Arbeitskampf im Kino

Oi! Warnstreik

Weil die Beschäftigten flexibel eingesetzt werden sollen, organisiert die IG Medien erstmals einen bundesweiten Kino-Streik via Internet.

Verwirrte Bereitschaftspolizisten und Premierengäste, Kamerateams von Krach- und Klatschsendern, Streikposten der IG Medien und verdutzte Punks gaben die Kulisse für die Premiere des Skinheadfilms »Oi! Warning« im Ufa-Palast am Hamburger Gänsemarkt ab. Bis auf den Filmvorführer und die Kassiererin standen alle Beschäftigten vor der Tür, und so gab es fürs Premierenpublikum weder Sekt noch Häppchen. Die Punks, die den Film nicht mochten, nutzten die Gelegenheit und stürmten das Kino. Im Saal kam es zu Tumulten, einige Gäste verließen vorzeitig die Vorstellung und erkundigten sich bei den Streikposten nach dem Grund des Ausstands.

So spektakulär wie in Hamburg ging es nicht überall zu. Etwa 350 Kino-Beschäftigte bestreikten während der vergangenen Woche in Aachen, Berlin, Bremen, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Hannover und Heidelberg rund 40 Kinos. Etliche Vorstellungen fielen aus, andere begannen mit Verspätung, und in einigen Kinos war so viel »Führungspersonal anwesend, dass der Betrieb störungsfrei lief«, wie Kinobesitzer berichteten. Dagegen sagen Streikposten, dass sich viele Kinobesucher mit den Streikzielen solidarisierten und aufs Programm verzichteten. So verloren sich z.B. im Berliner Marmorhaus in den vier Kinos 55 Besucher.

Die Kinobeschäftigten streiken, »damit der Kinojob nicht zum Horrorstreifen wird«, wie IG Medien-Verhandlungsführer Manfred Moos sagt. Streitpunkt sei die von den beiden Branchenriesen Ufa und Cinemaxx geforderte Auflösung der bisherigen Tarifstrukturen sowie eine »totale Flexibilisierung der Arbeitszeit und Arbeitsorganisation«. Die derzeitigen Stundenlöhne zwischen 11,90 und 13,03 Mark bezeichnet der Berliner IG Medien-Sprecher Andreas Köhn als »Dumpinglöhne«, die für eine eigenständige Existenzsicherung kaum ausreichten. Moos bekräftigt, dass die IG Medien die Arbeitsbedingungen und Löhne der Kinobeschäftigten »an das Level der allgemeinen Tarifstandards in der Bundesrepublik« heranführen möchte.

Das Besondere an dem Streik ist, dass er sich nur gegen einige Kinobetreiber richtet. Wenn wir den Verband wechseln, ist die Gewerkschaft ÖTV für uns zuständig, und mit der kommen wir vielleicht besser klar als mit der aufmüpfigen IG Medien, dachten sich wohl einige Schlaumeier von Ufa und Cinnemaxx und traten Ende des vergangenen Jahres aus dem Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDV) aus und in die Arbeitsgemeinschaft Dienstleistungen (ardi) ein. Bei ardi waren bisher lediglich die Technischen Überwachungsvereine (TÜV) und ein Ingenieursverband organisiert, die mit der Gewerkschaft ÖTV Tarifverträge abgeschlossen haben. Hauptvorwurf an den HDV: Der Verband habe sowohl die Tarifpolitik wie auch das »Kartell der Verleiher nicht im Griff«. Außerdem erlaubten die Gehnehmigungsbehörden der Kommunen zu leichtfertig die Errichtung neuer Kinopaläste. Was zur Folge hat, dass in vielen Städten »Overscreening« - also ein existenzbedrohendes Überangebot an Leinwänden - herrsche.

»Der sich verschärfende Kampf um den Kino-Markt muss irgendwie finanziert werden. Und dies versucht man über eine Minderung der Personalkosten zu erreichen«, sagt Köhn dazu. So will ardi Überstunden- und Nachtzuschläge streichen und die Tätigkeitsfelder Kasse, Einlasskontrolle und Platzanweisung sowie Gastronomie verschmelzen; der Wechsel von der einen zur anderen Tätigkeit soll jederzeit möglich sein. Konkret heißt das, die Beschäftigten sollen je nach Bedarf in mehreren Bereichen eingesetzt werden können. »Ich mache also erst ein bisschen Kasse, gehe dann an die Theke und wische kurz vor Feierabend die Toiletten«, erzählt eine Cinemaxx-Mitarbeiterin aus Hannover. Zudem soll in Zukunft auch geteilter Dienst möglich sein. Nur der Job des Filmvorführers - mit Stundenlöhnen zwischen 16 und 22 Mark die »Spitzenverdiener« - ist davon unberührt.

Um sie besser auszulasten, sollen Kinos zu »Event-Centern« mit einer Kernöffnungszeit von 8 bis 3 Uhr werden: Während des Vormittags Konferenzen und Aktionärsversammlungen, dann das Filmprogramm und danach vielleicht noch etwas Nightclub. »Gegen diese umfassende Flexibilisierung richtet sich dieser Streik«, so Moos.

»Im Prinzip« hat die Gewerkschaft gegen eine gemischte Tätigkeit nichts einzuwenden und bietet die Einführung der Berufsgruppe »Servicefachkraft« an. Allerdings soll ein Wechsel der Tätigkeit innerhalb eines Kinotages ausgeschlossen bleiben. Dafür fordert die IG Medien einen Mindeststundenlohn von 16,50 Mark und die Beibehaltung der Vergütungen für Mehr- und Nachtarbeit.

Weiter sagt Moos, die bisherigen Warnstreiks hätten die Kinobesitzer insofern beeindruckt, als sie von der beabsichtigten Arbeitszeitflexibilisierung teilweise Abstand genommen hätten. So seien zumindest die Mehrarbeitszuschläge gerettet. Bei Auflösung der Tätigkeitsgruppen wurde ein Einheitslohn von 13,50 Mark angeboten. Von der neuerlichen Streikwelle am vergangenen Wochenende erhofft sich die IG Medien, dass die Arbeitgeber bei der siebten Verhandlungsrunde am 1. November in Frankfurt am Main ein besseres Angebot auf den Tisch legen. Moos sieht eine wachsende Streikbereitschaft, was unter anderem auch etwas über schlechte Arbeitsbedingungen und ein größeres Selbstvertrauen der Beschäftigten aussagt.

Matthias von Finteln, Kinobetreuer der Berliner IG Medien, erzählt, dass wegen der vielen studentischen Hilfskräfte und der hohen Personalfluktuation das Kinogewerbe bisher für die Gewerkschaft als schwer organisierbar galt: »Nur in etwa der Hälfte der rund 250 Großkinos gibt es einen Betriebsrat.« Trotzdem sei es der IG Medien gelungen, Strukturen zu schaffen, die einen Streik ermöglichen. »Organisieren Sie mal einen Streik in etwa 40 bis 60 Kinos mit je zehn bis 20 Beschäftigten, da ist weit mehr Logistik erforderlich, als wenn die IG Metall einen Streik mit 10 000 Menschen organisiert«, sagt Dieter Seifert, der die Kinos im Ruhrgebiet betreut.

So setzt die Gewerkschaft vermehrt auf die Kommunikation im Internet und auf Mailinglisten. Seifert: »Wir führen den ersten Streik, der über das Netz organisiert wird.«