU-Normen gestimmt. Das ist traurig. Wir hatten darüber diskutiert, dass wir eine einheitlichere Asylpolitik brauchen, aber eben eine, die Verbesserungen für Migranten und Migrantinnen mit sich bringt. Wenn man aber klar sieht, dass es sich bei der Harmonisierung um repressivere Politik handelt, muss man sich natürlich dagegen aussprechen.

Wie steht es um die Kräfteverhältnisse in der deutschen Abordnung der Grünen? Fühlen Sie sich isoliert?

Das kommt auf das Themengebiet an. In der kleinen grünen Fraktion mit ihren knapp 50 Abgeordneten kommt einer aus Luxemburg, zwei kommen aus Irland, und so weiter. Da bringt es wenig, in nationalen Delegationen zu arbeiten, weil ich als Grüne und nicht als Deutsche gewählt wurde. Ich will mit Leuten Politik machen, die am selben Strang ziehen. Ich verstehe mich nicht als deutsche Vertreterin, auch wenn das Wahlverfahren so ist, dass man in einem Land gewählt wird.

Und dass man Ärger mit der deutschen Partei bekommt, wenn man etwa den Übertritt eines Kollegen öffentlich begrüßt.

Ich habe Ceyhuns Entscheidung nicht begrüßt, sondern gesagt, es würde mir schwer fallen, dies als Schaden zu betrachten. Aus der Fraktionsmitteilung kann man das Gleiche herauslesen. Da steht nicht drin, »wir nehmen mit Bedauern zur Kenntnis«, sondern nur »wir nehmen zur Kenntnis«.

Hinsichtlich der Innen- und Einwanderungspolitik, erklärten Sie, könne man den Weggang von Herrn Ceyhun als eine, so wörtlich, »humanitäre Aktion charakterisieren«.

Ich will damit sagen, dass er eine Politik gemacht hat, die schon länger nicht mehr zum grünen Programm passte.

Wie erklären Sie sich, dass maßgebliche deutsche Grüne schärfer gegen Sie polemisieren, während der Rückzug Ceyhuns mit Bedauern zur Kenntnis genommen wird? Die Vorsitzende Renate Künast hat rechtliche Schritte gegen Sie erwogen.

Sicher passt es denen nicht, wenn ich mich auf europäischer Ebene für eine Flüchtlingspolitik stark mache, die im Widerspruch zu der restriktiven Politik der Berliner Regierung steht. Deutschland ist da in Europa federführend, also sollte niemand, wie ich es getan habe, aus humanitären Gründen Unterstützung für Schleuser fordern. Das ist der Kern der Auseinandersetzung.

Wie steht denn Heide Rühle, die Chefin der deutschen Grünen im Europaparlament, im aktuellen Streit zu Ihnen?

Das weiß ich nicht, das sagt sie ja nicht. Meine Erklärung, Ceyhun würde mit seiner Forderung nach polizeilichen Maßnahmen in der Migrationspolitik den toten Flüchtlingen von Dover zusätzlich ein Messer in den Rücken stoßen, fand sie »unsäglich«. Aber was sie eigentlich will, hat sie nie inhaltlich begründet. Es gibt ein Papier, das sie zusammen mit Ceyhun veröffentlicht hat, in dem von Wirtschaftlichkeit in der Migrationspolitik die Rede ist. Migrantinnen und Migranten sollen nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen für Deutschland und die EU sortiert werden.

Dennoch haben Sie ihr letzte Woche, als die deutschen Euro-Grünen als zerrütteter Haufen dastanden, den Rücken gestärkt. Dabei hat sie angedroht, Ihnen das Geld für Öffentlichkeitsarbeit zu sperren.

Ich habe ihr das Vertrauen als Schatzmeisterin ausgesprochen, wie alle anderen auch. Mehr nicht. Jetzt lässt sie verlauten, sie hätte grünes Licht von der Fraktion bekommen, mir die Gelder zu streichen. Dies entspricht nicht den Tatsachen, meine Gelder für Öffentlichkeitsarbeit standen gar nicht zur Abstimmung.

Dennoch müssen Sie mit einem Ausschluss-Verfahren rechnen.

Das Wort Parteiausschluss ist durch verschiedene Münder gegangen und steht schon seit Monaten im Raum. Es hat auch schon ein Ultimatum gegeben, das verstrichen ist. Aber wenn man das machen will, dann soll man das machen. Dann würde wenigstens über meine Kritik diskutiert werden. Ich bin mir sicher: Es wird sehr schwer werden nachzuweisen, dass Ilka Schröder gegen das grüne Programm verstoßen hat. Da wird behauptet, meine Kritik sei unsäglich oder kindisch, aber niemand kann mir erklären, wo eigentlich das Problem liegt. Man will nicht darüber diskutieren.

Also macht sich alle Aufregung an der Form fest, daran, dass Sie öffentlich gegen die eigene Partei polemisieren?

Ich beurteile die Positionen von Leuten, die in der Partei sind. Und wenn jemand für polizeiliche Maßnahmen Stellung bezieht, was nicht mehr von unserem Programm gedeckt ist, kann ich ja nicht den Mund halten, nur weil er oder sie bei den Grünen ist.

Sie beziehen sich immer auf ursprünglich grüne Positionen, die es gegen eine falsche Politik ihrer Parteifreunde zu verteidigen gelte. Ist es nicht absurd, einer Partei, die seit zwei Jahren in der Bundesregierung vertreten ist, auf Bundesebene übernommen hat, vorzuwerfen, sie unterstütze polizeiliche Maßnahmen? Wie kann man heutzutage noch von grünen Essentials reden?

Ich spreche davon, wofür die Grünen sich haben wählen lassen. Im Bundestagswahlprogramm und im Programm für das Europäische Parlament sind viele gute Ideen drin. Wenn man die umsetzen würde, würden wir schon ein Stück vorankommen. Man muss seine Arbeit nach dem beurteilen, wofür man gewählt worden ist und dann abwägen: Wieviel konnte man durchsetzen, wieviel musste man schlucken?

Zumindest auf bundesdeutscher Ebene liegt die Antwort auf der Hand.

Die Frage ist natürlich, inwiefern die Grünen dort ihr Programm noch vertreten wollen. Bei einem Gespräch mit Teilen des grünen Bundesvorstands wurde angemerkt, man könne jetzt nicht auf Programme von vor zwei Jahren zurückgreifen. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass man auf Positionen zurückgreifen kann, für die man sich vor zwei Jahren wählen ließ. Und wieder habe ich gemerkt, dass es sich lohnt, zu streiten.